Ludwigshafen. Markus Enders schiebt den roten Vorhang zur Seite und betritt das Geschäft. Die Wände sind über und über bedeckt mit DVD-Hüllen. Darauf zu sehen sind nackte Frauen, Männer, Geschlechtsteile, Sexszenen. „Wir haben ungefähr 1000 Pornofilme im Angebot“, sagt der Mann in der grauen Hose und dem roten Shirt. Hinter einer Metalltür wird die Luft dicker, hier brennt kein Licht mehr. Stöhnen dringt aus einem der drei abgedunkelten Räume, in denen täglich 40 bis 45 meist männliche Kunden ihre Lust befriedigen. Das ist Markus Enders’ Welt. 49 Jahre, schwul, Geschäftsführer von Mike’s Erotiktreff, einem der letzten Pornokinos in Ludwigshafen.
„Ein Geschenk Gottes“
Und dann gibt es da noch einen völlig anderen Markus Enders. Einen streng gläubigen Katholiken, der jeden Sonntag bei der Heiligen Messe in der Freimersheimer Pfarrkirche an der Orgel sitzt. Der in diesen Momenten abtaucht in die Religiosität, wie er selbst sagt, und an den Tasten völlig aufgeht. „Mit 13 Jahren habe ich zum ersten Mal die Kirchenorgel gespielt. Mittlerweile mache ich es seit 36 Jahren.“ Gottesdienste besucht er, seit er denken kann. Mit sechs Jahren wurde er Ministrant.
Was für viele ein Widerspruch sein mag, ist für den gelernten Bürokaufmann ganz normal. „Sexualität ist ein Geschenk Gottes“, betont der Mann, der in Monzernheim im Kreis Alzey-Worms wohnt. „Das Thema wird bei der Kirche schlicht und ergreifend totgeschwiegen. Für mich ist das aber überhaupt kein Problem.“ Mit dem Keuschheitsgebot würden sich die katholischen Geistlichen nur selbst im Weg stehen. „In der Bibel steht nichts davon. Warum muss man an diesen alten Zöpfen festhalten?“, sagt Enders.
Keinen Widerspruch, vielmehr eine Symbiose sieht der 49-Jährige, wenn er an seine Arbeit und seinen Glauben denkt. „Im Erotiktreff begegne ich täglich sehr wertvollen Menschen, denen man das auf den ersten Blick nicht ansehen mag“, berichtet er. „Ich interessiere mich nicht nur für ihr Geld, sondern für das, was hinter der Person steht. Den Geistlichen in meiner Gemeinde habe ich es schon oft gesagt: Ich führe mehr religiöse Gespräche an der Pornokasse als nach einer Messe.“ Gerade ältere Kunden hätten oft den Bedarf, über die Kirche und deren „verkorkste“ Moral zu sprechen. Einige seien auch verheiratet und würden nebenher heimlich ihre Bisexualität ausleben. Markus Enders vertrauen sie ihre Geschichten unverblümt an.
Im Erotiktreff begegnet dem Rheinhessen eine Offenheit, von der er in der Kirche nur träumen kann. „Da herrscht in weiten Teilen eine große Scheinheiligkeit“, sagt er. Gerade die Kirchgänger in seiner Gemeinde seien fast geschockt, zumindest aber überfordert damit, dass er in einem Pornokino arbeite. „Vor ihrem inneren Auge sehen sie mich wahrscheinlich auf der Leinwand, und nicht an der Kasse“, sagt der Organist. Häufig würden diese Menschen das Weite suchen, wenn sie ihn sehen. „Diese Leute reden nur hinter deinem Rücken über dich, nicht mit dir persönlich.“
Missbrauch in der Jugend
Enttäuschungen hat der 49-Jährige mit der Katholischen Kirche in seinem Leben einige erlebt. Als Zehnjähriger wurde er von einem Kaplan sexuell belästigt. Aufgearbeitet worden sei der Fall beim Bistum Mainz nicht. „Der Mann wird wohl sterben, ohne dass er einmal mit seiner Tat konfrontiert wurde“, sagt Enders. Im Jahr 2001 ging er nach Salzburg und schloss sich einer Petrus-Bruderschaft an, die noch die von ihm geliebte alte Lateinmesse feierte. Fünf Jahre spielte er dort Orgel, ehe er wegen seiner „faktisch ausgelebten Homosexualität privat nicht mehr erwünscht“ war. Zutiefst betrübt kehrte er in die Heimat zurück.
Wunsch nach Offenheit
Trotz allem hielt es ihn bei seinem katholischen Glauben. „Das steckt tief in mir drinnen, ist fast wie eine Sucht“, sagt er. In seinem heimischen Atelier macht er Kunst, vor allem Heiligendarstellungen und Fresken auf Leinwand. In ruhigen Stunden betet er zuhause mit dem Rosenkranz. „Aber nur, wenn ich für mich bin. Ich trage das nicht zur Schau.“ In seiner Heimatgemeinde wurde Enders nach der Zeit in Salzburg herzlich aufgenommen. Dort gehen die meisten offen mit seiner Homosexualität um. Das Bistum Mainz habe sich bislang nicht zu seiner Arbeit in einem Pornokino geäußert. Auf Anfrage sagt ein Sprecher: „Es ist nicht Aufgabe des Bistums, die Lebensführung einzelner Menschen öffentlich zu bewerten.“
Für die Zukunft wünscht sich Enders von seiner Kirche vor allem mehr Offenheit und Ehrlichkeit. Auch und vor allem im Umgang mit Sexualität. Denn, so sagt er: „In mein Kino kommen auch immer wieder Geistliche – und zwar beider Konfessionen.“
Mike’s Erotiktreff
- Mike’s Erotiktreff in der Amtsstraße gibt es seit rund 25 Jahren. Zuvor war in den Räumen das Stadtkino untergebracht, das vor etwa 40 Jahren eröffnete.
- Das Pornokino ist ein Treffpunkt für Hetero-, Homo-, Bi- und Transsexuelle. Neben Filmvorführungen bietet der Laden rund 1000 DVDs an.
- Geschäftsführer Markus Enders (49) arbeitet seit zwei Jahren dort. Er beschäftigt fünf Teilzeitkräfte.
- Enders ist Kirchenorganist in Freimersheim und hat in seinem Heimatort Monzernheim ein Atelier. Über seine Erfahrungen als homosexueller Organist hat er ein Buch geschrieben.
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