Ludwigshafen. Farbe und Geometrie: Linien und Quadrate, soweit das Auge reicht. Das ist der erste Eindruck beim Betreten der großen Herbstausstellung im Wilhelm-Hack-Museum, die vom Kunstmuseum Wolfsburg konzipiert und gemeinsam mit dem Ludwigshafener Museum realisiert worden ist. „Re-Inventing Piet. Mondrian und die Folgen“ heißt sie und verfolgt Spuren und Fortwirkung einer der maßgeblichen Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts.
Der gebürtige Niederländer Mondrian ging, wie Malewitsch oder Kandinsky, auf eigenständige Weise den Weg in die Abstraktion. Er löste sich vom Gegenständlichen, indem er es auf stetig weniger differenzierte Grundstrukturen reduzierte, die zunächst kubistischen Charakter hatten, um dann strenge Muster zu entwerfen: Gitterformen und Quadrate, die in den Primärfarben sanft erstrahlen und vor weißem oder grauem Hintergrund von schwarzen Linien umgrenzt sind.
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Gleichgewicht und Balance werden hier auf unverwechselbare und längst ikonisch gewordene Weise dargestellt und spürbar gemacht. Prominent repräsentiert ist es auch in der Sammlung des Hack-Museums. Mondrian selbst nannte den Stil solcher Werke, die ihn zum meistzitierten Künstler des 20. Jahrhunderts machten, „neoplastisch“. Beziehungen ergeben sich aus der Gegenüberstellung von Farbe und Linie, dreidimensionale Körperlichkeit ist vereinfacht zur Fläche. Das Bild ist kein Abbild mehr, sondern konstruktive Abstraktion. Und Mondrians Absicht war es, die Grenzen zwischen Kunst und Leben zum Verschwinden zu bringen. Dass seine typische Gestaltungsweise später Kleidungsstücke, Verpackungen, Taschen oder sogar Häuserfassaden prägte, wie die Ausstellung dokumentiert, war also auch insofern konsequent.
Wie der Titel nahelegt, will die Schau vor allem zeigen, auf welche Weise Mondrians Kunst von anderen Kunstschaffenden „neu erfunden“ wurde, also rezipiert und selbstständig weiterentwickelt. Doch am Anfang der mehr als 130 Werke verschiedener Genres und Medien umfassenden Ausstellung steht Mondrian selbst, zudem sind Zeitgenossen vertreten, Theo van Doesburg, Sophie Taeuber-Arp oder auch Kurt Schwitters, der eher spielerisch ähnlich wie Mondrian arbeitete. Dokumentiert wird damit auch, dass Mondrians Stil sich im Austausch mit anderen Kunstschaffenden ausprägte, besonders der 1917 begründeten Gruppe De Stijl, der er selbst zugehörte.
Deutlich wird zudem, dass namentlich Sophie Taeuber-Arp durch Mondrian berühmt gewordene Gestaltungsprinzipien noch vor ihm praktizierte. Die Eigenart, auch doppelte Linien zu platzieren, übernahm er von der britischen Künstlerin Marlow Moss. Zu schauen, zu entdecken und erfahren gibt es in der Schau reichlich, und nur mit der nötigen Geduld lässt sich verhindern, dass man sich von der Vielfalt überfordert, buchstäblich überflutet fühlt - die andere Art, dagegen vorzubeugen, wäre Flüchtigkeit, wodurch einem aber naturgemäß das Wesentliche zu entgehen droht und weniger das Subtilere als vielmehr das leicht Auffällige im Gedächtnis bleibt. Also gilt es, sich Zeit zu lassen, um im Doppelsinne den Linien von Mondrians Werk und Nachwirkung zu folgen.
Mode mit Mondrian-Mustern
Breiten Raum nehmen, neben Malerei und Bildhauerei, Designobjekte ein: Sitzmöbel, Schränke, Raumgestaltungen. Der schon erwähnte Theo van Doesburg übersetzt Mondrian-Elemente als Erster in die Sprache der Architektur, und auch die Mode bekennt sich später zu ihm. „Neuerfindung“ ist in diesen Fällen auch Rückbesinnung, denn anders als bei Mondrian kehrt man zur Körperlichkeit, zum Plastischen zurück. Yves Saint-Laurent nutzte als Erster Muster à la Mondrian für seine Mode, Miuccia Prada verfuhr entsprechend; dann folgten auch Billigmarken. Eine Installation der Künstlerin Silvie Fleury zeigt „Mondrian Boots“, also Stiefel, gleich haufenweise, sinnbildlich für Massenware, die nach dem Gebrauch womöglich schnell im Abfall landet und für die Wegwerfgesellschaft steht.
Mondrians Nachwirkung
Hohe Kunstansprüche, die Mondrian eben auch repräsentiert, sieht man in der Kunst heute seltener verkörpert. Der Weg dorthin lässt sich auch an Mondrians Nachwirkung ablesen, die in Ludwigshafen nachvollzogen ist. Das bietet auch Platz für Dekonstruierendes und Ironie: Der Österreicher Lois Weinberger ist mit der Plastik „Katholischer Mondrian“ vertreten, eine Dornenkrone, die nicht wie gewohnt kreisrund, sondern quadratisch ist. Ganz ernst wirkt dagegen Georg Baselitz’ Bild „Drug (Remix)“, das Mondrian als einen Herrscher über Linie und Farbe in einen faschistischen Kontext rückt. Die erwähnte Körperlichkeit sieht man in der Ausstellung einmal noch besonders ausgeprägt: Die queere Künstlerin Jakob Lena Knebl nennt ihr Bodypainting „Piet 1“ - ihr üppiger Körper entspricht dabei keiner strengen Form mehr.
Was Kunst war und noch sein kann - auch das sind Fragen, die sich beim Besuch der sehenswerten Schau stellen. Da sie eben auch reichlich Raum für Witz und Hintersinn lässt, ist sichergestellt, dass solche Fragen zwar schwer wiegen mögen, aber nicht zu anstrengend werden. Und Synthesen von Kunst und Leben, mit freilich unterschiedlicher Akzentuierung, bezeugt auf je eigene Art alles, was hier auf anregende Weise zusammengestellt wurde.
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