Mannheim. Er will einen Beitrag gegen das Vergessen leisten, die Menschen hinter Zahlen und Gräbern zeigen, den Opfern einen Namen geben: „Auf den Spuren der jüdischen Mitbürger Feudenheims“ heißt das Buch, das Alois Putzer, Vorsitzender des Vereins für Ortsgeschichte, jetzt vorgelegt hat. Es ist die erste Veröffentlichung, die sich so detailliert mit der Geschichte der jüdischen Gemeinde eines Vororts auseinandersetzt.
„Gerade in Zeiten, in denen wieder vermehrt rassistische und rechtsradikale Strömungen aufkommen, ist es wichtig, die Erinnerung wachzuhalten“, beschreibt Putzer seine Motivation, dass er mehrere Jahre in Archiven und Datenbanken forschte, Zeitzeugen befragte und Veröffentlichungen durchforstete. Dass Menschen nur deshalb gedemütigt, vertrieben oder ermordet wurden, „weil sie sich durch ihren Glauben von ihren christlichen Mitbürgern unterschieden“, so Putzer, dürfe nie wieder geschehen: „Sie waren schließlich auch Feudenheimer!“ Er wolle deshalb, „dass die Identität der Opfer erhalten bleibt“, so Putzer bei Vorstellung des Buchs in der Kulturkirche Epiphanias, die Ilse Gember und der Männergesangverein „Teutonia“ musikalisch mitgestalteten.
Ansprechend präsentiert
„Ein gelungenes Werk“, gratulierte ihm da Stadträtin Claudia Schöning-Kalender (SPD) in einem Grußwort im Namen der Stadt. Die Geschichte dürfe uns nicht loslassen, sondern wir müssten mit ihr umgehen lernen – und dazu sei das Buch von Putzer ein bemerkenswerter Beitrag, dankte sie ihm. Eine große Bedeutung für die stadtgeschichtliche Forschung insgesamt maß Markus Enzenauer vom Marchivum der Arbeit von Putzer zu, die er als „höchst lobenswert“ bezeichnete. Eine besondere Stärke des Buchs sei die Einbettung in die Ortsgeschichte insgesamt und die Darstellung der Biografien zahlreicher jüdischer Familien. „Das alles ist solide recherchiert und in sehr ansprechender Form präsentiert“, lobte Enzenauer den Autor und den Feudenheimer Verlag Waldkirch.
Das Buch
- Das Buch: Verein für Ortsgeschichte Feudenheim (Hrsg.), Alois Putzer, Auf den Spuren der jüdischen Mitbürger Feudenheims, Hardcover, 21 x 21 Zentimeter, griff- und kratzfeste Veredelung mit Lackeffekten, 168 Seiten, Verlag Waldkirch, Preis: 25 Euro.
- Die Unterstützer: Die Veröffentlichung wurde ermöglicht durch den Bezirksbeirat Feudenheim, die Jüdische Gemeinde Mannheim, die Gesellschaft für christlich- jüdische Zusammenarbeit, den Verein für Ortsgeschichte Feudenheim, die VR Bank Rhein-Neckar und die Heinrich-Vetter-Stiftung.
Von „immenser Bedeutung“ des „sehr, sehr beeindruckenden Buchs“ sprach sogar Rita Althausen, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Mannheim. Gerade da immer weniger Zeitzeugen der damaligen Geschehnisse lebten, sei es umso wichtiger, die Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus wachzuhalten und das Gedenken an die Opfer zu bewahren. Schließlich lebten viele Juden wohnten „friedlich in gutem Einvernehmen mit ihren Nachbarn“, bis sie nach dem „Zivilisationsbruch“ von 1933 entrechtet, erniedrigt, aus der Mitte ihres bisherigen Lebens gerissen und ermordet worden seien, so Althausen.
Und genau das stellt Putzer so eindrücklich dar. Zunächst spannt er den Bogen von der mehr als 1700 Jahre währenden Geschichte jüdischen Lebens in Deutschland insgesamt und seinen Wurzeln besonders in Worms, Speyer und Mainz bis zu den Rassegesetzen und Vernichtungslagern der Nationalsozialisten, dann von der Jüdischen Gemeinde Mannheim bis nach Feudenheim.
Von allen Mannheimer Vororten existierte nur hier eine eigenständige Jüdische Gemeinde, nachweisbar seit dem 17. Jahrhundert. 1803 zählte sie 58 Mitglieder, damals vier Prozent der Feudenheimer Bevölkerung. Ein geschlossenes jüdisches Wohngebiet, gar ein Ghetto, gab es nie – wohl aber eine gewisse Konzentration in der Talstraße zwischen Hauptstraße und Ziethenstraße, weshalb dieser Abschnitt, so Putzer, „Judengasse“ genannt wurde.
„Bis zum Ende der Weimarer Republik lebten die rund 50 jüdischen Mitbürger ohne wesentliche Spannungen miteinander, man pflegte gute Nachbarschaft und beachtete die jeweiligen Sitten“, so der Autor. Doch 1933 habe sich „erwiesen, wie wenig belastbar das bisher gelebte Miteinander war“, bedauerte Putzer das, was dann durch die Nationalsozialisten geschah. Zunächst habe die „einst blühende Jüdische Gemeinde“ des Orts viele jüngere Mitglieder durch Auswanderung verloren, mit der Deportation aller badischen Juden ins Lager Gurs 1940 sei sie endgültig ausgelöscht worden. Dazu habe man die verbleibenden Juden aus den Häusern geholt, auf dem Schulhof zusammengetrieben und abtransportiert, „vor aller Augen“, wie Alois Putzer anmerkte.
Zwei jüdische Friedhöfe
Schon zuvor, in der Reichspogromnacht am 9. November 1938, hätte ein SA-Trupp die 1819 in der Neckarstraße errichtete Synagoge erst geschändet, dann in Brand gesteckt. Das Jüdische Schulhaus, 1840 erbaut, blieb zwar stehen, wurde aber 1962, da baufällig, abgerissen. Seit 1965 gibt es eine Gedenktafel.
Putzer ruft die beiden Gebäude und ihre Bedeutung aber wieder ins Bewusstsein, ebenso die beiden Jüdischen Friedhöfe des Vororts, der 1860 bis 1899 benutzte in der Scheffelstraße und der ab 1900 bis 1939 in der Talstraße neben dem weltlichen Friedhof. Mit Hilfe des Kantors der Jüdischen Gemeinde, Amnon Seelig, hat er die Inschriften nahezu aller Grabsteine entschlüsselt und aufgelistet, wer hier begraben liegt. Und der Autor schildert die Lebenswege und den Alltag aller jüdischen Familien Feudenheims – und was es für sie bedeutete, plötzlich auswandern zu müssen oder deportiert zu werden. Er bereitete damit auch die Verlegung weiterer „Stolpersteine“ zur Erinnerung an NS-Opfer vor, die im Herbst geplant ist.
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