Er heißt I-DeaR, ist ein Roboter und sollte Mitte der Woche seinen Dienst in der Ludwigshafener Heinigstraße 40 antreten. Was I-DeaR aber genau tun wird, wie er sich gibt und wie groß er exakt ist – das kann am Montag bei der Staatsphilharmonie noch niemand sagen. Intendant Beat Fehlmann nicht. Chefdirigent Michael Francis nicht. Klar ist aber: Der in Korea entwickelte Typ, auch 5G-VR-Auto-Roboter genannt, soll die Staatsphilharmoniker und ihren Chefdirigenten Michael Francis am Freitag um 10 Uhr filmen und das Festgehaltene per 5G-Live-Orchesterübertragung nach Korea senden.
Dort, in rund 8600 Kilometern Entfernung, kommt dann – so Technik-Gott will – um 18 Uhr Ortszeit Beethovens Siebte über den Äther.
Das Streaming-Konzert am Freitag und der Traum von Malta
Das Konzert: Am Freitag, 26.02., um 10 Uhr ist das 5G-Streaming-Konzert auf dem Youtube-Kanal der Deutschen Staatsphilharmonie zu erleben.
Das Digitale: Auf der Homepage ist auch ein Podcast und das Digitale Klassenzimmer zu finden.
Die Reise: Von 25. bis 28. April sind beim Inclassica International Music Festival auf Malta vier Konzerte u.a. mit Gidon Kremer geplant.
Während die Übertragung in Deutschland nur auf Youtube angesehen und -gehört werden kann, dürfen sich die Südkoreaner mit speziellen Rundum-Brillen per I-DeaR offenbar im Orchester bewegen. „Sogar der Klang soll sich mit dem Drehen des Kopfes verändern“, meint Kommunikationschefin Judith Schor bei den Proben. Also kommen etwa die Klarinetten, je nach dem, in welche Richtung der Kopf guckt, von links, rechts, vorne oder hinten. Es ist das weltweit erste Experiment dieser Art.
500 Schnelltests zu je acht Euro
Gerade wird aber noch Dvorák geprobt – ebenfalls die Siebte, die bei einer für Ende April geplanten Tour nach Malta mit solistischen Weltstars wie Gidon Kremer und Rudolf Buchbinder gespielt werden soll. Und Francis, kurzärmeliges Polo und Chino-Hose, probt immer wieder den Beginn des Scherzos, das mit seinem so schnellen wie heiklen Auftaktmotiv (Achtel-Viertel-Viertel) nicht so recht zusammengehen will. Es braucht eben. Mehr als 50 Musizierende folgen ihm, wenn er Passagen so vorsingt, wie er sie haben möchte. Didada-didada-didada-didada klingen bei ihm die Achteltriolen im Finalsatz. All das ohne Maske.
Wie kann das sein? Denn während in Heidelberg am Mittwoch wieder ein Philharmonisches Konzert mit großer Besetzung stattfand und in Ludwigshafen eifrig geprobt wird, spielte das Orchester des Nationaltheaters zuletzt nur Solowerke, also: Ein-Musiker-Werke. Von Vorstand Fritjof von Gagern gibt es auch nichts Neues in Sachen Akademiekonzerte. In Ludwigshafen, so sagt Intendant Fehlmann, werden jedenfalls alle vor jedem Projekt getestet. Und da das teuer ist, kauft das Orchester immer gleich 500 Tests auf einmal. Kostenpunkt: rund acht Euro pro Test, also rund 500 Euro für die aktuelle Besetzung von 50 bis 60. „Die Kosten trägt das Orchester“, so Fehlmann. Der Freundeskreis unterstützt die Aktion.
Die Stimmung ist gut. Die Erleichterung, endlich wieder musizieren zu dürfen, sieht man den Musikerinnen an. Francis sagt im Gespräch mit der Redaktion auch, dass das extrem wichtig sei: „Die Musiker brauchen das!“ Francis, der auch Musikdirektor des Florida Orchestra in St. Petersburg ist, hat noch im Januar 17 Konzerte in den USA gegeben. Mit Publikumspräsenz! „Vermutlich sind meine Orchester die aktivsten überhaupt. Wir gehen viele Wege gegen Corona“, sagt er – und lächelt.
In Ludwigshafen ist man offenbar stets und kreativ auf der Suche. „Die Zeit der Pandemie war und ist geprägt von extremen Veränderungen und Belastungen“, sagt Fehlmann. Seit einem Jahr sei man nun „nicht mehr in der Lage zu planen“, viele geplante Projekte seien ausgefallen. Fehlmann: „Damit wir unserem Auftrag trotz der Umstände gerecht werden konnten, mussten wir uns immer wieder neu erfinden und anpassen.“
Virtuell durchs Orchester schreiten
So kam es letztlich auch zum Korea-Projekt, das für Fehlmann spannend ist, „weil es erstmals neuste 360-Grad-Aufnahmetechnik in Zusammenhang mit einem Sinfonieorchester einsetzt“, wie er sagt. Dank einer Brille werde man „quasi durch das Orchester schreiten können“. Es entstehe dabei „ein eindrückliches und sehr realistisches Raumgefühl“, verspricht er. Besonders stolz ist Fehlmann auf die Reichweite für das insgesamt doch eher schlecht laufende Streaming von Kulturereignissen. Da der Stream in Kooperation mit einem großen Mobilfunkanbieter realisiert werde, „erreichen wir an diesem Tag potenziell elf Millionen Menschen“.
Erst einmal aber spielt das Orchester so, dass es auch nicht einen einzigen der möglicherweise Millionen Zuschauer sieht. Egal wo. Und das heißt auch: Der Apparat arbeitet, kein Zuhörer bezahlt. Da sieht Intendant Fehlmann aktuell auch „erst einmal ein großes Loch“. Er äußert sich auch mit Sorge: „Man wird sehen, welche Konsequenzen dies auch für die kommenden Spielzeiten nach sich ziehen wird.“ Was er meint, sind wohl auch die öffentlichen Etats, die irgendwann wieder über Doppelhaushalte befinden werden – und über die Zukunft von Orchestern wie der Deutschen Staatsphilharmonie.
Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Es gibt Träume: die Malta-Reise. Laut Francis und Fehlmann „ein besonderer Höhepunkt“. Vier Tage. Vier Programme. Die Vorfreude ist groß, „weil es die erste Tournee mit Francis ist“, so Fehlmann: „Wir hoffen sehr, dass das tatsächlich wird stattfinden können. In dieser belastenden Zeit wäre es ein Aufbruchssignal.“
Zurück in der Probe. Francis reißt die Arme hoch. Und wenn man will, kann man im jetzt irisierenden grellen Final-Maestoso den Traum vom Sieg über eine dunkle Zeit hören. Vielleicht hilft’s gegen die Pandemie.
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