Medizin

Modellprojekt in Ludwigshafen: Soforthilfe für Opfer von Vergewaltigung

Die Anzahl sexualisierter Verbrechen in Deutschland ist hoch. In einem Modellprojekt werden Betroffene nun im Klinikum Ludwigshafen nach solchen Taten versorgt - ohne Anzeige erstatten zu müssen. Wie das Modell funktioniert

Von 
Jessica Scholich
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Tamara Niemes, Gleichstellungsbeauftrage der Stadt Ludwigshafen (v.l.), Klaus Baumann, Chefarzt der Frauenklinik am Klinikum Ludwigshafen, Caroline Bonhage, Mitarbeiterin von Wildwasser und Notruf Ludwigshafen, und Bianca Staßen, Erste Kreisbeigeordnete des Rhein-Pfalz-Kreises, präsentieren Plakate zu ihrem Modellprojekt. © Jessica Scholich

Ludwigshafen. Fast jede siebte Frau in Deutschland erlebt ab ihrem 16. Lebensjahr eine Form schwerer sexualisierter Gewalt. Als sie dieses Ergebnis einer Studie des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2004 anspricht, muss Caroline Bonhage, Mitarbeiterin von Wildwasser und Notruf Ludwigshafen, schwer schlucken. „In einer Studie aus dem vergangenen Jahr, die im Bundesland Sachsen durchgeführt wurde, haben sogar 30 Prozent der befragten Frauen angegeben, dass sie schon einmal sexualisierte Gewalt erlebt haben“, ergänzt Bonhage.

Modellprojekt

  • Opfer einer Vergewaltigung können sich zu jeder Tages- und Nachtzeit im Klinikum Ludwigshafen melden.
  • Dort erhalten sie eine medizinische Versorgung und können Spuren sichern lassen.
  • Nach Wunsch werden die Spuren ein Jahr aufbewahrt.
  • Den Betroffenen steht es dabei frei, ob sie die Tat anzeigen möchten oder nicht.
  • Psychologische Unterstützung für Betroffene gibt es unter anderem bei Wildwasser und Notruf Ludwigshafen.
  • Weitere Infos: soforthilfe-nach-vergewaltigung.de

Den betroffenen Mädchen und Frauen möchten Bonhage und ihr Team bestmöglich helfen. Dafür haben sie gemeinsam mit dem Klinikum Ludwigshafen und den Gleichstellungsstellen der Stadt Ludwigshafen sowie des Rhein-Pfalz-Kreises im Dezember 2022 das Modellprojekt „Medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung“ ins Leben gerufen. „Denn jede Vergewaltigung ist ein medizinischer Notfall“, betont Bonhage.

Jederzeit verfügbar

Das Projekt sieht vor, dass sich Opfer einer Vergewaltigung zu jeder Tages- und Nachtzeit an die Frauenklinik des Klinikums wenden können, um umfassend medizinisch versorgt zu werden. Das Besondere: Es ist nicht verpflichtend, den Vorfall bei der Polizei anzuzeigen.

„Bisher war es üblich, dass Frauen nur behandelt werden können, wenn sie sich für eine Strafanzeige entscheiden“, erklärt Klaus Baumann, Chefarzt der Ludwigshafener Frauenklinik. Grund dafür seien unter anderem die Krankenkassen, die die Daten eines Verantwortlichen benötigen, um sich eventuell die Behandlungskosten von diesem erstatten zu lassen.

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Täter kommen meist aus eigenem Umfeld

Viele Frauen entscheiden sich jedoch gegen eine Strafanzeige. „Das liegt vor allem daran, dass ein Großteil aller Vergewaltigungen oder anderer Formen sexueller Gewalt im eigenen sozialen Umfeld stattfindet“, erklärt Bonhage. Hierzu gehörten zum Beispiel der eigene (Ex-)Partner, Freunde oder Arbeitskollegen. „Das klassische Bild des Unbekannten im Park kommt im Vergleich eher selten vor.“

Dank der Initiative von Bonhage und ihrem Team steht es Frauen nun frei, ob und wann sie die Tat bei der Polizei melden möchten. Chefarzt Baumann erklärt den Ablauf: „Betroffene können sich jederzeit im Klinikum melden - an Werktagen direkt in unserer Frauenklinik, ansonsten in der Notfallambulanz. Wer Hemmungen hat, das Geschehene auszusprechen, kann einfach eine gynäkologische Untersuchung fordern.“

Spurensicherung nur kurz möglich

Neben der medizinischen Versorgung besteht die Möglichkeit, eine gerichtsfeste Spurensicherung vornehmen zu lassen. Entscheidet sich die Betroffene nicht sofort für eine Anzeige, so können die Spuren bis zu einem Jahr aufbewahrt werden. „Dafür werden sie in die Rechtsmedizin nach Frankfurt transportiert“, erklärt der Gynäkologe. Da die Spuren nur rund 72 Stunden lang nachweisbar sind, sei es von Bedeutung, dass sich die Frauen so schnell wie möglich melden. „Auch durch eine intensive Dusche könnten wichtige DNA-Spuren verschwinden.“

Genauso wichtig wie die medizinische Versorgung sei eine anschließende psychologische Beratung und Betreuung, führt Baumann weiter aus. „Hier kommt der Verein Wildwasser und Notruf ins Spiel.“ Wenn es von den Betroffenen gewünscht ist, könne direkt ein Kontakt hergestellt werden.

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Von
Lea Seethaler
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Für die Hilfesuchenden entstehen durch Behandlung und Beratung keine Kosten. „Alles wird durch unser Projekt finanziert“, erklärt Bonhage. Einen Sockelbetrag stelle das Land Rheinland-Pfalz zur Verfügung, der Rest laufe über Spenden. „Wir sind außerdem sehr auf Organisationen angewiesen, die uns unterstützen.“

Ludwigshafen ist bereits das sechste Klinikum im Bundesland, das am Modellprojekt teilnimmt. Bianca Staßen, Erste Kreisbeigeordnete des Rhein-Pfalz-Kreises, freut sich sehr über den neuen Standort: „Das Klinikum ist für alle Betroffenen im Kreis gut erreichbar.“

Auch Männer erhalten Hilfe

Aufgrund der hohen Zahl an Betroffenen richte sich die Kampagne in erster Linie an Mädchen und Frauen, erläutern die Verantwortlichen. „Aber natürlich werden auch Jungen und Männer nach einer Vergewaltigung umfassend in unserem Klinikum versorgt“, versichert Baumann. „Denn sie können genauso davon betroffen sein.“

Bei einer Vorstellung im Krankenhaus verweise man Jungen und Männer dann an die betreffenden Kliniken, beispielsweise die Urologie. Nach Wunsch könne man auch bei ihnen Spuren sichern und im Anschluss Beratungsangebote vermitteln.

Redaktion

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