Ludwigshafen. Fassungslosigkeit steht in den Gesichtern der Männer und Frauen, die sich um Kevin Hoecker geschart haben. Einige beginnen zu weinen, als sie das Foto sehen, das der 16-Jährige auf seinem Handy herumzeigt. Darauf ist die Tür eines Klassenzimmers zu sehen, verbarrikadiert mit Tischen und Stühlen. Seine Klassenkameraden haben Hoecker das Bild per Whats-app geschickt. Nur wenige Meter entfernt von der Menschenmenge auf der Straße sitzen sie im Gebäude der Karolina-Burger-Realschule plus im Ludwigshafener Stadtteil Mundenheim fest. Wegen eines Amokverdachts darf niemand die Schule und das angrenzende Heinrich-Böll-Gymnasium betreten oder verlassen. Polizisten mit Maschinengewehren bewachen die Eingänge, während drinnen Sondereinheiten nach einem möglicherweise bewaffneten Jugendlichen suchen.
Es ist 7.40 Uhr am Morgen als gestern beim Polizeipräsidium Rheinpfalz der Notruf eingeht. „Eine 34 Jahre alte Ludwigshafenerin meldete einen etwa 14-jährigen Jungen, der mit einer Pistole in der Hand von der Rheingönheimer Straße in Richtung des Schulzentrums läuft“, berichtet Pressesprecherin Sandra Giertzsch später am Einsatzort. Der Zeugenhinweis löst einen Großeinsatz aus. Rund 200 Kräfte umstellen das Gebäude. Die Karolina-Burger-Straße wird für Passanten und den Verkehr gesperrt. „Wir haben eine Verdachtslage und treffen Maßnahmen, diese zu prüfen“, sagt Giertzsch in die Kameras und Mikrofone der vielen Pressevertreter. Das ist zunächst alles.
An den rot-weißen Absperrbändern erscheinen nach und nach immer mehr besorgte Eltern oder Mitschüler. Melissa, Alma und Zoe aus der 7. Klasse stehen seit 9.30 Uhr vor dem Schulgebäude. „Wir hatten die erste Stunde frei, und als wir kamen, war da schon die Polizei und hat uns nicht reingelassen“, sagt Melissa. Genaue Infos hätten die drei nicht bekommen. „Wir haben nur irgendwas von einem Amoklauf gehört und machen uns große Sorgen, mein Bruder ist da drinnen“, sagt die 13-jährige Alma.
Stundenlang harren viele Eltern voller Ungewissheit vor der Schule aus. Über das, was sich im Inneren abspielt, kommen bei all der Aufregung auch falsche Gerüchte auf. Der Verdächtige sei in einem Zimmer eingesperrt worden, vermutet ein Vater, nachdem er das Handyfoto mit der verbarrikadierten Tür von Kevin Hoecker gesehen hat. Dieser wiederum berichtet den Angehörigen aus erster Hand, was ihm seine Mitschüler aus dem Klassenraum der 10c schreiben. „Es geht ihnen soweit gut“, sagt er. „Am Anfang waren sie sehr aufgeregt, aber die Lehrer konnten sie beruhigen.“ Er selbst sitze nur nicht bei seinen Klassenkameraden, weil er etwas zu spät gekommen sei. „Da kann ich wohl froh sein“, sagt er nachdenklich.
Am frühen Nachmittag dringen Jubelschreie aus dem Schulhaus. Nach und nach holen Beamte die Jugendlichen aus ihren Klassen und begleiten sie in die Sporthalle des Schulzentrums. Karolina-Burger-Realschule und Heinrich-Böll-Gymnasium werden nach stundenlanger Suche geräumt. Kurz zuvor hatte Giertzsch Entwarnung gegeben: „Die Gefahrenlage hat sich nicht bestätigt. Es wurde keine verdächtige Person festgestellt.“ Auch Schulleiter Oliver Hornickel richtet sich an die Öffentlichkeit und lobt die Polizei. „Es ist von Anfang an alles ruhig abgelaufen“, sagt er. „Wir haben unser Notfallprogramm abgespult und waren gut vorbereitet. Kompliment an das Kollegium und die Schüler.“ Obwohl letztlich nichts passiert sei, hätten diese in den Klassen eine Extremsituation erlebt. Deshalb müsse geprüft werden, ob Betreuung nötig sei. „Wir werden den Vorfall auch in den kommenden Tagen noch aufarbeiten“, so Hornickel.
In Befragungen stellt sich heraus, dass auch zwei Schülerinnen den bewaffneten Jugendlichen gesehen hatten. Er sei 13 bis 14 Jahre alt und habe braune Augen. Er soll eine blaue Jacke, dunkle Kapuze, schwarze Schuhe mit orangefarbenen Applikationen und einen Rucksack getragen haben. Die Ermittlungen zur Identität des Jungen dauern an.
Amokalarm im Schulzentrum Mundenheim
- Um 7.40 Uhr ruft eine 34-jährige Frau die Polizei an und meldet einen Jugendlichen, der mit einer Pistole in Richtung des Schulzentrums Mundenheim läuft.
- 200 Einsatzkräfte des Präsidiums Rheinpfalz, der Bereitschaftspolizei in Enkenbach-Alsenborn und aus Mainz umstellen das Gebäude. Sondereinheiten durchsuchen die Schulen.
- Gegen 11.30 Uhr gibt es Entwarnung: Es konnte keine verdächtige Person gefunden werden. Die Schulklassen der Karolina-Burger-Realschule plus (750 Schüler) und des Heinrich-Böll-Gymnasiums (500) werden in die Sporthalle begleitet.
- Hinweise zu dem verdächtigen Jugendlichen an die Polizei unter der Rufnummer 0621/963-27 73.
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