Ludwigshafen. Menschliches in seinen Facetten umspielen und auf besondere Weise ins Bild setzen: Ist das nicht das Hauptcharakteristikum der Filme des Regisseurs Andreas Dresen? Man denke an die zwei liebenden Senioren in „Wolke 9“, die Freundinnen in „Sommer vorm Balkon“, den Krebskranken in „Halt auf freier Strecke“ oder den DDR-Liedermacher in „Gundermann“.
Sie alle bringt Dresen einem ganz nah und erschließt über sie die zeitgeschichtlichen Umstände, die zu den jeweiligen Geschichten dazugehören. Ebenso konzentriert präsentiert sich sein jüngster Film „In Liebe, Eure Hilde“, der auf der Berlinale uraufgeführt wurde und im Oktober regulär in die Kinos kommen soll. Beim Festival des deutschen Films läuft er schon jetzt, demonstriert hier die besonderen Fähigkeiten der Hauptdarstellerin Liv Lisa Fries, die mit dem Preis für Schauspielkunst gewürdigt wurde, und konkurriert um den Filmkunstpreis.
Dresen erzählt seine Geschichte aus dem Widerstand gegen das NS-Regime auf ungewöhnliche Weise. Im Zentrum steht Hilde Coppi (Fries), die mit ihrem Mann zur Widerstandsgruppe Rote Kapelle zählte und dafür zum Tode verurteilt wurde. Dresen heroisiert die junge Frau und Mutter nicht, sondern setzt ihre Menschlichkeit und Humanität eher schlicht in Szene.
Aus ihrer Person ergibt sich ihre Handlungsweise – und Weltkrieg und Nazis werden eher am Rande erwähnt und kaum gezeigt. Dresen inszeniert eine Opposition, verkörpert im Personal des Films: Hier diejenigen, die auf Menschlichkeit setzen und sie befördern wollen; auf der anderen Seite jene, die diese bei sich selbst wie überhaupt unterdrücken (müssen). Auch die von Lisa Wagner verkörperte Gefängniswärterin wird nicht als Unmensch gezeigt, sondern als Person, die auf sich wie auf Andere zwar Zwang ausübt, aber auch zugänglich bleibt.
Schuld, Leid und die Sprachlosigkeit der Opfer
Kontur erhält so das Leben in einer Diktatur überhaupt, während die Besonderheit des Nationalsozialismus vernachlässigt wird. Ein diskussionswürdiges, aber jedenfalls überzeugend umgesetztes Vorhaben. Die Konzentration auf den Grundkonflikt von Humanität und Unmenschlichkeit verbindet den Film trotz aller formalen und zeithistorischen Unterschiede mit einer ebenfalls im Wettbewerb um den Filmkunstpreis gezeigten Folge der „Tatort“-Reihe der ARD, die alles andere als ein gewöhnlicher Krimi ist.
Bei der von Lars Kraume in Szene gesetzten NDR-Produktion „Schweigen“ geht es mehr um Hintergründe als um den konkreten Todesfall, bei dem es sich womöglich gar nicht um ein Verbrechen handelt. Um ein solches geht es insgesamt, nämlich einmal mehr um einen Fall von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche. In einem Kloster kommt ein Priester, der sich an Kindern vergangen hat, ums Leben. An der Aufklärung beteiligt sich Kommissar Falke (Wotan Wilke Möhring), der privat vor Ort war, weil er im Kloster Abstand von seiner Arbeit suchte. Das titelgebende Schweigen steht für die Vertuschung der Taten wie für die Sprachlosigkeit der Opfer – und ebenso für einen Grundzug Falkes, den man schon aus früheren „Tatort“-Folgen kennt.
Auch in diesem Film begleitet ein unausgesprochener Appell die Bilder: Man soll nicht die Augen verschließen vor Schuld und Leid; Humanität muss an erster Stelle stehen und Machtmissbrauch geahndet werden.
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