Ludwigshafen. In der Wochenzeitung „Zeit“ gibt es diese Rubrik. Sie heißt „Gestrandet in . . .“ – und erzählt von Orten, „wo Sie nie hin wollten, jetzt aber nun mal sind“. 2016 war einer der Autoren in Ludwigshafen. „In Heidelberg gab es lange die offizielle Stadtführung ,Das hässliche Heidelberg’“, schrieb er zu Beginn seines Textes. „Für Ironie dieser Art besteht in Ludwigshafen am Rhein kein Anlass.“
Gut zwei Jahre später, am Donnerstagabend, schon. Rund 200 Teilnehmer sind nach Angaben des Kulturbüros gekommen, um architektonische und städtebauliche „Perlen“ zu bewundern: bei „Germany’s Ugliest City Tours“, einer Stadtführung zu den hässlichsten Orten in Ludwigshafen.
„Mit voller Inbrunst feiern“
Anlass ist ein „furioser Titel“, wie Fabian Burstein, Leiter des Kulturbüros, betont. Die Satire-Sendung „Extra3“ (NDR) hatte Ludwigshafen zur „hässlichsten Stadt Deutschlands“ gekürt. „Wir müssen jetzt stolz zelebrieren, wie wir sind, und das mit voller Inbrunst feiern“, so Burstein. Der „dafür einzig würdige Stadtführer“: Helmut van der Buchholz, Bildhauer, Städtebauer und Architekt. Auch der freut sich über den Andrang – der ganz gut zum Zeitgeist passe, heute, wo jeder Unfall gefilmt und ins Netz gestellt werde: „Das war ja eigentlich zu erwarten: Wenn ich was ganz Schlimmes präsentiere, dann kommen die Leute.“
Schon der Startpunkt ist ein „idyllisches Fleckchen“: die Grünfläche am Danziger Platz, mit dem verfallenden Brunnen, umgeben von Tankstelle und B 44-Abfahrt. Von hier aus macht sich die illustre „Gang“ (Burstein) auf den Weg: junge Leute mit Wegbier in der Hand, Familien mit Kindern, Senioren, sogar ein älterer Herr mit Rollator. „Eigentlich ist das Wetter noch viel zu gut für diese Führung“, sagt Helmut van der Buchholz. „In Grau und bei Nieselregen macht sich das alles viel besser.“
Er präsentiert heruntergekommene Unterführungen. Und den „riesigen Parkplatz in bester Innenstadtlage“ am Carl-Bosch-Gymnasium. Am Westausgang des RathausCenters bewirbt der Künstler mit ironischen Spitzen auch die letzten übrig gebliebenen „Pilzdächer“, die einst auch die Fußgängerzone „geschmückt“ haben.
Er witzelt über die Becken rund ums Rathaus-Center, die ohne Wasser nicht so hübsch daherkommen. Und er schickt seine Gruppe über einen „Fußweg, der im Nichts endet“ in Richtung Carl-Wurster-Platz, der zwar das „Tor zum Hemshof“ sei, aber auf gewisse Weise auch die Botschaft „hier hört alles auf“ vermittele: heruntergekommene Fassaden, schräge Farbkombinationen, fragwürdige Einzelhandelsstruktur.
Weiter geht es. So viele Leute, scherzt man, seien schon lange nicht mehr in der City gesichtet worden. Vom „innerstädtischen Festplatz“, dem Bürgerhof, geht es weiter durch eine Passage zur Rückseite des Kunstverein-Gebäudes. Ein Sammelsurium von Baustilen und Bauformen werfe hier die Frage auf: „Ist das so gewollt oder ist das versehentlich so geworden?“
Zum Schluss führt Helmut van der Buchholz die Gruppe aufs Dach des Parkhauses in der Dammstraße – von hier aus dürfen die Teilnehmer „Ludwigshafens geballte Hässlichkeit“ noch von oben genießen. Unterm Beton der Hochstraße Süd schallt am Ende der Applaus, hallen die Bravo-Rufe für den Stadtführer.
Etwas abseits steht jedoch ein Mann, der wenig begeistert dreinblickt. „Das soll lustig sein, aber ich finde das skandalös“, schimpft der 80-Jährige, der seinen Namen nicht verraten will. Man solle lieber die schönen Seiten zeigen: den Ebert-Park, die Parkinsel. Er habe das zwei Stunden über sich ergehen lassen, sagt der gebürtige Ludwigshafener – „aber mir war nicht zum Lachen“.
Auch Lisa-Marie Reingruber ist hier geboren. „Ein bisschen mehr geschichtlichen und architektonischen Hintergrund hätte ich mir gewünscht“, sagt sie. Aber ansonsten hat die 29-Jährige die Stadtführung sehr genossen – und die besonders hässlichen Ecken per Foto-Netzwerk Instagram stolz mit der Internet-Welt geteilt. Das, räumt sie ein, musste sie erst lernen. Früher habe sie auf die Frage nach ihrer Herkunft oft geantwortet: „Ich komme aus Rheinland-Pfalz.“ Oder: „Eher so aus der Mannheimer Gegend.“
Info: Fotostrecke unter morgenweb.de/ludwigshafen
Tour mit dem Rad
- Veranstalter der Stadtführung waren das Kulturbüro der Stadt und das Kulturzentrum „dasHaus“.
- Sie laden am Donnerstag, 28. Juni, 19 Uhr, zu einem weiteren Ausflug an hässliche Orte ein.
- Treffpunkt ist dann der Friedrich-Wilhelm-Wagner-Platz.
- Auch diese Tour leitet Künstler und Architekt Helmut van der Buchholz.
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