Enjoy Jazz

SWR Jazzpreis in Ludwigshafen: Anerkennung der Freiheit

Das Duo Tanrikulu und Dunston begeistert mit seinem freigeistigen Sound. Joey Barons Beitrag bringt Jazz-Elemente zurück und sorgt für begeisterte Reaktionen im Publikum

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Glückliche Preisträger: Nick Dunston und Cansu Tanrikulu im Haus. © Rinderspacher

Ludwigshafen. Der Preis sei mehr als eine Auszeichnung, sagt der zuständige Staatssekretär aus dem Mainzer Ministerium, es sei „eine Anerkennung“. Wer Jürgen Hardeck schon öfter erlebt hat, weiß: Er liebt das Spitzfindige. Der promovierte vergleichende Religionswissenschaftler, Philosoph und Sinologe macht sich aber gut auf der Bühne des Kulturzentrums Das Haus, denn bei der Verleihung des SWR Jazzpreises merkt man deutlich: Der Staatssekretär liebt die Kunst und besonders die Musik – und vor allem den Jazz.

Womit wir gleich beim Diskussionspunkt sind: Inwieweit ist das, was das Preisträger-Duo aus Vokalistin Cansu Tanrikulu und Bassist Nick Dunston aus Berlin musikalisch tun, Jazz? Ist Jazz heute alles, was quasi weitgehend unkomponiert, nur skizziert und improvisiert wird? Was in einem freien und gleichberechtigten Dialog mehrerer Partner, die musikalisch Meinungen, Farben und Positionen vertreten und im musikalischen Prozess miteinander aushandeln und abgleichen? Oder wird die Trennung der musikalischen Sparten in Pop, Rock und Jazz, zeitgenössische Musik und vieles mehr, wie einige fordern, ohnehin zunehmend obsolet? Laudatorin und SWR-Jazzexpertin Julia Neupert spricht ja auch davon, dass selbst ein Popstar wie Billie Eilish von Jazz inspiriert ist. Vielleicht aus gutem Grund nennt sich Enjoy Jazz ja auch seit langem „Festival für Jazz und Anderes“. Und kommt man vom tradierten Jazzbegriff, dann machen die Preisträger vor allem: anderes. Doch dazu später.

Fehlende Räume für Poesie und eine Wucht mit viel Informationen

Zunächst: Wo ist eigentlich Rainer Kern? Der Enjoy-Jazz-Chef spricht aktuell noch in Heidelberg, wo Youn Sun Nah singt (und einen konventionelleren Jazzbegriff vertritt). Kern kommt mit Verspätung. Dafür aber ist Ludwigshafens Kulturbürgermeisterin Cornelia Reifenberg schon da und spricht lobende Worte über den ältesten deutschen und schon 44. SWR Jazzpreis, der bereits zum 13. Mal hier im Haus vergeben wird.

Und natürlich wird auch Musik gemacht an dem Abend. Tanrikulu und Dunston spielen zunächst ein Mini-Set als Duo, in dem quasi alle Farben, die die beiden so draufhaben, ausgeschüttet werden. Jodelartiges, wilde Bass-Patterns, Pfeifen und die elektronische Verfremdung, Vervielfältigung und Loop-Bildung führt das Duo mal in fast amorphe Klangmassen über, dann wieder in wildeste Gefühlseruptionen.

In der Jurybegründung ist ja unter anderem von zwei Freigeistern die Rede, „deren kreative Energien sich ergänzen und potenzieren – zu einer eindrucksvollen künstlerischen Mehrdimensionalität und dynamischen Wucht.“ Mithin wird diese Wucht aus Improvisation, Noise und spacigen Räumen aber auch zur Überforderung an Information. Diese Musik, so faszinierend sie im Detail ist, gönnt weder dem Zuhörer Raum, noch lässt sie Platz für so etwas wie Poesie. Es gibt einfach keine Leere.

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Etwas strukturierter und, ja, auch spannender wird das zweite Set der beiden mit Wunschdrummer Joey Baron, der, meist lächelnd, auch mal sensibel und vorsichtig in Leerräume hineinhorcht, sich dann hineintastet und dort filigran mit Wischern, Tupfern und allerlei Delikatem hantiert. In jedem Fall kommt durch Barons Teil eine Gestaltverschiebung (shape-shifting) mit viel Ahnungsdrang in die Musik – und das klingt dann bisweilen auch etwas nach – richtig: Jazz. Das Publikum liebt das. Man hört’s.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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