Interview - Zehn Jahre führte Barbara Kohlstruck die evangelischen Christen in Ludwigshafen

Ludwigshafens scheidende Dekanin: Wir spüren Einschnitte deutlich

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Stephan Alfter
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Barbara Kohlstruck auf einem E-Roller im Dienst der Kirche unterwegs. © privat

Ludwigshafen. Zehn Jahre führte Barbara Kohlstruck die evangelischen Christen in Ludwigshafen. Am Sonntag, 8. Mai, wird sie als Dekanin verabschiedet. Vorher haben wir uns mit ihr über den schweren Stand der Kirche unterhalten. 

Frau Kohlstruck, nach zehn Jahren scheiden Sie jetzt aus dem Amt der Dekanin. Hat die evangelische Kirche noch den Stellenwert wie zum Zeitpunkt ihres Amtsantritts?

Barbara Kohlstruck: Wahrscheinlich nicht. Das hängt sicher mit einer Gesamtentwicklung zusammen, dass Menschen Institutionen insgesamt nicht mehr die Bedeutung beimessen wie noch vor einigen Jahrzehnten. Dass Kirche einen stetigen Bedeutungsverlust erfährt, hat natürlich auch mit zurückgehenden Mitgliederzahlen zu tun. Und damit, dass wir nicht mehr überall so präsent sein können wie das vor einigen Jahren noch möglich war. Trotzdem glaube ich, dass unsere Stimme vor allem in den ethischen Fragen immer noch gehört wird. Ob diese Stimme dann maßgeblich ist, ist eine andere Sache.

Sie haben jetzt selbst gleich die Kirchenaustritte angesprochen. Es scheint - auch angesichts bekannt gewordener Missbrauchsfälle - einen Vertrauensverlust gegenüber der Kirche zu geben. Woran scheitert Kirche heute? An ihrem eigenen Personal?

Kohlstruck: Ich glaube, dass Menschen der Kirche den Rücken kehren, ist zum großen Teil Ergebnis eines längeren Entfremdungsprozesses, der gar nicht unbedingt mit negativen Erfahrungen zusammenhängen muss. Wenn Sie die großen Kirchenaustrittsbewegungen beobachten, dann beginnt das mit Leuten, die vielleicht in den 1940er Jahren geboren sind. Deren Kinder wurden nicht mehr getauft und deren Enkel werden es auch nicht mehr. Die gehen dann auch nicht mehr in einen kirchlichen Kindergarten oder den Religionsunterricht und werden nicht mehr konfirmiert. Das heißt, es wachsen Generationen heran, die ohne jegliche Berührung mit Glaubensfragen groß werden. Für den konkreten Kirchenaustritt gibt es verschiedene Gründe - sicherlich auch finanzieller Art. Und: Wir stehen ja auch für Werte, die in einer eher kapitalistischen Gesellschaft gar nicht mehr so ,en vogue’ sind - Gerechtigkeit, Integration von Schwächeren. Da haben manche Menschen einfach auch andere Ansichten.

Wer folgt im Amt nach?

  • Barbara Kohlstruck (62), verheiratet, zwei Kinder, hat nach zehn Jahren im Amt der Dekanin nicht mehr kandidiert. Ohnehin gibt es immer weniger Bewerber um die Stellen.
  • Nachfolger von Barbara Kohlstruck, die in Edigheim zu Hause ist, wird Paul Metzger. Der Pfarrer aus der Pfingstweide wurde von der Synode zum Dekan gewählt.
  • Der Protestantische Kirchenbezirk und die Jona-Kirchengemeinde laden zum Gottesdienst mit Verabschiedung von Dekanin Barbara Kohlstruck am Sonntag, 8. Mai, 14 Uhr, in die Apostelkirche. 

Aber die Menschen vermissen doch spürbar spirituelle Erlebnisse. Und sie suchen Antworten auf neue Fragestellungen unserer Zeit. Dafür könnte Kirche nach wie vor ein Ort sein. Holen sich das Menschen jetzt nur im Yoga?

Kohlstruck: Spirituelle Angebote finden bei uns auch durchaus Anklang. Aktionen wie „Stille in der Stadt“ wurden vor wenigen Jahren gut angenommen. Aber christlicher Glaube erschöpft sich nicht in Entspannungstechniken. Es gibt eine Botschaft und eine Bibel, die auch ethische Aussagen trifft. Aber ich gebe Ihnen Recht, dass wir an dem Punkt Spiritualität vielleicht auch noch offener werden müssen. Gefragt sind wir als Kirche aber oft an Stellen, wo es um Lebenshilfe geht. Ob das in der Suppenküche ist, in der offenen Jugendarbeit oder in der Flüchtlingsarbeit. Das sind alles Angebote, wo wir als Kirche sehr anerkannt sind und andere das als unmittelbar hilfreich empfinden. Manchmal habe ich den Eindruck, uns hängt immer noch ein Image an, das man vor 60 Jahren mit Kirche verbunden hat -ein Altherrenverein, der Dinge sagt, die kein Mensch versteht und die keine Relevanz fürs Leben haben.

Wir leben in einer Zeit sich aneinanderreihender Krisen. Müsste Kirche da nicht noch sichtbarer sein - beispielsweise bei der Organisation von Friedensdemos?

Kohlstruck: Naja, die Frage ist, ob wir die Massen erreichen, wenn wir allein als Kirche zu einer Demo aufrufen oder ob es nicht klüger ist, Bündnisse einzugehen. Bei der großen Ukraine-Demo in Mannheim sprach auch eine Pfarrerin aus Mannheim. Und ich selbst war auch dabei.

Sie haben eben selbst vom Altherrenverein gesprochen. Sie sind die letzte Dekanin, die nun geht. In der Pfalz gibt es nur noch männliche Kollegen.

Kohlstruck: Wir haben da eine Verlagerung von der mittleren auf die obere Ebene. In unserer Kirchenleitung sind vier von sechs Personen Frauen. Das Dekansamt ist aber eines, in dem sich Frauen noch mehr als Männer fragen, ob sie das wollen. Denn es ist sehr zeitintensiv und mit manchen Lebensphasen nicht gut vereinbar. Ich habe erwachsene Kinder und mein Mann hat mich sehr entlastet. Aber es wird auch wieder Dekaninnen geben.

Was bleibt ihnen denn aus ihrer Tätigkeit in Ludwigshafen in besonderer Erinnerung.

Kohlstruck: An erster Stelle würde ich nennen, dass wir die Trägerschaft der Kindertagesstätten zentralisiert haben. Damit haben wir eine Qualitätssteigerung bewirkt und eine Entlastung der Pfarrer und Pfarrerinnen selbst. Heute eine Kita zu leiten, überfordert eine einzelne Kirchengemeinde. Kirchenintern ist die Reduzierung von Pfarrstellen ein großes Thema. Da haben wir fünf Stellen verloren. Das sind fast 25 Prozent. Solche Einschnitte sind deutlich zu spüren. Im Reformationsjubiläumsjahr 2017 wurden wir mit vielen Veranstaltungen als evangelische Kirche deutliche wahrgenommen. Es wäre gut, sowas immer mal wieder zu haben.

Sie haben in einem Abschiedsschreiben selbst formuliert, dass Sie in der Gebäudefrage gerne ein wenig weiter gekommen wären. Können Sie das konkretisieren?

Kohlstruck: Wir hatten in Ludwigshafen mal 90 000 Gemeindeglieder. Wir sind jetzt bei etwas über 30 000. Aber wir haben nicht zwei Drittel der Gebäude reduziert. Das bringt Betriebs- und Unterhaltungskosten mit sich. Und die können die Gemeinden immer schwerer tragen. Die Einnahmen gehen zurück, deshalb steigt der Druck, Kosten zu reduzieren. Das heißt, Gebäude wirtschaftlicher zu betreiben oder sich davon zu trennen. Ich habe mehrere Anläufe genommen, diese Fragen zu diskutieren. Aber es war wohl der falsche Zeitpunkt oder die Notwendigkeit wurde noch nicht empfunden. Seitens der Mitglieder gibt es oft eine hohe Identifikation mit den Gebäuden. Deshalb ist die Frage, sich von einem Gemeindehaus zu trennen, nicht ganz einfach.

Apropos trennen: Was werden Sie denn tun, nachem Sie sich an diesem Wochenende gewissermaßen vom Amt trennen?

Kohlstruck: Ich werde meine Erfahrung noch fünf Monate im Landeskirchenrat einbringen. Und dann werde ich den Dingen und Menschen mehr Zeit widmen, die zu kurz kamen. Ob das Familie ist oder Freunde oder unser Garten in Edigheim. Auch für meine Enkelin, die ein Jahr alt geworden ist, hätte ich gerne mehr Zeit.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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