Mannheim. Ein Werktag, 10 Uhr vormittags, im Pfarrhaus St. Antonius Rheinau. Die Tür seines Büro steht offen, erlaubt den Blick in den wunderbaren Garten. Sein Schreibtisch ist voll. Ein Telefonat muss er noch führen. „So, jetzt habe ich Zeit für Sie“, lächelt er.
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Er steckt nach wie vor voll im Tagesgeschäft, von Umzugsatmosphäre keine Spur. „Das kommt erst im Oktober.“ Am 1. November wird er von seiner Gemeinde in einem Gottesdienst verabschiedet. Denn nach neun Jahren verlässt Pfarrer Lorenz Seiser, Leiter der katholischen Seelsorge-Einheit Mannheim-Süd, die Rheinau, um eine neue Stelle bei Baden-Baden anzutreten.
Der Wechsel ist seit einigen Wochen bekannt. Und er betrübt die Gemeinde. Seiser ist beliebt, nicht nur bei Katholiken, sondern auch bei Protestanten und solchen, die mit Kirche wenig am Hut haben. Und auch er hat Rheinau, ja Mannheim in den letzten neun Jahren lieb gewonnnen: „Das merke ich jetzt so richtig“, bekennt er. Die Formulierung vom lachenden und weinenden Auge, mit dem man geht, mag abgedroschen sein. Aber sie passt.
Folge der Strukturreform
Aber warum geht er dann überhaupt, mag man fragen. Die Antwort liegt in der Struktur, die sich die katholische Kirche in Baden für die Zeit nach 2026 verordnet hat: Nur ein Leitender Pfarrer pro Stadt, unterstützt von Priestern als sogenannte Kooperatoren. Und Leitender Pfarrer darf keiner werden, der bereits länger als acht Jahre in der betreffenden Stadt tätig ist. Seiser könnte also allenfalls als Kooperator hier bleiben. Für einen agilen erst 55-Jährigen, der seinen Beruf mit Begeisterung und Engagement ausübt, keine allzu verlockende Perspektive.
So hat er sich auf eine freie Stelle in Sinzheim-Hügelsheim beworben, in der Gegend, aus der er ursprünglich kommt. Diese Gemeinde wird 2026 in der Pfarrei Baden-Baden aufgehen. Was für Seiser die Perspektive bietet, diese Gesamtpfarrei dann als Leitender Pfarrer zu übernehmen.
Erfahrungen auf der Rheinau
Die Rheinau war dafür eine harte, aber gute Schule. Die Seelsorge-Einheit umfasst fünf frühere Gemeinden mit vier Kirchen und fünf Kindergärten. An jedem Werktag ist eine Heilige Messe zu halten, sonntags sogar zwei, samstags und sonntags mit Predigt. „Damit mache ich mir sehr viel Mühe“, bekennt Seiser: „Aber nach einer solchen Woche bin ich auch wirklich erschöpft“.
Den Montag, der wie bei allen Pfarrern ein freier Tag ist, nutzt er daher zum Abschalten. Er schwingt sich aufs Fahrrad, ist unterwegs im Odenwald, im Pfälzer Wald, auf dem Vogelsberg. Die Fotos, die er dabei schießt, stellt er ins Internet. Später ergänzt er sie mit Texten, Beschreibungen dessen, was zu sehen ist, Erläuterungen der Gedanken, die ihm dabei durch den Kopf gehen. Anfangs aus Spaß, nur für sich, Inzwischen für eine treue Gemeinde an Followern. „Wenn ich an einem Montag mal nicht unterwegs bin und nichts Neues ins Netz stelle“, lacht er, „dann kommen schon besorgte Anfragen: Was ist los?“
Sein zweites Hobby sind weitere Reisen: „Es gibt so viel zu sehen“, schwärmt er: „Die Welt ist so schön:“ Ziel für diesen Sommer ist Taiwan.
Dafür, dass er sich auch zu Hause wohl fühl, sorgen seine zwei Katzen. Wohnungskatzen. „Alles andere wäre angesichts des Verkehrs zu gefährlich.“ Die erste erhält er nach einem Taufgespräch. Damit diese nicht alleine ist, kam eine zweite hinzu. Doch Katzen als Mittel gegen Einsamkeit, das gilt auch für ihn: „Man ist abends schon ganz schön alleine in einem solche Pfarrhaus“, bekennt er. So werden die beiden natürlich mit ihm umziehen.
In schwierigem Umfeld
Seiser ist klar, dass er in einem schwierigen Umfeld agiert. Die immer neuen Enthüllungen über Missbrauchsfälle, die Diskussionen um Personen wie den Kölner Erzbischof Woelki - die Negativschlagzeilen über Kirche wollen einfach nicht abreißen. Ja, die Verbrechen müssen geahndet werden, sagt Seiser, und er verwendet bewusst das Wort Verbrechen. Aber er verhehlt nicht seinen Eindruck, dass sie von manchen instrumentalisiert werden, „um die Institution Kirche zu zerstören“.
Seiser ist kein Progressiver: „An der Antoniuskirche wird, so lange ich hier bin, keine Regenbogenfahne hängen“, schmunzelt er. Und die Zulassung von Frauen zum Priesteramt sieht er skeptisch: „Was soll das bringen?“, fragt er: „Würde dadurch ein Rheinauer, der bisher nicht in die Kirche geht, in die Kirche gehen?“
Aber Seiser ist auch kein konservativer Betonkopf: „Beim Umgang mit Geschiedenen und Wiederverheiraten muss sich die Kirche bewegen“, ist er überzeugt und sieht sich durch die Heilige Schrift unterstützt, die er zitiert: „Es ist nicht gut, wenn der Mensch alleine ist.“ Das gelte übrigens auch für Priester. Das Zölibat ist für ihn kein Dogma, sondern „ein Rat Jesu, ein Tipp, den er uns aus gutem Grunde nahelegt.“
Und so treibt natürlich auch ihn die Frage nach der Zukunft der Kirche um. Nach den Folgen des Verlustes der christlichen Werte für die Gesellschaft. die sich auch in Rheinau in Zahlen aufzeigen lässt: Schon bald wohl wird die Zahl der Katholiken in der Seelsorge-Einheit Mannheim-Süd die Grenze von 7000 unterschreiten - 7000 von insgesamt 25 000 Einwohnern in dem Bereich.
Trotzdem hat Seiser Hoffnung: „Die Kirche hat schon so viel überstanden und lebt immer noch“, sagt er mit Blick in die Geschichte. „Es gab immer Persönlichkeiten, die für einen Neuanfang sorgten“, erinnert er und nennt Ignatius von Loyola. Was ist seine Lösung? „Rückbesinnung auf den Kern von Kirche“, antwortet er und zitiert die Bibel: „Kehrt um und glaubt am Evangelium.“
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