Ludwigshafen. „Wir schaffen das!“ Was bleibt zehn Jahre nach der inzwischen berühmten Äußerung der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel in den Kommunen? Mit dieser Fragestellung rund um die massenhafte Aufnahme Geflüchteter in den Jahren 2015 und 2016 steigt Markus Lanz am Mittwochabend in die Gesprächsrunde beim ZDF ein. Unter den Gästen ist wie bereits vor wenigen Monaten die Ludwigshafener Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck (parteilos). Und für ihre Stadt muss sie feststellen, dass die Integration dieser großen Zahl an Zugewanderten höchstens in Teilen geschafft wurde. „Wir haben viel gelernt aus dieser Zeit, aber in der schieren Menge war es für die Gesellschaft schwer zu verkraften“, sagt sie.
8000 Geflüchtete in zehn Jahren: „Das hat die Stadtgesellschaft nicht verkraftet“
Insbesondere in einem Punkt müsse man festhalten, dass Deutschland es entgegen der Ankündigung Merkels eben nicht geschafft habe: „Unsere Gesellschaft ist gespalten“, so Steinruck. Ludwigshafen als eine ohnehin schon seit jeher internationale Stadt mit einem Migrationsanteil von 56 Prozent an der Bevölkerung sei durch die zusätzlichen 8000 Menschen, die seit 2015 in die Stadt gekommen seien, an ihre Grenzen gekommen. „Das hat die Stadtgesellschaft nicht verkraftet“, so die Oberbürgermeisterin, die bei der kommenden Wahl am 21. September nicht mehr antritt.
In einem Kurz-Monolog streift Steinruck zu Beginn der Sendung die großen Probleme, mit denen sich die Verantwortlichen in Ludwigshafen konfrontiert sehen. Es geht um Kinder von Wanderarbeitern, die kein Deutsch lernen. Um die Gräfenauschule, an der in diesem Sommer erneut Dutzende Erstklässler wegen der fehlenden Sprachkenntnisse nicht versetzt wurden – und natürlich um die fehlenden Mittel, um freiwillige Integrationsangebote zu finanzieren.
Verwaltungschefs aus drei anderen Kommunen diskutieren mit
Ähnliche Probleme – wenn auch vielleicht noch nicht in diesem Ausmaß – haben auch andere Kommunen. In der Gesprächsrunde vertreten sind neben Steinruck noch der Tübinger OB Boris Palmer, der Altenburger OB André Neumann und Astrid Klinkert-Kittel, Landrätin des Kreises Northeim in Niedersachsen. Sie alle sind sich einig, dass der Bund dringend für eine bedarfsgerechtere Finanzausstattung der Kommunen sorgen muss. „Wir müssen den Blickwinkel der Kommunen einnehmen, nicht den aus Berlin von oben auf die Kommunen“, sagt Steinruck dazu.
Den Städten und Gemeinden würden immer mehr Aufgaben übergestülpt, ohne die genauen Gegebenheiten vor Ort zu kennen. Rechenschaftspflichten und andere Bürokratiemonster würden alles noch verkomplizieren. „Wir brauchen mehr Geld und das Zutrauen, dass wir es auch richtig einsetzen“, sagt Steinruck. Ihr Kollege aus dem thüringischen Altenburg pflichtet ihr bei: „Die Stadträte handeln nach Zwang und Richtlinien.“ Gestaltungsspielraum gebe es längst nicht mehr.
„Der soziale Frieden ist gestört“, betont die Ludwigshafener Rathauschefin mit Blick auf die Stadtgesellschaft und die Tatsache, dass auch Einwanderer der ersten Generation heute die AfD wählen, weil sie sich im Vergleich mit den Geflüchteten unfair behandelt fühlen. Boris Palmer nennt etwa die Wohnungssituation in Tübingen als Beispiel. Für die zugewiesenen Geflüchteten gebe es eine Unterbringungspflicht. Es sei Wohnraum geschaffen oder angemietet worden durch die Stadt. Gleichzeitig kämen Rentner zu ihm, die nun aus der Stadt wegziehen müssten, da sie sich die Miete mit Renteneintritt nicht mehr leisten könnten – selbst für kleinere Wohnungen.
Uneinigkeit zwischen Palmer und Steinruck wegen Kriminalitätsrate unter Zuwanderern
Laut Aussage des Ex-Grünen-Politikers müsse man auch der Tatsache ins Auge sehen, dass es unter Zuwanderern aus dem Irak, Syrien und Afghanistan eine proportional zum Bevölkerungsanteil zehnmal höhere Kriminalitätsrate gebe. An dieser Stelle widerspricht Steinruck. „In Ludwigshafen gibt es keine höhere Kriminalitätsquote unter Ausländern“, sagt sie. Die Zahlen habe sie sich im Vorfeld der Sendung eigens übermitteln lassen. Ein kurzes Zwiegespräch entsteht, weil Palmer entgegnet, dass Ludwigshafen sich dann von ganz Deutschland deutlich abheben würde. Doch Steinruck beharrt auf ihrer Position. Richtig sei aber, dass es unter Zuwanderern aus gewissen Kulturkreisen „einen lockereren Umgang“ mit Regeln gebe. Das sei ein Problem.
Auch die Frage, die sich während der Pandemie so viele gestellt haben, wirft Markus Lanz mit Blick auf Ludwigshafen nochmal auf. Wie kann eine Stadt mit dem größten Chemieunternehmen der Welt, der BASF, so hoch verschuldet sein. Der Impfstoffhersteller Biontech habe doch in Mainz gezeigt, wie ein erfolgreiches Unternehmen die Finanzen einer Stadt mit einem Schlag konsolidieren könne. Steinruck erklärt das mit „zahlreichen Entwicklungen“ der vergangenen Jahre. Unter anderem müsse die BASF Milliarden investieren, um das Ziel der CO2-Neutralität zu erreichen. Diese Investitionen könne sie gewinnmindernd geltend machen, was die Steuern drücke. „Wir haben sehr wenig von der BASF“, so die OB. Zumal viele der Mitarbeiter die Einkommenssteuer im Umland von Ludwigshafen entrichten würden, wo sie leben. „Wir stellen dafür die Infrastruktur und tragen diese Last“, sagt Steinruck unter anderem mit Blick auf das Milliardenprojekt Hochstraßen.
Am Ende geht es auch noch um den Ausschluss des AfD-Bewerbers von der OB-Wahl
Auch der Ausschluss des AfD-Bewerbers Joachim Paul von der Oberbürgermeisterwahl in Ludwigshafen ist Thema in der Sendung. Schließlich sei das einer der ersten Treffer, wenn man sich im Internet über die Chemiestadt schlaumachen wolle, so Lanz. Er fragt kritisch nach, ob denn die Mitglieder des Wahlausschusses inhaltlich und juristisch überhaupt darauf vorbereitet seien, solch weitreichende Entscheidungen zu treffen. „Es sind Ehrenamtliche“, räumt Steinruck darauf hin ein. Bei der Entscheidung habe sicherlich auch das Vertrauen in sie als Vorsitzende des Ausschusses hineingespielt. Denn eine Vorbesprechung sei aus rechtlichen Gründen nicht möglich gewesen, da keine Einflussnahme erfolgen dürfe. Die Entscheidung müsse jedes Mitglied für sich in dem Moment eigenständig treffen. Mit 6:1 Stimmen fiel der Beschluss bekanntermaßen gegen Paul aus.
Steinruck verteidigt die Entscheidung nochmals. Paul sei mehrfach öffentlich „auffällig“ und sogar von der eigenen Partei gemaßregelt worden. Die Zweifel an seiner Verfassungstreue hätten zwei Gerichte vorerst bestätigt. „Dem Nicht-Kandidaten bleibt weiterhin die Möglichkeit der Anfechtung der Wahl“, sagt Steinruck. „Hätte ich anders gehandelt, dann hätte ich meinen Amtseid gebrochen.“
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