Arbeiten an Leitung

Sorge vor erneuter Gasexplosion in Oppau: "Ich habe schlaflose Nächte"

Von 
Julian Eistetter
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Am 23. Oktober 2014 kämpfen Feuerwehrleute nach der Gasexplosion gegen das Flammeninferno. © Thomas Tröster

Ludwigshafen. Der 23. Oktober 2014 hat bei Heidi Bergmann, Birgit Grunis und Claudia Keller Spuren hinterlassen. Keine äußerlichen, sondern seelische. Geräuschempfindlichkeit, innere Unruhe, Schlaflosigkeit. Die drei Frauen sind Nachbarinnen, sie alle wohnen in der Jakob-Scheller-Straße an der Grenze von Oppau zu Edigheim. In jenen Häusern, die vor fast sieben Jahren bei einer verheerenden Gasexplosion mit zwei Toten und vielen Verletzten besonders betroffen waren. Bei denen die rund 100 Meter hohe Flammensäule Rollläden zerlaufen ließ, und die Wucht der Detonation Fenster eindrückte. „Meine Wohnung war nur noch ein Rohbau“, erinnert sich Bergmann. Wochen bis Monate mussten alle drei in Ersatzwohnungen unterkommen, fast die gesamte Einrichtung war hinüber.

Vom Ehemann weggerissen

Die 67-jährige Heidi Bergmann war zu diesem Zeitpunkt nicht zuhause. Sie stand gegenüber auf dem Lidl-Parkplatz. Plötzlich spürte sie eine heiße Welle von hinten über sich schwappen. Als sie sich umdrehte, sah sie das Flammeninferno. Ein Bagger flog durch die Luft. Der Arbeiter darin überlebte das Unglück nicht. Die 49-jährige Claudia Keller kam zu Fuß mit ihrem Mann vom Einkaufen. „Fünf Sekunden früher, und wir wären verbrannt“, berichtet sie. Ihr Mann habe sie weggerissen, dann seien sie nur noch gerannt. Birgit Grunis erfuhr durch die Nachrichten von dem Unglück. Lange Zeit wusste sie nicht, wie es ihrer Familie geht. Als sie vier Stunden später endlich ihren Vater traf, hatte der in Schockstarre noch immer die Fernbedienung in der Hand.

Bergmann, Grunis und Keller sind am Donnerstagnachmittag mit einigen anderen Bürgern aus Oppau und Edigheim auf das Gelände des TV Edigheim gekommen. Dort informierte die Firma Gascade über Arbeiten, die kommende Woche nur einen Steinwurf vom Unglücksort entfernt an derselben Leitung starten sollen (wir berichteten). Auf einem rund 300 Meter langen Abschnitt südlich von TV Edigheim, Gehlenweiher und Sticklerweiher muss die Kunststoffbeschichtung der Pipeline erneuert werden.

Die Nachricht über diese Maßnahme hat bei vielen Anwohnern düstere Erinnerungen hervorgerufen. Eine Unterschriftenaktion unterstützten 1500 Bürgerinnen und Bürger. Die Forderung: Während der Arbeiten soll die Leitung stillgelegt werden, damit sich ein Unglück wie vor sieben Jahren nicht wiederholen kann.

Sicherheitsfirma beauftragt

Als Reaktion auf die Aktion hat die Betreiberfirma Gascade zu dem Termin geladen. „Wir können den Menschen ihre Ängste nicht nehmen. Aber wir können, so gut es geht, informieren“, sagt Pressesprecher George Wüstner. Gascade sei sich der Sensibilität des Vorhabens bewusst. „Wir bedauern das Unglück zutiefst“, betont er. Doch die Arbeiten seien kaum vergleichbar mit damals, als eine Spundwand ins Erdreich getrieben wurde und ein Leck in die Leitung schlug. „Diesmal wird nur an der Ummantelung der Leitung gearbeitet. Wir gehen sehr behutsam mit Handschachtung vor“, erläutert er.

Als Reaktion auf die Sorgen der Bürger werden die Arbeiten vom Kampfmittelräumdienst begleitet, zudem wird eine Sicherheitsfirma beauftragt, die die Baustelle nachts bewachen soll. „Auch für uns ist das eine besondere Situation“, sagt Wüstner. „Wir hatten hier einen tragischen Unfall mit Toten. Es ist absolut nicht alltäglich, dass wir solche Bedenken haben“, sagt er. Dabei handele es sich bei den Arbeiten um eine Routinemaßnahme, die so hundertfach im Netz durchgeführt wird.

Ende kommender Woche werden die Arbeiten abschnittweise beginnen, Ende September sollen sie beendet sein. Abgeschaltet werden könne die Leitung indes nicht. Die 57 Kilometer lange Pipeline versorge nachgelagerte regionale Netze - und damit Haushalte, Gewerbe und Industrie. „Wir müssen die Versorgung sicherstellen“, so Wüstner. Aus technischen Gründen werde der Druck jedoch auf 40 bar reduziert.

Die drei Anwohnerinnen sind enttäuscht, dass sie ihr Ziel nicht erreicht haben. „Aber wir haben alles versucht, jetzt können wir uns nichts mehr vorwerfen“, sagt Bergmann. Die Unruhe jedenfalls wächst mit jedem Tag, den die Arbeiten näher rücken. „Ich habe schlaflose Nächte und gehe mit Bauchschmerzen aus dem Haus“, sagt die 67-Jährige. In den kommenden Wochen wird jedes laute Geräusch, jeder Fackelschein der BASF den Anwohnerinnen einen Schrecken einjagen.

Redaktion Reporter Region, Teamleiter Neckar-Bergstraße und Ausbildungsredakteur

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