Ludwigshafen. Musik löst Emotionen aus und weckt Erinnerungen – auch die, die tief in uns schlummern. Jeder hat wahrscheinlich mindestens ein Lied, dass ihn gedanklich direkt wieder in eine bestimmte Situation zurücktransportiert. Genau diesen Mechanismus macht sich die Deutsche Staatsphilharmonie in ihrer neuen Veranstaltungsreihe „Musik – Unvergessen“ zunutze. Die startet am Samstag mit dem ersten demenzsensiblen Konzert in der Philharmonie in Ludwigshafen.
Idee hängt mit perönlichen Erfahrungen mit Demenzkranken zusammen
Die Idee zu dieser besonderen Art der Musikerfahrung kam Miriam Tressel (Bild), der Assistentin des Intendanten Beat Fehlmann, aufgrund von persönlichen Erfahrungen mit der Krankheit. Ihr Vater sei an Demenz erkrankt, erzählt sie. Sie pflege mit ihm die Tradition, gemeinsam Erinnerungsorte zu besuchen. Dabei würden sie auch immer zusammen Volkslieder singen. „Wenn er einen schlechten Tag hat, kaum mehr auf mein freudiges Hallo mit einem Nicken antworten und dann später ein Volkslied bis zur fünften Strophe auswendig mitsingen kann, dann sieht man, wie viel Musik ausmacht“, erzählt Tressel. Nach dem Singen sei die Persönlichkeit ihres Vaters plötzlich wieder da.
Die Besucher sollen sich nicht stigmatisiert fühlen.
Die Musik, die als Schlüssel zur eigenen Erinnerung dient, sieht für jeden anders aus. Meist funktionieren Stücke gut, die etwas mit der eigenen Biografie zu tun haben. „Zum Beispiel: Was für ein Song lief bei meinem ersten Kuss? Was wurde auf meiner Hochzeit gespielt? Das sieht für jeden Menschen anders aus“, sagt Tressel. „Jeder kann das einmal für sich selbst überlegen: Welche Musik habe ich in meiner Biografie? Was würde mich erreichen? Das ist so eine Art musikalisches Testament.“
Ihre Eltern hätten immer ein aktives Leben geführt, sich aber dann aufgrund der Erkrankung immer weiter zurückgezogen. Um Betroffenen wie Tressels Eltern wieder die Teilnahme an Veranstaltungen zu ermöglichen, entschloss sich die Staatsphilharmonie zur demenzsensiblen Konzertreihe.
Früher Beginn der Konzerte
Die Konzerte sind für Erkrankte und ihre Angehörigen konzipiert. Das besondere Konzept ist schon von Anfang an gedacht: Zwar steht auf dem Flyer der Veranstaltung noch „Konzert für Menschen mit Demenz und ihre Angehörige“, im Umfeld und im Konzert selbst wird dieser Hinweis jedoch nicht mehr auf dem Programm stehen. „Die Besucher sollen sich nicht stigmatisiert fühlen“, erklärt Tressel.
Das Konzert findet außerdem bereits um 14.30 Uhr statt. Die frühe Uhrzeit stellt sicher, dass alle an der Veranstaltung teilnehmen können, ohne dass diese zu spät in den Abend hineinreicht. Die Stadtverwaltung stellt zudem sicher, dass die Besucher direkt an der Philharmonie parken können, so dass nur wenige, ebenerdige Schritte zum Eingang bleiben.
Dort werden die Gäste von Personal empfangen, das von Bernd Reuschenbach, Professor für gerontologische Pflegewissenschaft, geschult wurde. Dies bedeutet, dass in der Kommunikation mit den Betroffenen beispielsweise kurze, klare Sätze verwendet werden und keine Entweder-oder-Fragen gestellt werden.
Dazu kommt eine flexible Bestuhlung im Saal, so dass auch Menschen mit Rollator oder im Rollstuhl bei ihren Angehörigen sitzen können. Außerdem ist in der Nähe ein Raum bereitgestellt, der für Ruhe und Rückzug gedacht ist, falls das Konzert die Besucher überanstrengen könnte. Dieser Raum ist in der Nähe von Sanitäranlagen, so dass auch im Falle von Inkontinenz der Weg nicht weit ist.
Besetzt ist das Konzert mit einem Quintett, also fünf Musikern. Ein ganzes Orchester könnte überreizend wirken, sagt Tressel. Sie wolle den Rahmen eher klein halten. Zu Beginn und zum Ende der 45-minütigen Veranstaltung wird ein Volkslied gesungen. Jedes der Konzerte wird zudem einen anderen Schwerpunkt haben.
Bei der ersten Veranstaltung am Samstag wird der Fokus auf der Sturzprävention liegen. Beim Marsch aus dem Nussknacker können die Besucher bei verschiedenen Übungen mitmachen, die das Team gemeinsam mit Experten für Sturzprävention, Clemens Becker und Franziska Kramer-Gmeiner, erarbeitet hat.
Zum Austausch: Kaffeetreffen im Anschluss
Im Anschluss an die Konzerte gibt es ein Kaffeekränzchen, bei dem sich alle Beteiligten ungezwungen austauschen können. Auch verschiedene Institutionen werden dann dabei sein, zum Beispiel die Alzheimer Gesellschaft und der Seniorenrat Ludwigshafen.
In diesem Rahmen sollen sich Pflegende und Betroffene austauschen und niederschwellig über verschiedene Betreuungsangebote informieren können. „Ein Großteil der Menschen mit Demenz wird in Rheinland-Pfalz im häuslichen Kontext gepflegt“, sagt Tressel. „Menschen, die das leisten, haben eine Mammutaufgabe. Und Hilfe anzunehmen ist manchmal wirklich schwer.“
Das Konzert am Samstag ist mittlerweile schon ausgebucht. Aber im Laufe des Jahres sind zwei weitere Termine geplant, einer am 22. Juni und einer am 21. September, dem Welt-Alzheimertag. Auch im Anschluss an diese drei Veranstaltungen soll das Projekt fortgeführt werden. Geplant sind drei Konzerte in jedem Jahr. Wer Interesse an der Teilnahme beim demenzsensiblen Konzert hat, kann sich unter der E-Mail-Adresse tressel@staatsphilharmonie.de oder unter der Nummer 0621/5 99 09 17 anmelden.
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