Festival des deutschen Films

Sehenswerte Gegensätze beim Filmfestival in Ludwigshafen

Das Programm des Ludwigshafener Filmfestivals vereint auch inhaltlich und formal Gegensätzliches. In der Konkurrenz um den Filmkunstpreis entfaltet sich das sehr sehenswert

Von 
Thomas Groß
Lesedauer: 
Ist hier wirklich „Alles in bester Ordnung“, wie es der Titel besagt? Filmszene mit Corinna Harfouch. © Lichtblick Film GmbH/ Bernd Spauke

Ludwigshafen. Gegensätze ziehen sich an, heißt es. Bevor die dialektische Spruchweisheit aber ihre Wahrheit entfalten kann, folgt das Zugehörige seiner natürlichen Logik - und hält sich gegenseitig auf Distanz. Davon erzählt die Schauspielerin Natja Brunckhorst in ihrem Regiedebüt „Alles in bester Ordnung“.

Die Hauptfiguren leben im gleichen Mietshaus und sind durchaus unterschiedlich. Sie (Corinna Harfouch) ist Anfang sechzig, er (Daniel Sträßler) mindestens 20 Jahre jünger. Die Angestellte in einem Zahnlabor hebt alles auf, weil sie „Mitleid mit den Dingen“ hat, wie sie einmal sagt. Ihre Wohnung ist derart vollgestopft, dass sie schon lange niemanden mehr hineinlässt. Er hingegen, ein EDV-Fachmann, meint, man solle nicht mehr Besitzstand haben, als in einen Koffer passt. Er ist enorm praktisch, rechnet alles durch; sie hält sich zwar ebenfalls wacker aufrecht, gibt aber vor allem den Gefühlen Raum.

Er weiß: „Es ist schwierig, wenn der perfekte Plan auf Menschen trifft.“ Also ist es auch nur konsequent, dass die beiden, je für sich, ein recht einsames Leben führen. Doch als bei ihm ein Heizungsrohr platzt und das Wasser in ihre Wohnung tropft, ist es mit der vermeintlichen Beschaulichkeit vorbei.

Skurrile Charaktere und originelle, hintersinnige Dialoge sind die Hauptbestandteile dieser von der ARD mitproduzierten Komödie, die auf dem Ludwigshafener Festival in der Konkurrenz um den Filmkunstpreis läuft. Die weitere Entwicklung ist zwar absehbar, weil man rasch begreift, dass die eigenwilligen Personen voneinander profitieren könnten und sich im Grunde ergänzen. Buch und Regie tun aber dennoch gut daran, in ruhigem Rhythmus die Geschichte recht breit auszuerzählen und vor allem auf die Überzeugungskraft der Hauptdarsteller zu vertrauen.

Tragikomischer Charakter

In ihrer konventionellen Erzählart bildet diese Beziehungsgeschichte mit tragikomischem Charakter einen starken Gegensatz etwa zu Dominik Grafs Spielfilm „Gesicht der Erinnerung“ mit der diesjährigen Schauspielpreisträgerin Verena Altenberger in der Hauptrolle. Wieder einmal bricht der Regieroutinier Graf eine Lanze für den Genrefilm: Ein Psycho- und Mysterythriller ist diese viel weniger leicht durchschaubare Geschichte, die sich als eine Variation auf den Hitchcock-Klassiker „Vertigo“ lesen lässt. Grafs ebenfalls sehenswerter Film über eine Frau, die meint, in einem jungen Mann ihren wiedergeborenen tödlich verunglückten Liebhaber zu entdecken, ist rasant geschnitten und überhaupt visuell recht anspruchsvoll. Letzteres ist nicht weniger Andreas Kleinerts Künstlerporträt „Lieber Thomas“ über den Dichter, Dramatiker und Filmemacher Thomas Brasch zu bescheinigen, ein Film, der wiederum ganz anders ist als die zuvor erwähnten.

Der große Gewinner des diesjährigen Deutschen Filmpreises lief bereits mit allerdings geringer Resonanz im Kino. In Ludwigshafen konkurriert er nicht um den Filmkunstpreis, da sein Regisseur Kleinert Mitglied der Festivaljury ist, die über den Preisträger befindet.

Im Übrigen wäre eine Auszeichnung angesichts des Filmpreistriumphs mit ganzen neun Auszeichnungen nicht gerade originell. Da der Film aber deutlich mehr Zuschauer und eine große Leinwand verdient hat, ist es nur konsequent, ihn hier noch einmal zu präsentieren und wenigstens um den Publikumspreis konkurrieren zu lassen.

In stilvollem Schwarzweiß gehalten, ist das ebenso ein Film über Kunst wie ein Stück Zeitgeschichte: Mehr oder weniger wahrheitsgetreu erzählt er die Lebensgeschichte des rebellischen Ausnahmeautors Thomas Brasch nach, der in der DDR aufwuchs und reifte und schließlich mit seiner Lebensgefährtin, der Schauspielerin Katharina Thalbach, in den Westen ging. Dort wird er als Literaturstar gefeiert, eckt weiter an, scheitert nicht zuletzt auch an eigenen Ansprüchen und stirbt mit Mitte 50. Als Künstlerbiografie mit großer zeitgeschichtlicher Aussagekraft ist der Film vergleichbar mit Andreas Dresens „Gundermann“ über den gleichnamigen Liedermacher. Doch Kleinert lässt, passend zu Brasch, mehr Stilwillen erkennen.

Orientiert an Braschs Spielfilm

Formal orientiert sich Kleinert dabei an Thomas Braschs Schwarzweißspielfilm „Engel aus Eisen“ (1981), den er auch in einigen inhaltlichen Details zitiert. Trotz Überlänge von zweieinhalb Stunden fesselt der Film bis zum Schluss, und wie die Schauspieler, vor allem Albrecht Schuch in der Hauptrolle, aber etwa auch Jella Hasse oder Jörg Schüttauf, ihre Charaktere eigenständig entfalten und zugleich die historischen Vorbilder erlebbar machen, ist ebenfalls eine Klasse für sich. Dieser Film hat ganz gewiss noch viel mehr Publikum verdient.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen