Ein Vormittag im März 1985. Der Chef des in Seckenheim stationierten Territorialkommandos Süd der Bundeswehr, Generalmajor Gerd Helmut Komossa, macht seinen Abschiedsbesuch im Mannheimer Rathaus. Nicht nur Oberbürgermeister Gerhard Widder, sondern auch vier seiner Bürgermeister sind – um in der Diktion des Militärs zu bleiben – angetreten. Der Presse wird höflich, aber deutlich vermittelt: Sollte einer der Anwesenden sich verplappern und Zahlen über Mannschaftsstärken nennen, so dürften diese nicht veröffentlicht werden; sie unterlägen militärischer Geheimhaltung.
Weit entfernt scheint diese Szene aus der Endzeit des Kalten Krieges. Längst dient kein Soldat mehr im Kasernenkomplex in Seckenheim, nur ein Gebäude wird von der Bundeswehr noch genutzt. Im Frühjahr beginnen die Erschließungsarbeiten für ein neues Wohngebiet. Dann endet die 80 Jahre währende Militärgeschichte dieses Areals endgültig.
Bis in die 1930er Jahre ist es noch eine beschauliche Brachfläche, von deren mittelalterlicher Nutzung die Gewann-Namen Froschloch, Kieselgrund und Kappes (kurpfälzisch für Weißkraut) zeugen. Im Zuge der Aufrüstung durch die Nazis Mitte der 1930er Jahre wird beschlossen, das 110-er Regiment von Ludwigshafen nach Mannheim zu verlegen – auf die rechte Rheinseite; für den geplanten Krieg erscheint das sicherer.
Name als Kampfansage
Ein Ausrufezeichen ist bereits die Namensgebung: Loretto, Ort einer der blutigsten Schlachten des Ersten Weltkrieges, heute Sinnbild für die Sinnlosigkeit dieses Massensterbens, 1936 Zeichen bewusster Pflege der Erzfeindschaft zu Frankreich.
Auf dem zehn Hektar zählenden Areal entsteht rasch ein großer Kasernenkomplex. Bereits am 11. Oktober 1937 steht die Einweihung an. Die Nazi-Partei NSDAP befiehlt Beflaggung der Häuser und Beteiligung der Bevölkerung. „Mütze, dunkler Anzug, Orden und Ehrenzeichen sind anzulegen“, heißt es. „Wir sind stolz, in Seckenheim einen Teil der neuerstandenen Wehrmacht zu wissen, als Beschützer der Grenzen und der deutschen Arbeit, als Garant des Friedens. Heil Hitler!“, tönt der Ortsgruppenleiter der NSDAP.
Schüler und Aktive des Kriegervereins nehmen am Kaserneneingang Aufstellung. „Buben und Mädchen hatten Blumen für die Soldaten mitgebracht“, schreibt der „Hakenkreuzbanner“. Mit klingendem Spiel hält die Truppe ihren Einzug.
Dem Kommandeur wird der Schlüssel zum Kasernentor überreicht. Ein Regierungsbaurat preist den öden Komplex als „Baustein zum Aufbauwerk des Führers“. Unter dem Kommando „Präsentiert das Gewehr!“ wird am Fahnenmast die Hakenkreuzflagge gehisst, ein Treuegelöbnis zum Führer gesprochen, Deutschlandlied und Horst-Wessel-Lied („Die Fahne hoch“) gespielt. Damit auch jeder im Ort die Sache mitbekommt, zieht das gesamte Bataillon durch das mit Hakenkreuzfahnen übersäte Dorf ans Kriegerdenkmal vor dem Rathaus.
„Seckenheim hatte seinen großen Tag“, tönt der „Hakenkreuzbanner“: „Für den Vorort war der Einmarsch eines Bataillons ein wirklicher Festtag“, so das NS-Blatt: „Man konnte erkennen, wie sehr sich die Seckenheimer Bevölkerung freute, nunmehr auch eine Garnison zu haben.“
Für sie gehört Truppenpräsenz fortan zum Alltag – mit Teilnahme von Soldaten an Festen vor Ort und eigenen Platzkonzerten und Tagen der offenen Tür, wobei die Technik ihre Faszination gerade auf die Jugend nicht verfehlt. 1939 wird das Offizierskasino begonnen (heute Schifferkinderheim), über den Rohbau hinaus aber nicht fortgesetzt.
Denn am 1. September 1939 beginnt der Krieg, der erst am 30. März 1945 für Seckenheim vorbei ist, als die Amerikaner einrücken. Just an Karfreitag – welch eine Symbolik! – ist auch dieser Ort befreit, wenngleich viele Zeitgenossen dies damals wohl nicht so bewerten.
Gedenken an jungen Soldaten
Die Amerikaner übernehmen die Loretto-Kaserne und benennen sie nach Robert M. Hammonds. Der gerade mal 19 Jahre junge Gefreite aus Wickliffe in Kentucky fällt noch in den letzten Tagen des Krieges. Am 11. April 1945 wird er bei der Reparatur einer Feldfernsprechleitung von einem deutschen Scharfschützen erschossen. Hammonds meldet sich zu diesem Einsatz freiwillig, weil er als einziger seiner Einheit unverheiratet und ohne Kinder ist.
„Seine Hingabe an die Pflicht und sein Mut werden nie vergessen werden“, schreibt damals sein Vorgesetzter, General Withers A. Burress, der trauernden Mutter. Am 23. August 1948 wird das Versprechen erfüllt: Die Kasernen in Seckenheim werden nach Hammonds benannt.
Der Kalte Krieg führt dazu, dass aus Feinden Verbündete werden. Deutschland wird Mitglied der NATO. Deren Armeegruppe Mitte, die CENTAG, zieht 1961 in den Hammonds ein. Am Morgen jenes 7. Juni macht sich eine lange Kolonne von Trucks aus den Heidelberger Kasernen Campbell und Patton nach Seckenheim auf. Hier dienen nunmehr auch Soldaten aus Kanada, Frankreich und erstmals auch wieder Deutsche. Auch für sie gilt hier übrigens Englisch als Amtssprache. Erster Kommandeur ist Bruce C. Clarke, zugleich Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in ganz Europa.
Wie überall, baut die Army auch hier Klein-Amerika, allen voran eine große Sporthalle. Und das reicht bis in die Details: In den Büros sind die Regale niedriger als in Deutschland üblich. Denn amerikanische Akten sind kleiner als Leitz-Ordner.
1982 wechselt CENTAG nach Heidelberg – aus Sicherheitsgründen. Ihr Chef ist General Frederick Kroesen, zugleich Chef der US-Armee in Europa; 1981 verübte RAF-Terrorist Christian Klar in Heidelberg mit einer Panzerbüchse ein Attentat auf ihn, das er verletzt überlebt hat.
Neue amerikanische Einheiten kommen nach Seckenheim, unter ihnen der beliebte Soldatensender AFN; zehn Jahre lang residiert das Kult-Radio im hiesigen Bau 970.
Wieder deutsche Uniformen
Doch so viel Platz wie früher benötigen die Amis nun nicht mehr. Einen Teil des Geländes geben sie 1984 an die deutschen Verbündeten ab, von denen man sich dennoch durch einen Zaun trennt. Im Januar 1985 zieht der Stab des Territorialkommandos Süd (TKS) von Heidelberg nach Seckenheim und belebt den alten Wehrmachts-Namen für die Kaserne: Loretto. Ein Vorschlag des damaligen Befehlshabers Komossa, den Komplex in Kurpfalz-Kaserne umzubenennen, findet im Verteidigungsministerium kein Gehör.
Interessant ist die Liste der neun TKS-Befehlshaber. Vor allem Gerd Helmut Komossa, 1983 bis 1985 im Amt, ist eine schillernde Persönlichkeit. Noch Soldat an der Ostfront im Zweiten Weltkrieg, beginnt er in der neuen Bundeswehr 1956 als Oberleutnant seine steile Karriere, wird 1977 sogar Chef des Militärischen Abschirmdienstes (MAD). Nach seinem Dienst in Seckenheim engagiert er sich in erzkonservativen Organisationen, gibt sogar der rechten „National-Zeitung“ ein Interview.
Ganz anders sein Nachfolger Berthold Graf von Stauffenberg, ältester Sohn des Hitler-Attentäters und nach dem 20. Juli 1944 durch die Nazis von der Familie getrennt und verschleppt. Er wird 1994 der letzte Kommandeur des TKS. Kurz darauf wird der Mannheimer Bundeswehr-Standort geschlossen. Als letztes Überbleibsel zieht 1995 das Kreiswehrersatzamt nach Seckenheim.
Am 30. Juni 2011 geben die US-Streitkräfte die Hammonds zurück. Im Gegensatz zu anderen Liegenschaften ist hier alles in bestem Zustand. Das Areal geht in den Besitz des deutschen Staates über, genauer seiner Grundstücksverwaltung, der BImA (Abkürzung für Bundesanstalt für Immobilienaufgaben). Die richtet im US-Stabsgebäude ihr Büro ein, das Dienstzimmer des US-Generals wird ihr Besprechungsraum.
Neues Wohngebiet
Umgehend beginnt sie mit der Stadt die Planung für die Nutzung als Wohngebiet. Für Oktober 2015 sind die ersten Abbrucharbeiten vorgesehen, als einen Monat zuvor der Ansturm der Flüchtlinge einsetzt. Nun wird die riesige Immobilie benötigt, um den Bedarf an Unterbringung zu decken. Zum 31. März 2017 sind die Gebäude wieder frei. Der städtebauliche Prozess beginnt von Neuem.
2022 sollen die ersten Bewohner einziehen. Der Geschichtsverein schlägt vor, die Straßen nach Akteuren der 1848er Revolution, des ersten großen demokratischen Anlaufs der Deutschen, zu benennen. Andere plädieren bewusst an dieser Stelle für Friedensaktivisten, genauer gesagt den Frauen unter ihnen. Dem Namenspatron des Gebiets, Robert Hammonds, der mit nur 19 Jahren sein Leben im Krieg lassen muss, würde sicher beides sehr gefallen.
Hammonds heute und in Zukunft
Noch sind auf den Hammonds die ursprünglichen Gebäude erhalten. Das wird sich jedoch zum Teil bereits in wenigen Wochen ändern, wenn die Erschließungsarbeiten für das geplante Neubauviertel beginnen und im April nicht mehr benötigte Gebäude abgerissen werden.
Erhalten bleibt das Stabsgebäude, also das Einzelgebäude zur Rechten des Haupteingangs. Es ist in ausgezeichnetem Zustand, der blaue Teppichboden und die Tapeten an den Wänden sind unversehrt. Das Casino lässt seinen früheren Glanz noch erkennen, an der Stirnseite sind die Umrisse des Wappens erhalten.
Derzeit befindet sich im Gebäude das Büro der BImA. Das Casino im Erdgeschoss soll später für Gastronomie mit Außenbewirtung genutzt werden.
Die drei parallel anschließenden Gebäude an der Hauptstraße sollen erhalten bleiben. Lediglich der vierte (letzte) Trakt muss weichen.
Abgerissen wird auch die Sporthalle. In diesem Bereich sollen die Neubauten von Reihen- und Einfamilienhäusern entstehen. 6600 Quadratmeter bleiben frei und werden als Grünfläche mit Bäumen angelegt.
Die Bundeswehr wird ihren entlang der Badener Straße gelegenen Teil des Geländes, den sie derzeit noch nutzt, nicht vor 2022 abgeben.
Das betrifft vor allem das Gebäude zur Linken des Haupteingangs, anfangs als Kreiswehrersatzamt, seit Aussetzung der Wehrpflicht 2011 als „Karrierecenter“ genutzt. Dieses Gebäude wird abgerissen und einem Supermarkt Platz machen.
Auch die daneben liegende frühere Kantine der Bundeswehr wird abgebrochen. Sie wurde 1985/86 gebaut – mit einem Dach in Zeltform. -tin
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