Ludwigshafen. Die Ärzte bemerken es nicht. Doch Kiwi Man fällt sofort auf, dass bei ihrer Tochter Leonie etwas anders ist. Schon in dem Moment, als sie nach der Geburt erstmals auf ihrer Brust liegt. „Ich habe es an den Augenbrauen erkannt“, berichtet die 35-Jährige.
Von den Schmerzmitteln noch halb benommen, habe sie ihre Vermutung in den Raum gestellt: „Meine Tochter hat das Down-Syndrom.“ Eine Woche lang heißt es warten und hoffen. Der Bluttest bringt dann die Gewissheit, die Kiwi und ihrem Mann Segid Negasi erstmal den Boden unter den Füßen wegzieht: Leonie hat Trisomie 21, eine Veränderung in den Erbanlagen, die für Betroffene Beeinträchtigungen motorischer und geistiger Art nach sich zieht.
Trisomie 21
- Trisomie 21 (auch Down-Syndrom) ist eine Anomalie des Chromosoms 21, die geistige Behinderung, Kleinwuchs und charakteristisches Aussehen verursachen kann.
- Betroffene sind anfälliger für Erkrankungen und haben eine geringere Lebenserwartung.
- Die Inzidenz bei Neugeborenen liegt bei etwa 1:700. Durch verbesserte Pränataldiagnostik ist die Zahl rückläufig.
Mit ihren Alltagsvideos erreicht die Familie Tausende Follower bei Instagram, Youtube und TikTok
Fünf Jahre später. Ein Garten im Wohngebiet am Ludwigshafener Rheinufer Süd. Ein Mädchen mit langem dunklem Haar legt sich einen Fußball zurecht, läuft in ihrem lilafarbenen Sommerkleid an und kickt den Ball in ein kleines Tor, in dem ihr bester Freund vergeblich den Fuß ausstreckt, um den Einschlag zu verhindern. „Sehr gut Leonie. Und jetzt ist Lian dran“, sagt Segid Negasi zu seiner Tochter. Mutter Kiwi steht mit ein wenig Sicherheitsabstand daneben und filmt die Szene mit dem Handy. Die Szene eines glücklichen Kleinfamilienlebens.
Segid und vor allem Kiwi nehmen viele solcher alltäglichen Momente auf. Und dann posten sie sie auf ihren Social-Media-Kanälen - Instagram, TikTok oder Youtube. Denn das Paar aus Ludwigshafen hat sich zur Aufgabe gemacht, über das Leben mit dem Down-Syndrom aufzuklären. „Wir wollen anderen Menschen Einblicke geben und Mut machen“, sagt Kiwi. Mit rund 12 500 Followern bei Instagram, 22 000 bei TikTok und mehr als 2600 bei Youtube stoßen sie damit schon auf große Resonanz.
Die eigene Hilflosigkeit nach der Diagnose war Auslöser, das eigene Leben öffentlich zu machen
Es ist ihre eigene Situation vor fünf Jahren, die die Idee reifen lässt, offensiv mit dem Thema umzugehen. „Nach der Diagnose haben wir uns viele Sorgen gemacht. Wie wird es unserem Kind gehen? Wird es laufen können? Wird es überhaupt überleben?“, berichtet Kiwi.

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Im Krankenhaus habe sie sich einsam gefühlt, so als sei sie die einzige Mutter auf der Welt, deren Kind das Down-Syndrom hat. Dabei liegt die Wahrscheinlichkeit bei Neugeborenen bei 1: 700. In ihrer anfänglichen Hilflosigkeit machen sich die beiden auf die Suche nach Informationen. „Wir wollten Erfahrungen von echten Menschen sehen. Dinge, die uns Mut machen. Leider haben wir im Internet fast nur Horrorgeschichten gefunden“, sagt die Mutter.
Und deshalb wollen Kiwi und Segid jetzt selbst diese Menschen sein. „Wir wollen zeigen, wie lebenswert das Leben ist. Wir wollen lachen, denn im ersten Moment nach der Diagnose denkt man, dass man nie wieder etwas zu lachen haben wird“, sagt Kiwi.
Mit einem Video, in dem sie von ihrem Mutterinstinkt direkt nach der Geburt berichtet, geht sie viral. Seitdem steigen die Followerzahlen an, Menschen aus ganz Deutschland, der Schweiz und Österreich wollen am Leben der Kleinfamilie aus Ludwigshafen teilhaben. Viele davon haben ebenfalls ein Kind mit Down-Syndrom, andere haben die Diagnose bereits in der Schwangerschaft erhalten und suchen Rat. „Es geht aber nicht nur um das Down-Syndrom, sondern um Beeinträchtigungen generell“, sagt Segid.
Warum Tochter Leonie trotz Down-Syndrom einen Regelkindergarten besucht
Die wichtigste Botschaft, die das Paar vermitteln will, ist, dass Menschen wie Leonie einen Platz mitten in der Gesellschaft verdient haben. Aus diesem Grund schicken sie ihre Tochter auch in einen Regelkindergarten. Allerdings nicht in Ludwigshafen, sondern in Mannheim. „Wegen eines Mangels an Erzieherinnen wäre die inklusive Betreuung in Ludwigshafen nicht möglich gewesen“, berichtet Vater Segid. In der Mannheimer Einrichtung gibt es eine Inklusionskraft, die sich eng um die Betreuung von Leonie kümmert.
Bislang geht das Konzept voll auf. „Die anderen Kinder haben Leonie super aufgenommen. Sie können ja noch gar nicht richtig einschätzen, was sie hat. Sie wissen aber, dass für sie vieles schwieriger ist. Sie helfen ihr alle rührend, nehmen sie bei der Hand oder ziehen ihr die Schuhe an“, berichtet Kiwi. Menschen mit dem Down-Syndrom sind in ihrer motorischen Entwicklung verzögert, ihre Muskeln bleiben schwach entwickelt, die Sprachentwicklung ist ebenfalls verzögert. Auch bei Leonie ist das der Fall. Dennoch wächst das Mädchen mehrsprachig auf, wie die Eltern berichten. Kiwis Familie kommt aus Hongkong, Segids aus Eritrea.
Mutter Kiwi: „Menschen mit Down-Syndrom versprühen Liebe und Empathie“
Den Alltag mit Kindern ohne Beeinträchtigung zu verbringen, sei für die Entwicklung ihrer Tochter wertvoll. Doch auch umgekehrt sei der Kontakt zu Leonie für die anderen Kinder im Kindergarten wichtig. „Sie lernen früh den Umgang mit Menschen, die anders sind. Außerdem können Menschen mit Trisomie 21 so viel geben, sie haben fast immer ein Lächeln im Gesicht, versprühen Liebe und Empathie“, sagt Kiwi.
Das Paar macht aber auch keinen Hehl daraus, dass das Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom herausfordernd ist. „Der Förderbedarf ist natürlich deutlich größer. Wir gehen häufig zu verschiedenen Therapien“, sagt Segid. Ein weiteres Kind wollen die beiden erstmal nicht, um ihrer Tochter voll gerecht werden zu können.
Auch ein Podcast über das Elternleben mit Down-Syndrom gehört inzwischen zum Repertoire
Aus diesem Grund hat sich die einstige Führungskraft im Einzelhandelsbereich auch selbstständig gemacht. Er schult jetzt Führungskräfte und Fußballtrainer, kann sich seine Arbeitszeit besser einteilen. Kiwi hat ihre eigene Beauty-Marke gegründet und vertreibt damit Pflegeprodukte. Und auch mit ihrer großen Reichweite bei Social Media verdienen die beiden inzwischen Geld. Ein Podcast mit dem Titel „Elternleben mit Down-Syndrom“ gehört inzwischen ebenfalls zum Repertoire.
Nach der Schock-Diagnose vor fünf Jahren haben sich Kiwi und Segid im alltäglichen Leben mit ihrer Tochter mittlerweile voll eingegroovt. Und auch wenn diese niemals ein eigenständiges Leben wird führen können, so wollen ihre Eltern ihr doch eine möglichst normale Jugend ermöglichen. Und das wünschen sie sich auch für alle anderen Kinder mit Trisomie 21.
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