Ludwigshafen. Eine Halle im klassizistischen Stil erinnert auf dem Ludwigshafener Hauptfriedhof an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs. Das davor liegende Ehrenfeld ist in rechteckigen Höfen angelegt. Kleine steinerne Grabmale reihen sich dort entlang flacher Hecken zu Hunderten aneinander. Jedes steht für ein im Kampf erloschenes Leben. Für das Schicksal eines oft jungen Mannes, der fürs Vaterland in den Tod ging. Das Schicksal seiner Familie und seiner Liebsten.
Zwei auffällige Monumente auf dem Ehrenfeld überragen die anderen deutlich. Große, eichelförmige Urnen, die auf würfelartigen Sockeln ruhen. Der Name Hans Dissmann ist in den einen eingraviert, Fritz Dissmann steht auf dem anderen. Die beiden Söhne aus einer wohlhabenden Ludwigshafener Familie stehen stellvertretend für die Geschichten so vieler Menschen damals. Sie waren fast noch Kinder, als sie in einen Krieg zogen, aus dem sie nie mehr zurückkehrten. Hans wurde 19 Jahre alt, Fritz starb im Alter von 20.
Eltern stiften großen Betrag
Für die außergewöhnlichen Graburnen stiften die Eltern, Adele und Emil Dissmann, Eigentümer eines Damen-Textilgeschäfts in Ludwigshafen, einen großen Geldbetrag. Sie wollten einen Ort der Erinnerung schaffen, denn wo sich die tatsächliche letzte Ruhestätte ihrer Söhne befindet, haben sie nie erfahren.
Fritz, das geht aus dem Buch „Unsere Söhne. Briefe aus dem Felde“ hervor, das Adele Dissmann später veröffentlicht, fällt in der Nacht auf den 2. August 1916 bei Verdun. In eine Zeltplane gehüllt wird sein Leichnam mit denen anderer Kameraden in einem Granatloch beigesetzt.
Leiche wird nie gefunden
Der jüngere Bruder greift erst später ins Kriegsgeschehen ein. Im Sommer 1917 leitet er eine Nachhut im Bereich der Vimy-Höhe, die von britischen und kanadischen Soldaten eingenommen wird. Seit Juni 1917 gilt Hans als vermisst. Von großen Sorgen geplagt, stellt die Mutter Nachforschungen an, die letztlich die Gewissheit ergeben, dass auch der jüngste Sohn gefallen ist. Beim Rückzug muss er durch einen Granateneinschlag verschüttet worden sein. Seine Leiche wird nie gefunden.
„Es ist ein besonderes Geschick, dass uns die Ruhestätte unserer jungen Helden nicht bekannt ist. Da uns versagt bleibt, die Gräber zu schmücken, werden wir unseren unvergesslichen Söhnen auf dem Ehrenfriedhof in ihrer Vaterstadt Ludwigshafen je eine Urne (...) errichten lassen. Diese Urnen sollen von ihnen reden und ein bleibendes, sichtbares Andenken an sie sein“, schreibt Mutter Adele in dem Buch. Das Familiengrab befindet sich nur wenige Meter von den großen Graburnen für die Söhne entfernt.
Nutzungsrecht läuft aus
25 000 Mark stiftet die Familie Dissmann kurz nach Kriegsende für den Bau der Ehrenhalle. Daran geknüpft ist die Bedingung, die Graburnen mit den Namen der Söhne auf dem Ehrenfeld zu platzieren. Seit mehr als 100 Jahren stehen die Monumente nun dort. Adele und Emil Dissmann leben längst nicht mehr.
Vor ihrem Tod bittet die Mutter eine Freundin, ein Auge auf die Grabmale zu haben. So wurden die Denkmäler von der Familie einer Ludwigshafenerin übernommen, die sich bis heute um sie kümmert, jedoch anonym bleiben möchte. Sie sorgt sich, wie es in Zukunft mit den geschichtsträchtigen Urnen weitergeht, denn in diesem November läuft das Nutzungsrecht ab. Eine weitere Verlängerung um fünf Jahre könne sie sich nicht leisten, sagt sie.
Stadt kümmert sich um Pflege
Die Ludwigshafener Stadtverwaltung gibt auf Anfrage jedoch Entwarnung. „Dieses Grab wird schon seit Jahren von uns als ,Historisches Grab’ gepflegt“, teilt Gabriele Bindert, Leiterin des Bereichs Grünflächen und Friedhöfe beim Wirtschaftsbetrieb Ludwigshafen (WBL) mit. Unabhängig davon, ob das Nutzungsrecht im November auslaufe, werde die Grabanlage in jedem Fall erhalten bleiben und weiterhin vom WBL betreut.
„Die Betreuung und Pflege historischer Grabanlagen bedeutet, dass das Grab gesäubert wird und die Kanten geschnitten werden. Es findet keine Wechselflorbepflanzung statt“, sagt Bindert. „Die Graburnen selber werden nicht behandelt, die Patina ist gewollt. Dort werden lediglich die Platten unter den Urnen gefegt“, erklärt die Bereichsleiterin.
Kein kritisches Wort über den Krieg
Die großen steinernen Urnen werden also weiterhin die Blicke der Besucherinnen und Besucher des Ehrenfeldes auf dem Ludwigshafener Hauptfriedhof auf sich ziehen und an das Schicksal der Brüder Dissmann erinnern. An die Ungewissheit und den Schmerz der Eltern. An einen ungeheuerlichen Krieg, der Abertausende solcher Geschichten produziert hat. Einen Krieg indes, der in dem Buch der Eltern Dissmann mit keiner Silbe kritisch hinterfragt oder dessen Sinnhaftigkeit angezweifelt wird.
Der Einsatz des Lebens im Krieg für das Vaterland wird als selbstverständlich und ehrenvoll dargestellt - allem Leid und Elend zum Trotz, die dieser verursacht hat. Auch dafür sind die hervorstechenden Graburnen auf dem Ludwigshafener Friedhof ein stummes Zeugnis.
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