„Mein Dorf“ sage ich oft. Auf den Satz „Ich fahre zurück in mein Dorf“ nach Terminen in der Stadt ernte ich dann oft verwirrte Blicke, und manch einer findet die Bezeichnung „Dorf“ für einen Mannheimer Stadtteil komisch, ungewohnt, ja abschätzig. Doch das ist es nicht. Es ist liebevoll gemeint – so wie dieser Text eine Liebeserklärung an dieses beschauliche Dorf namens Wallstadt ist.
„Mein Dorf“ darf ich noch nicht lange sagen. Wer hier zuzieht, ist für Alteingesessene ein „Neubürger“, was sich zunächst wie Abgrenzung anhört. Vor über 30 Jahren war das noch viel, viel stärker als heute. Familiäre Wurzeln in Käfertal und Feudenheim machten Wallstadter zudem skeptisch, denn mit Bewohnern jener beiden Nachbarorte haben sich die Jungs früher oft „gekloppt“, wie es hieß und noch heute erzählt wird.
Wer sich aber in Wallstadt einbringt, auch als Zugezogener, wird dann irgendwann – etwa vom Ortshistoriker Stefan Alles – als „Neigoob“ bezeichnet. Das kommt einem Ritterschlag gleich. „Nei“ steht für neu. Mit dem Uznamen „Goob“ oder „Gowe“ – wovon der Name des sehr aktiven Karnevalsvereins rührt – hat man im 19./20. Jahrhundert in den Nachbarorten die Wallstadter bezeichnet, weil sie häufig mit Vorname Jakob hießen, in der Mundart verkürzt zu „Goob“.
Das zeigt: In Wallstadt ist Tradition wichtig. Archäologische Ausgrabungen haben bewiesen, dass der Ort zu den ältesten besiedelten Plätzen der Region gehört. Schon in der Jungsteinzeit lebten hier Menschen. Der älteste Bogen der Welt ist auf Wallstadter Gemarkung (heutiger Vogelstangsee) gefunden und 17 600 Jahre zurückdatiert worden. Die älteste urkundliche Erwähnung findet sich am 8. März 766 als „Walahastath“ im Lorscher Kodex. Ab 1288 zählt der Ort zur Kurpfalz, ab 1369 gibt es einen eigenen Schultheiß.
Darauf fußt bis heute das Selbstbewusstsein. „Die Stadt“ ist – gefühlt – für manche alten Ortsbewohner sehr weit weg. Da die Eingemeindung Wallstadts zu Mannheim erst 1929 erfolgt, lebten bis vor kurzem noch ein paar Wallstadter, die den Verlust der Eigenständigkeit persönlich miterlebten – und bedauerten.
Über all die Jahrhunderte hat sich Wallstadt seinen dörflichen Charakter bewahrt. Es ist einer der drei kleinsten Mannheimer Stadtbezirke – ein durchweg liebens- und lebenswerter Stadtteil: gemütlich, doch keineswegs ein verschlafenes Nest. Ein höchst lebendiges, abwechslungsreiches Vereinsleben, zwei sehr rührige Kirchengemeinden sowie der Arbeitskreis Heimatgeschichte bilden die Basis für ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl, viele Aktivitäten und Angebote sowie funktionierende Nachbarschaftshilfe. Dabei zahlt sich eine höchst angenehme Sozial- und Bevölkerungsstruktur aus. Die Migrationsquote, die Zahl der Sozialhilfeempfänger, die Kriminalitätsrate – all das ist äußert niedrig, die Wahlbeteiligung in Wallstadt dafür so hoch wie in keinem anderen Stadtteil.
Einwohnerzahl explodiert
Es lebt sich hier einfach gut – wofür auch die hohe „Bindungsquote“ spricht, also die meisten Einkäufe des täglichen Bedarfs werden vor Ort erledigt. Läden, Gasthäuser, Ärzte, Grundschule, Bücherei, Jugendtreff, Kindergärten (wenn auch viele Plätze fehlen) und neuerdings endlich wieder eine Post – die wichtigste Infrastruktur ist vorhanden, die Nahverkehrs- und Straßenanbindung nach Mannheim gut. In dem überwiegend von Ein- und Zweifamilienhäusern sowie nur ganz wenigen Wohnblocks und vielen Grünflächen geprägten Ort ist es dank fast durchgehender Tempo-30-Zone sehr ruhig. Und wen es ins Grüne zieht: Wallstadt wird komplett von Feldern und dem Naherholungsgebiet an den Vogelstangseen umgeben. Das sorgt auch für gute Luft.
Natürlich hat sich der Ort gewandelt. Vorbei ist die Zeit des Maurerdorfs, dessen männliche Bewohner Ende des 19. Jahrhunderts überwiegend Maurer waren, die in Mannheim und Ludwigshafen Fabriken und Kamine erstellten und die nebenbei Landwirtschaft betrieben. Aber es gibt noch einige Vollerwerbslandwirte. Noch bis weit in die 1990er Jahre grunzten sogar Schweine in Ställen mitten im Wohngebiet. Die „Kuhwiese“, auf der zwischen Wohnhäusern Wiederkäuer grasten, ist erst 2006 bebaut worden.
Für eine geradezu explodierende Einwohnerzahl haben das Neubaugebiet Wallstadt-Südwest (ab 1979) und auf 17 Hektar das ab 1997 besiedelte größte ökologische Neubaugebiet Deutschlands in Wallstadt-Nord gesorgt. Sie machten Wallstadt zu einem der am stärksten wachsenden Stadtteile. Rathaus und Rathausplatz wurden 2011 neu gestaltet, der Ortskern dadurch aufgewertet. Die opulente 1250-Jahr-Feier 2016 mit einem beeindruckenden Festzug durch den hübsch geschmückten Ort sorgte dafür, das ohnehin große Gemeinschaftsgefühl zu stärken und dabei „Neubürger“ erfolgreich einzubeziehen.
Zur großen Bewährungsprobe für den rundum intakten Ort wird jetzt aber, ob die Stadt ihre – viele Jahrzehnte alte – Zusage wahr macht. Ohne den Bau eines neuen Kultur- und Sportzentrums fehlt dem lebendigen Vereinsleben der Kristallisationspunkt, denn alle anderen Räume und Treffpunkte fallen nach und nach weg. Damit wäre dann auch die „heile Welt“, die es in Wallstadt noch gibt, bedroht.
Der Stadtteil in Zahlen
Wallstadt hat nach nach den aktuellsten Zahlen (Stand 30. Juni 2021) 7904 Einwohner.
Dazu zählen auch die 143 Bewohner von Straßenheim. Der Weiler mit landwirtschaftlichen Höfen und Wohnhäusern, dem Voglerhof mit der Polizeireiter- und der Polizei-Hundestaffel sowie der Magdalenenkapelle als ältestem Sakralbau Mannheims ist Teildes Stadtbezirks Wallstadt.
Die Einwohnerzahl von Wallstadt ist rasch gestiegen. Im Jahr 2000 waren es 6568, 1994 erst 6328 und 1946 erst 3200.
Migrationshintergrund haben 23,7 Prozent der Einwohner. Die Arbeitslosenquote lag Ende 2020 bei 2,2 Prozent, so niedrig wie nirgendwo in Mannheim.
In Wallstadt gibt es 1192 private Pkw pro 1000 Privathaushalte und daher, insbesondere im eng bebauten Wallstadt-Nord, ständig Parkprobleme. Die Quote Pkw pro 1000 Einwohner ist nirgendwo in Mannheim so hoch wie im Stadtbezirk Wallstadt. In der Innenstadt liegt die Quote bei 337 Pkw pro 1000 Haushalte, in Feudenheim bei 1032. Stadtweit sind 0,39 Privat-Pkw pro Einwohner (jeden Alters) zugelassen, in Wallstadt 0,58.
In Wallstadt, als Sternsinger und im Gospelchor, begann die Karriere des – heute umstrittenen – Sängers Xavier Naidoo.
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