Ludwigshafen. Es ist die wilde Zeit. Die späten 1970er und frühen 80er Jahre. Robert Azari, damals um die 20 Jahre alt, ist Teil von Mannheims erster echter Punkband, den „Sucks“. Die Haare sind zu einer stacheligen Igelfrisur zementiert, der Blick ist finster. Geprobt wird im Feudenheimer Bunker. Für Auftritte reist die Gruppe bis nach Wien und München, nimmt mehrere Kassetten auf. Es ist diese Zeit, in der Azari erstmals mit obdachlosen Menschen in Kontakt kommt. Am Wasserturm trifft er sie. Und wo andere Menschen womöglich Berührungsängste hätten, da fühlt er sich von Beginn an hingezogen, verantwortlich, nah. Das Gefühl soll ihn sein Leben lang begleiten.
Heute ist der gebürtige Frankenthaler mit iranischen Wurzeln 61 Jahre alt. Die Igelfrisur ist einem Kahlkopf gewichen, der meist von einer Schiebermütze bedeckt ist. Der finstere Blick einem offenen, herzlichen Ausdruck. Segelschuhe, Stoffhose und Jeansjacke runden die Verwandlung ab. Seit mehr als 20 Jahren ist der frühere Punker als Straßensozialarbeiter in den Ludwigshafener Einweisungsgebieten unterwegs. Für die Ökumenische Fördergemeinschaft (ÖFG) betreibt er einen Jugendtreff und hilft Obdachlosen und von Obdachlosigkeit bedrohten Menschen. Einer größeren Öffentlichkeit ist er jüngst durch die SWR-Dokureihe „Bayreuther Straße“ bekannt geworden, in der Bewohner des Einweisungsgebiets in West ein Jahr lang begleitet wurden.
„Angefangen hat alles 1998, als ein Streetworker für einen Jugendtreff hier gesucht wurde“, berichtet Azari im Gespräch mit dieser Redaktion. Er bewarb sich, bekam die Stelle und hat sie seitdem nicht mehr verlassen. „Es hat gepasst. Ich bin in diese Aufgabe hineingewachsen und mache sie mit Herz“, sagt der 61-Jährige. „Ich hätte nie etwas anderes machen wollen.“
Arbeit mit Jugendlichen
Der „Jugendtreff“ war anfangs nicht viel mehr als die Betreuung einer kriminellen Bande in einer Wohnung in der Bayreuther Straße. „Das waren etwa 15 Jugendliche, die Einbrüche und Diebstähle verübt haben“, erinnert sich Azari. „Die haben eine Ansprechperson gebraucht.“ Gemeinsam mit der Gruppe richtete er einen Keller ein, in dem Partys gefeiert wurden. Straßensozialarbeit war damals noch Neuland, und Azari musste Aufklärungsarbeit betreiben. „Die Jungs dachten erst, ich bin ein Spitzel der Polizei oder so“, sagt er schmunzelnd. Im Laufe der Zeit konnte er jedoch ihr Vertrauen gewinnen. „Mit einigen aus der ersten Gruppe habe ich heute noch Kontakt“, berichtet er von einer engen Bindung.
Die Arbeit mit jungen Menschen ist schon immer Azaris Steckenpferd. Auch heute bereitet ihm die mobile Jugendarbeit noch am meisten Freude. Mit seinem Jugendtreff hat er eine Anlaufstelle für Kinder und Heranwachsende geschaffen, die aus schwierigen sozialen Verhältnissen kommen. „Wir chillen, kochen, machen Musik, gehen schwimmen“, berichtet er. Doch auch schwierige Themen wie Schule schwänzen, Gefängnisbesuche und Drogenberatung stehen für den Sozialarbeiter auf der Tagesordnung. „Über die Jahre habe ich viel Erfahrung gesammelt und habe einfach einen Zugang zu diesen Themen, erkenne es, wenn jemand Probleme hat“, sagt er.
Doch nicht nur für die Jugendlichen, sondern auch für die Erwachsenen in den Einweisungsgebieten ist Azari der erste Ansprechpartner. Er hilft bei Anträgen, Behördengängen oder ganz praktischen Fragen wie fehlenden Einrichtungsgegenständen. In all den Jahren hat Azari viel Elend erlebt, viele Schicksale, die ihm nahe gegangen sind. „Ich habe viele Bewohner kennengelernt, die gestorben sind. Die zu tief drinnen waren in einer Sucht. Das sind Bilder, die dir nicht mehr aus dem Kopf gehen“, sagt er.
„Ich sehe den Menschen“
Ein ausgewogenes Distanz-Nähe-Verhältnis sei in diesem Zusammenhang wichtig, um an den Schicksalsschlägen nicht kaputtzugehen. Ein allgemeines Rezept gebe es aber nicht. „Mir hilft Fahrradfahren, die Natur, Malen. Aber auch die Zeit“, sagt Azari. Und die Arbeit bringe auch viele schöne Erfahrungen mit sich. „Man kann die Menschen aufbauen, ihnen Impulse geben. Es gibt auch Erfolgserlebnisse.“
Berührungsängste hat Azari nicht. Er hat sie schon damals nicht, als er in seiner Punkerzeit erstmals mit Obdachlosen in Kontakt kommt. „Ich sehe immer den Menschen, der in einer Lebenskrise steckt. Auch wenn er abgetragene Klamotten trägt und kein Dach über dem Kopf hat – es ist ein Mensch. Mit Fähigkeiten und Potenzialen. Ein Mensch, der aus welchen Gründen auch immer nicht richtig Fuß gefasst hat im Leben.“ Azari hat Fuß gefasst. Auch wenn seine Biografie ebenfalls nicht geradlinig verlaufen ist, wie er selbst sagt. Er hat seine Bestimmung gefunden und lebt sie seit mehr als 20 Jahren – in den Einweisungsgebieten der Stadt Ludwigshafen.
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