Mannheim. Vormittags, 11.30 Uhr. Das Gespräch im Pfarrhaus ist geführt, wir begeben uns vor „seine“ bisherige, die Versöhnungskirche, um das Foto zu machen. Da tritt eine Passantin auf uns zu, fragt, warum er fotografiert wird. Uwe Sulger erläutert den Grund: „Weil ich am 1. August gehe.“ Die Dame ist sichtlich betroffen: „Das ist aber sehr schade“, sagt sie. Und sie wiederholt es noch zwei Mal.
Die spontane Reaktion der Passantin - sie ist charakteristisch für die Stimmung in der evangelischen Kirchengemeinde wie im Stadtteil: Dass Pfarrer Sulger nach fast zwölf Jahren die Rheinau verlässt, das wird vielfach bedauert. Dass er am Sonntag im ökumenischen Gottesdienstes zum Stadtteilfest verabschiedet wird, deutet an, warum dies so ist: Er ist ein Theologe mitten im Leben.
Am 1. August wechselt er nach Wertheim, 22 000 Einwohner stark, protestantische Gegend. Die Kirche stammt aus dem 13. Jahrhundert - optisch das Kontrastprogramm zum Rheinauer Gotteshaus mit Sichtbeton aus den 60er Jahren. Der Ältestenkreis dort hat ihn einstimmig gewählt - ohne große Diskussion.
Sulger hat sich die Stelle ausgesucht. Warum? „Ich hatte in den letzten Monaten im Traum immer zwei Bilder vor mir“, antwortet er: „Das des Don Quichotte, der gegen Windmühlen kämpft, und das eines Schlittens, der nicht auf Schnee, sondern auf Schotter fährt.“
"Nicht mehr die Power zu kämpfen"
Das deutet seine Gründe für den Wechsel an: „Ich habe eingesehen, dass ich vor Ort immer weniger bewegen kann.“ Gemeint ist die Einbindung in die Gesamtkirchengemeinde mit ihren Vorgaben und dort vor allem der Einfluss der Verwaltung. In einer eigenständigen Gemeinde wie in Wertheim sei das anders. Also Resignation? So hart will Sulger das nicht sagen. „In meinem Alter habe ich einfach nicht mehr die Power zu kämpfen“, bekennt der 63-Jährige. Dabei zeigt seine Leistungsbilanz, dass er in den zurückliegenden Jahren in seinem Wirken sehr erfolgreich ist. „Die Einbindung der evangelischen Kirchengemeinde in den Stadtteil“ nennt er auf die Frage, was er als einen Erfolg seiner Amtszeit ansieht. Und fügt präzisierend soziales Engagement mit Mittagstisch und Inklusionscafé sowie gesellschaftliches mit Vernetzung zu den Vereinen und eigenen Veranstaltungen wie Weihnachtsmarkt hinzu.
Mit Sulgers Namen verbunden bleibt auch die Fusion der drei Rheinauer Gemeinden Versöhnung, Pfingstberg und Martin. Die sieht er nach wie vor als richtig an: „Wir leisten damit unseren Beitrag zum stärkeren Zusammenwachsen Rheinaus“, sagt er. Bedauerlich findet er, das die finanzielle Dividende, die erwartet „und die uns zugesagt wurde“, nicht eingetreten ist.
Ähnlich zwiespältig fällt seine Bilanz des Neubauprojektes aus, das mit dem Abriss des Gemeindesaales am 25. Juli beginnen soll: „Die Grundidee, den Kindergarten auf das Kirchenareal zu verlegen, ist richtig.“ Das alte Gebäude sei nicht mehr zukunftsfähig, sein Umzug sichere den Bestand sowohl für den Kindergarten selbst als auch die Kirche. Die konkrete Ausgestaltung, also den Verlust von Gemeinderäumen, sieht er jedoch kritisch: „Da geht soziale Dimension verloren.“
Und dies beurteilt Sulger wirklich negativ. Auch er sieht diakonische Aktivitäten wie Kinderbetreuung als wichtig an. „Aber Kirche darf nicht nur Sozialdienstleister mit Kreuz sein“, sagt er: „Kirche ist mehr.“
Ökumene ein „großer Schatz“
Und wie sieht er deren Zukunft generell? „Kirche leidet doppelt“, sagt er. Im Zuge des Individualismus verliere sie wie alle Großorganisationen an Bindungskraft. Für Kirche speziell komme der Verlust an Spiritualität hinzu, der Erkenntnis, dass man nicht alleine für sein Schicksal verantwortlich ist, der Rituale. „In den letzten drei, vier Jahren hatte ich in der Versöhnungskirche keine Trauung mehr“, berichtet Sulger. Und kurioserweise bleiben die Protestanten auch von der Krise der Katholiken nicht verschont. „Bei mir rufen Leute an und sagen, sie treten aus wegen dem Papst“, berichtet er: „Da sage ich denen: Da bist Du bei mir falsch, da musst Du dort hingehen. Wir sind schon seit 500 Jahren ausgetreten.“
Doch damit da kein falscher Zungenschlag entsteht: Die Ökumene vor Ort sieht Sulger als großen Schatz an: „Da ist Rheinau vorbildlich“. Zumal er mit Lorenz Seiser einen katholischen Partner hat, „der spitze ist“. Und so findet Sulgers offizielle Verabschiedung durch Dekan Hartmann - in dieser Form nahezu einmalig - in einem ökumenischen Gottesdienst statt, im Rahmen des Stadtteilfestes. Diese doppelte Symbolik sagt eigentlich alles.
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