Mannheim. Zu Nebenwirkungen und Risiken fragen Sie demnächst den Online-Arzt oder gleich die Künstliche Intelligenz? Weil die Hausärzte in Deutschland knapp werden, suchen die Experten bei Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) nach Lösungen. Eine mögliche Lösung, die beispielsweise die Techniker Krankenkasse (TK) Baden-Württemberg anstrebt, sind Plattformen, bei denen KI-gestützt Erstdiagnosen gestellt und anschließend freie Termine bei Haus- oder Fachärzten, die sich alle an dem System beteiligen, vorgeschlagen werden. Auch eine Behandlung via Online- oder Videosprechstunde soll möglich sein.
Je nach Symptomen kann am Ende auch der Ratschlag lauten: abwarten, Tee trinken, in ein paar Tagen sollte sich Besserung einstellen. So sollen unnötige Arztbesuche vermieden, Praxen entlastet, Frust aufseiten der Patienten bei der Suche nach Terminen vermieden werden.
Demografischer Wandel gefährdet zukünftige Arztversorgung
Dass Hausärztinnen und Hausärzte schon bald eine rare Ressource sein werden, danach sieht es auf den ersten Blick nicht aus. „Den Zahlen nach sind wir gut besetzt, das ändert aber nichts an der Dynamik“, erklärt die Leiterin der TK-Landesvertretung Baden-Württemberg, Nadia Mussa, im Gespräch mit dem „Mannheimer Morgen“. Im sogenannten Mittelbereich Mannheim - dazu gehören neben Mannheim die Kommunen Edingen-Neckarhausen, Heddesheim, Ilvesheim sowie Ladenburg - liegt demzufolge die Versorgungsquote mit Hausärzten bei mehr als 100 Prozent, lediglich 8,5 Arztsitze wären theoretisch noch zu vergeben. Das sind die guten Zahlen.
Das Problem ist die Dynamik, und damit meint die TK-Chefin den demografischen Wandel, der vor der Ärzteschaft nicht Halt macht. Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) sind 39 Prozent der Hausärzte im Stadtkreis Mannheim 60 Jahre und älter. Von den 236 Hausärzten, die derzeit hier tätig sind, sind 80 unter 50 Jahren, 64 sind zwischen 50 und 59 Jahren, und 92 haben die 60 bereits überschritten. „Die Entwicklung zeigt, dass wir neue Konzepte brauchen“, betont Mussa.
Zahl der Ärzte insgesamt steigt
Da nützt es auch nichts, dass die Zahl der Ärztinnen und Ärzte in den vergangenen Jahren bundesweit insgesamt gestiegen ist, laut Bundesärztekammer zuletzt um 2,1 Prozent auf rund 581.000. Denn neben der demografischen Entwicklung wirken sich zwei weitere Trends auf die Versorgung aus: dass immer mehr Ärzte als Angestellte in einer Praxis arbeiten und viele in Teilzeit tätig sind. Bei den Hausärzten sind es schon jetzt 29 Prozent. „Wenn heute ein Hausarzt mit einer Einzelpraxis in den Ruhestand geht, braucht es zwei bis drei Ärzte, um auf die bisher geleistete Arztzeit zu kommen“, so eine Sprecherin der KVBW.
Förderprogramme für ländliche Versorgung
Um der Entwicklung entgegenzuwirken, wurden in den vergangenen Jahren Förderprogramme ins Leben gerufen, um mehr Hausärzte in ländliche Regionen zu locken und mehr junge Studierende für den Hausarztberuf zu begeistern. Das baden-württembergische Gesundheitsministerium beispielsweise unterstützt durch das Förderprogramm „Landärzte“ hausärztlich tätige Allgemeinmediziner, Kinderärzte sowie Internisten ohne Schwerpunktbezeichnung mit bis zu 30.000 Euro, wenn sie sich auf dem Land niederlassen. Mit der Landarztquote werden zudem jährlich 75 Medizinstudienplätze vergeben, wenn sich die jungen Leute verpflichten, als Haus- oder Kinderarzt in ländlichen Gebieten für mindestens zehn Jahre tätig zu sein.
Auch die ärztliche Selbstverwaltung - also Krankenkassen und die kassenärztliche Vereinigung - fördert die Niederlassung von Ärzten in ausgewählten Regionen, und zwar durch einen Zuschuss für die Praxiseröffnung. Eine weitere Förderung betrifft die Weiterbildung. Aktuell erhält jeder Arzt in Weiterbildung im Bereich Allgemeinmedizin von der KVBW 5800 Euro pro Monat als Förderung (bei Vollzeitanstellung, Teilzeit entsprechend anteilig). Durch diesen hohen Förderbetrag soll es den ausbildenden Praxen ermöglicht werden, ein angemessenes Gehalt zu zahlen, gleichzeitig soll der ambulante Bereich als attraktive Arbeitswelt dargestellt werden.
SPD-Fraktion will Gespräche mit kassenärztlicher Vereinigung
Den Mannheimer Gemeinderat hat das Thema des drohenden Ärztemangels inzwischen ebenfalls erreicht. Während kürzlich die Nachricht für Ärger sorgte, dass die Hochstätt weiter keine eigene Kinderärztin erhält - ein entsprechender Antrag war von einem Zulassungsausschuss, in dem Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung vertreten sind, abgelehnt worden - fordert jetzt die SPD Gespräche. In einem Antrag, den die Mannheimer SPD-Fraktion im Gesundheitsausschuss am vergangenen Donnerstag eingereicht hat, wird die Verwaltung beauftragt, Gespräche mit der KV zur Verbesserung der medizinischen Versorgung in Mannheims Stadtteilen aufzunehmen.
Im Übrigen gibt es für die Frage, wie eine wohnortnahe ärztliche Versorgung zu definieren ist, eine höchstrichterliche Entscheidung. Das Bundessozialgericht sieht eine Entfernung von bis zu 25 Kilometern bei allgemeinen Leistungen (Hausarzt) als zumutbar für Patientinnen und Patienten an.
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