Sie ist so etwas wie die kleine Schwester der Oststadt: Die Schwetzingerstadt, durch die sich südöstlich des Kaiserrings beginnend bis zur Möhlstraße die Seckenheimer Straße schlängelt. Ihr Verlauf mit dem Gefüge der angrenzenden Straßen, der Häuser und öffentlichen Einrichtungen bringt eine abwechslungsreiche Abfolge von Orten und Situationen, ist Architekt Winfried van Aaken überzeugt. Aber nicht nur das. Mit ihren kleinen Geschäften, Handwerksbetrieben und den zahlreichen Cafés ist sie ein kleines autarkes Quartier.
"Die Straße selbst ist einem starken kommerziellen Wandel unterworfen", sagt van Aaken. Er macht es etwa fest an den vielen Bankfilialen, die sich früher dort befanden und von denen die meisten mittlerweile geschlossen wurden. Und doch gibt es noch alles, was zur Deckung des täglichen Bedarfs der Anwohner vonnöten ist: Zahlreiche Läden, verschiedene Supermärkte, Drogerien, Bäckereien und Apotheken. Sogar ein Fischgeschäft, ein Waschsalon und ein Fahrradgeschäft sind hier zu finden. Viele Anlieger nutzen die Tiefe ihrer Hinterhöfe, etwa Handwerksbetriebe als Lager, Wohnhäuser als Parkplätze oder Lokale wie eine kleine Vinothek als zusätzlichen Gastraum.
Stil der Nachkriegsmoderne
Haus um Haus schmiegt sich aneinander. Einige haben den Zweiten Weltkrieg überstanden, anderen ist der ohne Abwechslung endlos hochgezogene Baustil der Nachkriegsmoderne anzusehen.
Ein französisches Flair verströmen vor allem die alten Häuser, die mit ihren kleinen Cafés oder Bistros mit einer Außenbewirtschaftung zum Verweilen einladen. "Das ist ein Trend, das Verhalten der Menschen hat sich geändert, sie sitzen heute mehr draußen - dem Verkehrsgeschehen zugewandt", stellt van Aaken fest. Im Zuge der Industrialisierung wurde die Schwetzingerstadt - damals noch Schwetzingervorstadt genannt - dicht bebaut. 1840 errichtete man als Vorläufer des Mannheimer Hauptbahnhofs den Kopfbahnhof der Badischen Hauptbahn unweit der Innenstadt. Im Bereich der Burgstraße stand bereits im frühen Mittelalter am damaligen Lauf des Neckars die Zollburg Rheinhausen. Diese verlor ihre Bedeutung, als der Neckar um 1275 nach einer Überschwemmung seinen Lauf änderte und nicht mehr südlich, sondern nördlich von Mannheim in den Rhein mündete. Sie wurde später in einen Gutshof respektive in eine Mühle umgewandelt. Burgstraße, Rheinhäuser Straße, Krappmühlstraße und Windmühlstraße erinnern daran. Der Verlauf der Seckenheimer Straße ist einem alten Neckararm angepasst, der sich dort früher einmal seinen Weg gebahnt hatte. "Wegen dieser Topographie hat die Straße in Richtung Europaplatz eine Biegung", erklärt van Aaken.
Die Otto-Beck-Straße, die mit ihren zahlreichen prachtvollen Gebäuden aus alter Zeit von der Oststadt her auf die Seckenheimer Straße stößt, präsentiert sich wie ein Boulevard zur gegenüberliegenden Traitteurstraße, die schmaler ist. "Die Seckenheimer Straße ist wie eine Naht zwischen der Oststadt und der Schwetzingerstadt, dem Bahnhof und dem ehemaligen Standort der Heinrich Lanz AG", beschreibt van Aaken. Irgendwann begann man die Traitteurstraße zu verbreitern, doch als das Gebäude der ehemaligen Rheinischen Handelsbank an der Ecke (Seckenheimer Straße 72) dafür abgerissen werden sollte, wehrten sich die Menschen - und die Planer beließen es dort.
Grün fürs bessere Gefühl
Eingangs der Otto-Beck-Straße nimmt sich eine kleine Verkehrsinsel wie ein zusätzliches Stoppschild aus. Sie ist den Händlern eines Marktes jeweils am Freitag vorbehalten. An der Ecke Richtung Tattersall hinterlässt der ehemalige Kiosk einen verwaisten Eindruck. Verschiedene öffentliche Gebäude wie die Pestalozzischule und das Kinderhaus Wespinstift wirken abgeschottet, durch das, wie Winfried van Aaken anmerkt, etwas lieblose Grün. "Aber das ist dem Sicherheitsbedürfnis geschuldet", meint er. Wie eine Wand sei die Begrünung, die den Hof des Wespinstiftes vor neugierigen Blicken schütze. "Und hier sieht man auch wieder deutlich den alten Uferverlauf des Neckars, denn der Hof liegt sehr viel tiefer als die Straße", erläutert van Aaken.
Eingangs der Weberstraße befindet sich das alte Postgebäude, in dem jetzt verschiedene Firmen ansässig sind. Winfried van Aaken weist auf eine Platane davor mit einer sie umgebenden Sitzbank hin. "Das ist sehr schön gemacht. Da weitet sich der Raum", findet er.
MM-Sommerserie Orte/Un-Orte
- "Orte" wirken wie feste Anker im ewig turbulenten Stadtgeschehen. An einem Ort "ist man da". Orte stiften Identität. Anderswo dagegen fühlen wir uns fremd, alleingelassen, unsicher: "Un-Orte".
- Was macht einen Ort aus, was wird in der Stadt als Un-Ort empfunden? Die Sommerserie der Stadtteilseiten Mannheim-Mitte sucht Antworten bei Architektur und Städtebau und will aufzeigen, wo Lagen mit Aufenthaltsqualität sind, die uns in der Stadt verorten.
- Die Fotos zur Serie stammen von Cristina López Lindemann.
- Die 35-Jährige ist Doktorandin an der Universidad Politécnica de Madrid und als Gastwissenschaftlerin derzeit im Geographischen Institut der Universität Heidelberg tätig.
- Gleichzeitig arbeitet sie seit 2013 als Architektin in Deutschland - aktuell in einem Mannheimer Architekturbüro. Für die Mitte-Sommerserie hat sie sich auf den Weg durch die Stadt gemacht und für die Zeitung "Orte und Un-Orte", die wir vorstellen werden, mit der Kamera festgehalten.
- Was ist Ihr Lieblingsort, was empfinden Sie als Un-Ort? Schreiben Sie uns oder schicken Sie uns Bilder (bitte nicht von Müllhalden). Zuschriften per E-Mail an aphilipp@mamo.de.
- Bereits erschienen nach dem Auftaktartikel: Alter Messplatz, Promenade im Jungbusch, Friedrichsplatz, Borelly-Nudeln, Kultur-Kiosk, Rheinstraße und Seckenheimer Straße. (aph)
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