Mannheim. Die Stimmung am Paradeplatz ist nach wie vor bedrückend. Blumen, Kerzen und Gestecke liegen auf einer Rasenfläche und rund um einen Baum. Der rote Container der Feuerwehr steht inzwischen hier, drumherum haben sich die Notfallseelsorger in den lilafarbenen Westen postiert. Immer wieder gehen Passanten auf sie zu, wechseln ein paar Worte: Die entsetzliche Amokfahrt in der Innenstadt ist auch eine Woche später für viele nach wie vor unfassbar.
„Ich bin fünf Minuten vorher noch über die Planken gelaufen“, erzählt die 48-jährige Melanie aus der Neckarstadt, die ihren vollen Namen lieber nicht nennen will. Der Schock sitzt noch tief, obwohl sie in den vergangenen Tagen sehr viel darüber geredet hat und bewusst immer wieder hierher gekommen ist. „Zur Verarbeitung.“ Deshalb ist sie auch an diesem Montagmittag hier: Exakt eine Woche nach der schrecklichen Tat haben Oberbürgermeister Christian Specht und das Forum der Religionen zu einem interreligiösen Gebet geladen, um der beiden Toten zu gedenken und den 14 Verletzten und den Angehörigen ihr Mitgefühl auszudrücken.
Die Betroffenheit ist groß: „Ich leide mit Mannheim“
„Man kann nicht einfach zur Tagesordnung übergehen“, findet Manfred Spachmann, der ebenfalls bereits kurz vor 12 Uhr am Paradeplatz steht. „Es ist schrecklich, dass innerhalb so kurzer Zeit zwei Untaten in Mannheim geschehen sind“, erinnert der frühere Großmarkt-Chef neben der Amokfahrt an den Tod des Polizisten Rouven Laur Ende Mai auf dem Marktplatz.
„Ich leide mit Mannheim“, sagt Maria Friedrich aus Neuhofen. Früher hat sie selbst in der Stadt gewohnt, die ihr nach wie vor am Herzen liegt: „Ich liebe Mannheim.“ Darum war es ihr und ihrem Mann auch wichtig, an der Gedenkveranstaltung teilzunehmen: „Ich bin zutiefst erschüttert.“
Manche haben Tränen in den Augen, viele einen Kloß im Hals
So geht es sicher den meisten der rund 1500 Menschen, die nach Angaben der Polizei zum interreligiösen Gebet gekommen sind. Als um 12.14 Uhr, exakt eine Woche nach Eingang des ersten Notrufs, die Glocken der Kirchen zu läuten beginnen, haben manche Tränen in den Augen, viele einen Kloß im Hals.
„Entsetzliche Gewalt haben wir erlebt“, sagt Ralph Hartmann, Dekan der evangelischen Kirche, in die Stille hinein. „Sie steht gegen alles, was uns heilig ist.“ Gemeinsam mit den Vertretern der anderen Religionen steht er am Mikrofon am Rande des Paradeplatzes. „Denken wir an die Menschen, die getötet wurden. Und denken wir an die, die verletzt wurden an Leib oder Seele: Beten wir für sie und für den Frieden in unserer Stadt.“
Das machen nach ihm auch Amnon Seelig, Kantor der Jüdischen Gemeinde, Karl Jung, Dekan der katholischen Kirche, Talat Kamran vom deutsch-türkischen Institut für die muslimischen Gemeinden und Ana Zerno Antes von der alevitischen Gemeinde. Danach entzünden sie schmale, weiße Kerzen.
Justizministerin: „Mannheim hat sich an den Händen gehalten“
Weiß sind auch die Rosen, die anschließend mehr als zwei Dutzend bekannte Vertreterinnen und Vertreter der Stadtgesellschaft auf einem der Grünstreifen niederlegen. Die Spitze des stillen Trauerzugs bilden die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges und Oberbürgermeister Christian Specht. Danach folgen mehr oder weniger alle, die in Mannheim Rang und Namen haben.
Gentges und Specht sind es auch, die noch während des Gedenkens ein weiteres Zeichen setzen, indem sie ihre Nebenleute an den Händen fassen: So bildet sich eine kleine Menschenkette, die in Stille verharrt, bis um kurz nach 12.30 Uhr jeder wieder für sich versucht, in den Alltag zurückzufinden.
Oberbürgermeister: „Die Stadt wird das auch verarbeiten“
„In Mannheim ist heute die Zeit für einen Moment stillgestanden“, sagt die Justizministerin ein paar Minuten später, „und dann hat sich ganz Mannheim an den Händen gehalten. Das macht deutlich, welche Entschlossenheit die Menschen hier verbindet.“
„Die Betroffenheit ist groß“, berichtet der Oberbürgermeister. Zahlreiche Menschen nutzten die Angebote der Notfallseelsorge. Diese sollen deshalb auch in dieser Woche noch öffentlich präsent und niederschwellig verfügbar sein. Der auffällige rote Container der Feuerwehr ist inzwischen zum Paradeplatz gebracht worden, wo er bis Ende der Woche bleiben soll.
„Es braucht solche Räume“, sagt Specht, um das schreckliche Erlebnis verarbeiten zu können. „Damit umzugehen wird das Wichtigste sein.“ Er betont jedoch: „Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren. Die Stadt wird das, so schlimm es ist, auch verarbeiten.“
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