Mannheim-Seckenheim. Das Fotostudio Schwetasch in der Seckenheimer Hauptstraße 103 - jahrzehntelang ist es nicht nur für die herausragende Qualität seiner Dienstleistungen bekannt, sondern auch für ein optisches Detail: seine Schaufensterdekoration. Ob Weihnachten oder Ostern, Weißer Sonntag oder Schulbeginn - hinter dem Glas „beim Schwetasch“ schlägt sich jedes Festereignis optisch nieder.
In diesem Jahr ist das anders. Knallrote Plakate zeigen in eindringlicher weißer Schrift Worte wie „Geschäftsaufgabe“ und „Räumungsverkauf“. Denn zum 31. Dezember muss das Geschäft schließen, just im 75. Jubiläumsjahr.
„Das tut natürlich schon weh“, bekennt Marcus Schwetasch; der 55-Jährige führt das Geschäft in dritter Generation. Aber es gibt keine andere Möglichkeit: Der Laden ist seit 52 Jahren eingemietet in einem Haus, in dem sich ein Besitzerwechsel vollzieht. Die zu erwartende höhere Miete aufzubringen, den Laden gar zu kaufen - angesichts der Lage in der Fotobranche unrealistisch.
So beginnt die Geschichte des Fotostudios
Die Geschichte des Fotostudios beginnt 1948, als Robert Schwetasch 39-jährig aus russischer Kriegsgefangenschaft heimkehrt. Eigentlich stammt er aus Salzburg, ist Kunstglaser, gestaltet viele Kirchenfenster. Doch selbstständig macht er sich in Seckenheim mit einem anderen, ebenfalls Kunstsinn verlangenden Handwerk: Fotografie. In der Stengelstraße 5 eröffnet er ein Studio.
Zeit als Pressefotograf: 1962 Einstieg beim „MM“
Es ist das Jahr 1949. Die Zeit, in der es vorangeht in Deutschland. Das Wirtschaftswunder nimmt Fahrt auf, man feiert wieder - und fotografiert auf Film; der muss zum professionellen Fotografen gebracht werden, um ihn entwickeln und von den Negativen Abzüge machen zu lassen. Eine goldene Zeit für Fotostudios.
Bald braucht daher auch das Geschäft der Schwetaschs mehr Platz, zieht 1961 in die Hauptstraße 103. Das passt: Denn zu dieser Zeit kehrt Roberts Sohn Gerd vom Bund zurück, steigt in den Betrieb ein, macht seinen Meisterbrief - und entwickelt dabei jedoch sein ganz eigenes Betätigungsfeld: die Pressefotografie. Es ist der spätere Chefredakteur Horst-Dieter Schiele, der ihn für den „Mannheimer Morgen“ entdeckt.
Erste Veranstaltung als offizieller Pressefotograf des „MM“ für die Region wird die Eröffnung der Fasnachtskampagne am 11. 11. 1962. Zu diesem Trubel geht er, obwohl drei Tage zuvor seine Großmutter stirbt. Persönliches stellt Gerd Schwetasch von da an für ein halbes Jahrhundert zurück. Wochenenden privat gibt es kaum, stattdessen gespickt mit schon mal 43 Terminen, die er mit seiner Leica abarbeitet. 60 000 Kilometer verfährt er damals pro Jahr, zuerst mit einem Käfer, später mit einem weinroten Volvo, als „Wagen vom Schwetasch“ weithin bekannt.
Mit dem Teleobjektiv zu Zarah Leander
Seine Termine bewältigt Gerd Schwetasch stets mit fachlicher Sorgfalt und persönlichem Engagement, auch Humor. Und sei es „nur“ bei einer der immer wiederkehrenden Ehrungen von Vereinsjubilaren; die bringt er beim Gruppenfoto mit seinem legendären Satz zum Lächeln: „Man muss ja nicht sehen, dass Ihr miteinander Krach habt.“
Auch mit Weltstars kann er umgehen. Am 29. Oktober 1973 macht die damals 66-jährige Zarah Leander auf einer ihrer Abschieds-Tourneen neben Wien und Madrid, Paris und London auch „bei Rica“ in Seckenheim Station. Im Vorfeld lässt die Diva verlauten, wann und von wo aus sie fotografiert werden darf. Gerd Schwetasch weiß sich zu helfen: Er besorgt sich ein leistungsstarkes 200er-Teleobjektiv, mit dem er sie auch von weitem und damit unbemerkt ablichten kann.
Die Pressearbeit ging immer vor
Vieles Andere erlebt er in jenen Jahren - Lustiges etwa, als er von einer Kirchenbank in der evangelischen Kirche Schriesheims fällt, Schreckliches wie das große Zugunglück in Lampertheim in den 1960er Jahren und den Hubschrauberabsturz in Mannheim in den 80ern. Bei der Amokfahrt eines US-Panzers in den Mannheimer Quadraten ist er als Erster vor Ort - dank „MM“-Funk „Mamo 6“. Gerd Schwetasch ist einer der ersten und wenigen Menschen in der Region, die damals in ihrem Auto über Funk verfügen.
1974 übernimmt er von seinem Vater offiziell das Geschäft. Seine Frau Linde, gelernte Buchhalterin, die er 1965 heiratet, hält im Laden die Stellung, während ihr Mann die Pressetermine abarbeitet. „In dieser Zeit haben wir uns wenig gesehen“, berichtet sie heute: „Die Pressearbeit ging eben immer vor.“ Eigentlich planen sie, nach Gerds Ruhestand das Private nachzuholen. Doch er stirbt nach langer schwerer Krankheit im Jahre 2018 - just an seinem 79. Geburtstag. „Wir hatten zu kurze Zeit für uns“, bedauert sie.
Dritte Generation
Im Geschäft geht es dennoch nahtlos weiter - dank ihres Sohnes Marcus. Früh unterstützt er seinen Vater auch in der Pressefotografie. „Meine erste Bilderseite im ,MM’ hatte ich mit 16“, erinnert er sich: „Eine FotoReportage über den Ladenburger Waldpark.“ Es ist das Jahr 1984.
Auch beim folgenden Wehrdienst lässt ihn diese Profession nicht mehr los. Als sie bekannt ist, wird er im Luftwaffen-Versorgungsregiment in Neckarelz offiziell „Regimentsfotograf“. Und macht nach der Bundeswehr eine reguläre Ausbildung zum Fotografen. 2004 übernimmt er vom Vater offiziell das Geschäft, bis heute unterstützt von seiner Frau Tamara, in der gesamten Region ebenfalls bekannt - jedoch als Sängerin.
Heute fotografieren die Angehörigen mit dem Smartphone selber
In den 20 Jahren seither erlebt er all die dramatischen Veränderungen im Fotowesen. Ab der Jahrtausendwende fotografiert nicht nur er digital, sondern auch jedermann und jedefrau. Das hat Folgen für die Auftragsstruktur. „Früher hatten wir an kirchlichen Festtagen wie Kommunion oder Konfirmation sonntags geöffnet“, berichtet er: „Denn nach der Kirche standen die Leute bei uns Schlange.“ Diese Aufträge sind nahezu komplett weggebrochen - abgesehen davon, dass derartige kirchliche Traditionen ohnehin immer weniger gepflegt werden. „Heute fotografieren die Angehörigen mit dem Smartphone selber.“
Was bleibt an Foto-Aufträgen sind die Hochzeiten
Auch Passfotos macht heute jeder Drogeriemarkt. Und Film-Entwicklungen - ausgestorben. Fotoabzüge von digitalen Daten? „Mit den Pfennig-Minibeträgen von Internetanbietern können wir nicht mithalten.“ Was geblieben ist, sind kurioserweise die Hochzeiten. In ihrem Liebesglück zahlen Brautpaare noch heute mehrere Tausend Euro, damit ein professioneller Fotograf sie am schönsten Tag ihres Lebens komplett begleitet. Den Großteil seiner Einnahmen erzielt Marcus Schwetasch allerdings mit Auftragsarbeiten für renommierte Unternehmen, allen voran die BASF in Ludwigshafen und die VR Bank Rhein-Neckar.
Angesichts dieser Ausgangslage ist das Aufgeben seines Ladens für ihn zwar emotional natürlich nicht einfach, doch betriebswirtschaftlich kein Drama. Denn die Arbeiten als Fotograf für große Auftraggeber kann und wird er ebenso fortsetzen wie seine Tätigkeit als Pressefotograf, erreichbar weiter auf den bekannten Kommunikationswegen. Denn er zieht mit ein in das Geschäft seines erfahrenen Kollegen und Freundes Thomas Rittelmann in der Friedrichsfelder Vogesenstraße 31, der seine Studioarbeiten (Pass- und Bewerbungsfotos etc.) übernimmt.
Mitgenommen hat Schwetasch das legendäre Bildarchiv. Zwischen 1962 und 2000 ist nahezu jedes wichtige Ereignis in dieser Region und in Südhessen verewigt - auf Negativen, in Aktenordnern abgeheftet, ein Dutzend große Umzugskartons füllend, akribisch nach Entstehungsdatum geordnet. „Wenn mir jemand sagt, das war in dem oder dem Monat in dem und dem Jahr, dann habe ich das Motiv in zehn Minuten gefunden“, versichert Schwetasch. Gleiches gilt für Hochzeitsfotos seit Ende der 1960er Jahre. Manche der vielen Ehen, deren begeisterter Beginn im Archiv verewigt sind, werden wohl gar nicht mehr bestehen.
Ein Schatz als Zufallsfund
Der größte Fotoschatz ist jedoch ein Zufallsfund. 2001 stirbt seine Oma mütterlicherseits, die nur wenige Häuser vom Laden entfernt lebt, in der Hauptstraße 93. Beim Ausräumen stößt Marcus hinter einem Schrank auf einen versteckten Verschlag. Darin eine alte Kamera - und in ihr ein Film. Marcus entwickelt ihn. Ans Tageslicht kommen Motive aus dem Seckenheim der 1930er Jahre, Feierlichkeiten des Dritten Reiches wie dem 1. Mai 1934, Schaulustige mit zum Hitler-Gruß gereckten Armen, sicher manch bekanntes Seckenheimer Gesicht darunter.
Einige der schönsten Schwetasch-Archivfotos werden in Ausstellungen gezeigt oder in historischen Bildbänden verewigt, zuletzt in dem 2007 vom Sutton-Verlag herausgegebenen Bildband „Archivbilder Schriesheim“. So ist das Fotostudio Schwetasch in Seckenheim wohl das nachhaltigste fotografische Gedächtnis der Geschichte unserer Region - und mittlerweile längst selbst Teil von ihr.
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