Es war eine wunderbare Installation, mit der die in Südkorea geborene Gin Bahc die Presseleute im Wilhelm-Hack-Museum empfing: Klopapier! In riesigen Bahnen von der Decke herabhängend, sanft ausrollend auf dem Fußboden, makellos weiß – überirdisch!
Gin Bahc hat das Material nicht zum ersten Mal für eine Installation benutzt, aber in Ludwigshafen sicher für die schönste. Nur schade, dass das Zeug so wenig haltbar ist. Ebenso wie die Reiskörner, mit denen sie auf die Treppenstufen ein „Ja“ streute, oder die penibel zu Quadraten gelegten Spaghetti. Wieso “Ja“? Die markenlose Marke aus dem Supermarkt sei das erste gewesen, was ihr in Deutschland aufgefallen sei, heißt es, und entsprechend beglückte sie die Presse in weißer Verkaufskleidung mit breit aufgedrucktem blauem „JA!“
Der Einstieg ins „Deltabeben“ 2024, der „regionalen“ Kunstausstellung, die alle zwei Jahre zwischen Ludwigshafen und Mannheim wechselt, ist damit geglückt. Wegen der Coronapandemie und später auch noch eines drohenden finanziellen Ausfalls in Ludwigshafen war der Rhythmus aus dem Takt gekommen. Wenn bereits nächstes Jahr das Delta wieder in Mannheim bebt, wäre die Schau wieder im alten Zeitverlauf.
Die „Regionale“ soll vor allem jungen Kunstschaffenden der Region ein Forum bieten. Sie wurden dieses Mal von 11 Personen aus der Szene vorgeschlagen, und eine Altersbegrenzung entfiel. Auch die Region wurde weit gefasst, die meisten Teilnehmenden haben zumindest durch ihr Studium eine größere Nähe zu Karlsruhe als zu Mannheim/Ludwigshafen/Heidelberg, einige haben Verbindungen zur Kunsthochschule Mainz, so dass das „Deltabeben“ nun den Brückenkopf zwischen den beiden Polen darstellt. Und wenn man einen Begriff sucht, der alle 21 Persönlichkeiten verbindet, dann ist es das Zauberwort „Beziehungen“.
Auch auf die Renovierung der Hochstraßen nimmt man Bezug
Die schöpferischen Ideen entstanden nicht isoliert und stehen mitunter anders für sich selbst als früher. Nicht nur soziale Prozesse spielen eine Rolle wie etwa bei der schönen Video-Installation „Spinning Communion“ von Dajana Krüger, bei der Einzelporträts unversehens miteinander kommunizieren, sondern vor allem Beziehungen zwischen einander widersprechenden Wirklichkeitsebenen.
Fritzi Haußmann etwa bemächtigte sich der roten Plastiknetze, mit denen in Ludwigshafen die Hochstraßen abgesichert werden, und verknotete sie mit schwarzen Schläuchen zu einer beeindruckenden Skulptur. Cynthia Wijono bereichert die Schau durch unregelmäßig geformte farbige Hohlkugeln aus Papier- und Pflanzenmasse und evoziert damit Wespennester. Ihre besondere Beziehung zu Pflanzen veranlasst sie, deren Schatten zu zeichnen, so dass auch immaterielle Wirklichkeit eine Rolle spielt.
Eine radikale Überschreitung von Mensch-Tier-Ebenen betreibt Laura Gaiser, die handgeschnitzte Karussell-Tiere aus ihrer Kindheit kombinierte mit teils verstörenden Videos, auf denen Tier-Mensch-Wesen so behandelt werden, wie Menschen Tiere behandeln – Töten, Benutzen, Ausbeuten… Die organoide Nähe ist dabei ebenso schlüssig wie zugleich erschreckend.
Auch der Künstler Philipp Emde bedient sich der Tierwelt für seine Malerei, aber es sind Stofftiere, die er seit seiner Kindheit sammelt. Mit einem ausgeprägten Sinn für Humor kombiniert er hehre abstrakt-monochrone Gemälde mit niedlichen Stoffaffen, die auf schmalen Stangen vor den Bildflächen herumhampeln, als wären es Betrachter, die eine abstrakte Wirklichkeit in ihr Leben integrieren möchten. Der Gegensatz zwischen beiden Welten jedenfalls ist eklatant.
Manchmal geht es in der Doppel-Schau auch eher politisch zu
Eher politisch geht es zu bei dem Team Illig + Illig und der Performance „Flaggen weiß waschen“. Auf dem Video ziehen fünf fahnenschwingende Akteure ins Grün, wo sie fünf Bottiche mit Wasser, Seife und Bürsten vorfinden (Fahnen und Bottiche stehen real im Museum), und dann schrubben sie so lange, bis die Fahnen weiß und die Herrschaftssymbole verschwunden sind. Bei der Pressekonferenz erhob sich die Frage, was wäre denn, wenn wir uns nicht mehr voneinander abgrenzen könnten? Ja, schlimm, wir wären alle nur noch Menschen…
Den wohl radikalsten Beitrag jedoch lieferte das Team Christopher Amm/ Eva Gentner/ Adrian Nagel im Kunstverein zum Thema “Unbestimmtheit“, sichtbar gemacht an einem Monitor mit Bilderrauschen, an mit Granatapfelkernen unterschiedlich gelb gefärbten Stoffbahnen, an kleinen, völlig unterschiedlich farbigen Materialknubbeln zum Thema „Blau“ sowie mit Handzeichnungen über das Problem der Haarmenge auf einem Kopf… Wen wundert’s, wenn dann noch im Nebenraum eine Reihe von Holz-Orgelpfeifen durch Luftzirkulation angeregt wird und dass aus einer dreistündigen Putin-Rede nur seine Atempausen, Räusper und Seufzer zu hören sind, 12 Minuten lang?! Vielleicht sind es mathematische Unbestimmtheiten, die unser Leben prägen.
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