Schauspiel

Lina Beckmann und Kollegen brillieren im Pfalzbau

Einen echten "Blood-Rausch" auf Denglisch zeigte das Deutsche Schauspielhaus Hamburg am Wochenende bei den Frühlingsfestsspielen im Theater im Pfalzbau. Lina Beckmann spielt darin Richard III. zum Niederknien

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Erschöpft: Nach zig Morden und vier Theaterstunden hat der Herzog von Gloucester Zugriff zur Krone. Lina Beckmann ist nun König Richard III. © Monika Rittershaus

Ludwigshafen. In Hamburg spricht man für gewöhnlich gutes Deutsch. Selbst auf der Bühne. Aber you haben right gelesen. So how the Titel there oben says, war it im Theater. Für die zahlreichen Englischlehrer im an zwei Abenden ausverkauften Ludwigshafer Theater im Pfalzbau fraglos eine echte Zumutung, sind sie doch mit ihren Oberstufenschützlingen auch der Sprache wegen hergekommen. Und natürlich, um mit „Henry VI.“ und „Richard III“ gleich zwei große Königsdramen William Shakespeares zu sehen.

Dort gewesen zu sein, wird keiner bedauern - trotz der manchmal witzigen, auf Dauer aber auch nervigen deutsch-englischen Sprachverhunzungen namens „Denglisch“, die gleich zwei schöne Sprachen entstellt und versaut. Sei’s drum. Diesen Abend vergisst man nicht. Seiner Heftigkeit wegen, seines Bühnenraums wegen, seiner Länge wegen und - das Beste kommt immer zum Schluss - seiner Schauspieler wegen.

Sie, die giert und geifert, würgt, meuchelt und heuchelt, sticht, schlitzt, lügt und intrigiert ist ein Naturereignis mit Namen Lina Beckmann und besetzt als Herzog von Gloucester und späterer Richard III. Seinen Buckel braucht sie nicht spielen, wenngleich sie mit dem Publikum darüber verhandelt, wie Beckmann des Öfteren in kokette Zwiesprache über die Schauspielkunst, auch die eigene, geht. Der große englische Dichter tut dies in allen seinen Stücken, sind wir doch alle nur Spieler, Narren auf Brettern, die - Sie wissen schon ...

Die Verkrüppelungen des ewig benachteiligten Königskindes zu zeigen, auch die motorischen, vor allem aber die seelischen, ist Aufgabe eines Mimen und in der Setzung des Hamburger Schauspielhauses, einer Mimin. Geschlecht spielt hier keine Rolle, das Adelsgeschlecht schon, schließlich geht es um das Ende der Rosenkriege zwischen den Häusern York und Lancaster. Weiß wie die Leichen auf den Schlachtfeldern ist die eine, rot wie das dort vergossene Blut ist die die andere Wappenblume.

Ein König im Zentrum

Innerhalb der Königsdramen Shakespeares nimmt „Richard the Kid & the King“ wie Karin Henkel ihn mit Bezug auf die Spielfassung Tom Lanoyes und Luk Percevals nennt, eine Sonderrolle ein. Er steht absolut und monolithisch im Zentrum, kaum eine Szene ohne hin, er ist Dreh- und Angelpunkt des grausigen Geschehens, Auslöser, Auftraggeber und Ausführender in einem - und somit prädestiniert für große Staatsmimen: Devrient, Olivier, Kortner, Eidinger, Cumberbatch und nun eben auch Lina Beckmann, die dazu noch brillante Kollegen zur Seite hat. Etwa die Britin und Castorf-Legende Kate Strong, die knarzen, toben und fluchen kann, dass sich die Balken biegen. Der ganze, lange Abend lebt von Doppelbesetzungen und deren spannenden Rollenübergängen.

Strong spielt Edward IV. und die Herzogin von York, also Richies Mummy, Bettina Stucky mit prallem Furor, seinen Bruder George und Königswitwe Elisabeth. Den Vielseitigkeitsvogel schießt allerdings Kristof Van Boven ab. Die Sehnen seines ewig angespannten Körpers schießen Pfeile mit hochenergetischer Durchschlagskraft über Geschlechtsgrenzen hinaus: Sein gutmütiger Henry VI. oder sein ehrgeiziger Prinz Edward sind nicht minder faszinierend wie seine beiden Frauenrollen als Lady Anne und Königin Margaretha.

Wie soll ein Kind werden, vor dessen Schaukelpferd man bereits die abgeschlagenen Köpfe von Vater und Bruder baumeln lässt. In blutigen Plastiksäcken, versteht sich. Grausam und gewaltbereit wird ein solches Kind, das - Shakespeare liebt symbolistische Orakel - bereits mit Zähnen zur Welt kam, um zu beißen, auch in Hälse, Därme, Kinder - und in alle Richtungen. „Gewaltbereit“ ist hier eine Untertreibung.

Gewalt damals und heute

Bühnenbildnerin Katrin Brack hat der Gewalt in ihrem sensationell atmosphärisch wie bedrohlich über dem schwarzen Bühnenrund schwebende Kosmos, daher noch filmisches Kontrast-Kolorit beigemischt. Eine gewisse Schäbigkeit wie man sie vom schottischen Drogenelend aus „Trainspotting“ kennt (die Musik von Arvild J. Baud belegt es), liegt über allem, außer über den glanzvollen Kostümen von Klaus Bruns.

Schließlich sind wir bei Königs. Was uns nicht von bestimmten Heutigkeiten verschont. Wenn von „flachen Hierarchien“, „gemeinsamen Zielen“, „Work-Life-Balance“ oder „Kommunikation auf Augenhöhe“ die business-deutsche Theaterrede ist, lacht das Publikum höhnisch. Die Ansage des künftigen Königs, lässt nichts Gutes vermuten. „Bullshit Bingo“, sagt einer hörbar, und auf der Bühne fällt der passende denglische Kalauer: „I break together“.

Wenn alle Intrigen gesponnen, alle Kontrahenten, Helfershelfer und Verwandten geschlachtet sind, gibt es kein Reich mehr, das man gegen ein Pferd tauschen könnte. Das Schaukelpferd tut’s auch. Auf der Bühne und im Saal ist man erschöpft. Und begeistert von einem wirklich großen Abend. Ovationen.

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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