Mittlerweile völlig kahl sind die Bürofluchten im 15. Stock, in dem einst Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister mit weitem Blick bis in die Südpfalz residierten. Sogar der Putz an den Wänden ist abgeschlagen und der Estrich herausgebrochen. Sechs Etagen tiefer sieht es hingegen chaotisch aus. Armdicke Kabelstränge und Metallrohre sind abgeschnitten und hängen aus der Wand. Der Boden ist übersät mit zerschlagenen Trockenbauwänden. „Von außen ist der Fortschritt beim Rückbau des Rathaus-Centers wenig sichtbar, aber wir müssen erst alles gut vorbereiten, und dann kommt der große Hammer“, erläutert Klaus Möller, Abteilungsleiter Hochbau bei der Bauprojektgesellschaft (BPG), bei einem Rundgang am Mittwoch den Ablauf. Generell ist er bislang ganz zufrieden mit den Arbeiten für den etwa 80 Millionen Euro teuren Abriss, auch wenn „viele kleinere Probleme“ zu lösen sind.
Für unliebsame Überraschungen sorgten zwei Ausschreibungen, die nun wiederholt werden müssen. Grund: In einem Fall gab laut Möller keine Firma ein Angebot ab, im anderen Fall lag das Ergebnis der Ausschreibung weit über den Erwartungen. Davon betroffen sind die Abrissarbeiten im ehemaligen Einkaufcenter sowie der Rückbau der Fassade. Gleichwohl rechnet der Abteilungsleiter damit, dass noch dieses Jahr die ersten Fenster an dem 72 Meter hohen Gebäude abgenommen werden können.
Lagerung im ehemaligen Saturn
Die 350 Kilogramm schweren Fassadenelemente werden dann am Kran eingehängt und am Boden auseinandergebaut. Die etwa 150 Kilogramm schweren Glasteile werden später eingeschmolzen und wiederverwertet, Gleiches geschieht mit den Aluminiumrahmen. Auch das Kupfer in den Elektrokabeln wird wieder genutzt, berichtet Bauleiter Peter Oehm. Nur die asbesthaltige Silikonmasse wird als Sondermüll auf einer Deponie entsorgt.
Abriss nach 44 Jahren
- Das 15-stöckige Rathaus-Center auf dem Gelände des früheren Hauptbahnhofs wurde 1979 eröffnet. Im Erdgeschoss erstreckten sich 70 Einzelhandelsgeschäfte. Die Stadtverwaltung belegte die anderen 14 Stockwerke.
- Die Stadt kaufte 1992 den Rathausturm von einem Immobilienfonds. 2019 erwarb sie zudem das gesamte Einkaufszentrum für 46 Millionen Euro – um auch das benachbarte Großprojekt Hochstraße Nord/neue Stadtstraße besser bewältigen zu können.
- Ende 2021 wurde der Gebäudekomplex geschlossen, um den Abriss vorzubereiten. Eine Generalsanierung des Rathaus-Centers ist laut Gutachten wirtschaftlich nicht mehr vertretbar. Zudem könne durch den Abriss die neue Stadtstraße (Helmut-Kohl-Allee) schneller gebaut werden.
Schadstoffhaltiges Material wie etwa auch Dämmstoffe lagern die Bauarbeiter bereits in Hunderten von Säcken in den ehemaligen Verkaufsräumen des Saturn-Marktes zwischen. Problemfreie Materialien wie Holz, Metall und Glas sammelt die BPG indes in Containern im rückwärtigen Warenhof.
Eine Materialschlacht bedeutet der Abriss des Rathaus-Centers auch in anderen Bereichen. Aus dem Hochhaus samt Einkaufszentrum werden 115 000 Tonnen Beton abtransportiert. Auch dieses Material wird laut Oehm wieder verwertet, etwa für den Straßenbau.
In zwei Stockwerken prüfen die Verantwortlichen, ob es sich lohnt, Putz und Estrich aus Wänden und Böden zu entfernen. Oehm: „Wenn die Materialien mit Beton gemischt bleiben, bekommen wir wohl schlechtere Preise von den Recyclingunternehmen. Andererseits müssen wir den erhöhten Arbeitsaufwand gegenrechnen, um den Estrich herauszubrechen und den Putz abzuschlagen.“
„Die Hauptarbeit im Gebäudeturm ist aber schon gemacht“, verdeutlichtet Möller den Baufortschritt. Für Störungen sorgt dabei immer wieder der Vandalismusschaden an den Aufzügen vom Februar. „Sie leiden immer noch unter dem damaligen Wassereinfall und fallen häufig aus. Vor 14 Tagen ging sogar keiner der drei Fahrstühle“, berichtet Oehm.
Aufzüge bleiben störanfällig
Unbekannte waren im Februar in das Gebäude eingedrungen und hatten den Schlauch einer neu installierten Wasserleitung im 15. Obergeschoss gelöst. Rund 200 000 Liter Wasser liefen das Wochenende über aus, bis der Schaden bemerkt wurde. Die Aufzüge standen wochenlang still, weil Ersatzteile nicht beikamen. In dieser Zeit ruhten auch andere Arbeiten, da ohne Fahrstühle so gut wie kein Material im Hochhaus transportiert werden kann. Vandalismus, etwa beim Brand einer Baumaschine, war indes schon zuvor ein Thema für die Verantwortlichen der Großbaustelle. Daher wurden Maßnahmen wie etwa nächtliche Streifengänge verstärkt. Mit Erfolg: „In den vergangenen Monaten gab es keine Einbrüche mehr“, sagt Möller. Ein Bauzaun werde nun auch den Bereich am Parkdeck/B44 abschirmen, kündigt er an.
Erstmals gut sichtbar waren die vorbereitenden Arbeiten zum Abriss im Mai geworden. Ein 80 Meter hoher Autokran mit einer Traglast von 350 Tonnen hievte Abbruchmaterial und technische Anlagen vom Dachgeschoss. Aus finanziellen Gründen ist der Kran aber nicht immer vor Ort. „Eine Woche kostet uns 20 000 bis 30 000 Euro“, erläutert Oehm den hohen Aufwand. Der Kran wird später auch beim Rückbau des Hochhauses benötigt. Er bringt kleinere Bagger auf das oberste Stockwerk, die den Beton „anknabbern“ und sich etagenweise nach unten vorarbeiten. Für die unteren Etagen sind sogenannte Longfront-Bagger auf der Straße vorgesehen.
Jahrelang hatten sich Verwaltung und Stadtrat mit dem stark sanierungsbedürftigen Rathaus-Center befasst. Nach Ansicht von Bauexperten ist eine Generalsanierung nicht mehr wirtschaftlich vertretbar. Zudem würde vom Abriss ein weiteres Großprojekt in unmittelbarer Nähe profitieren. Die neue Stadtstraße, die die Hochstraße Nord ersetzen wird, könnte leicht verschwenkt und dadurch rund eineinhalb Jahre schneller gebaut werden als nach der ursprünglichen Planung.
Ende 2025, so der derzeitige Zeitplan, soll das Rathaus-Center aus dem Stadtbild verschwunden sein. Dann hat Ludwigshafen binnen eines Jahrzehnts ein weiteres Wahrzeichen verloren – nach BASF-Hochhaus und Tortenschachtel.
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