Ludwigshafen. Betrachtet man die nackten Zahlen, dann muss man feststellen, dass sich nichts zum Guten verbessert hat: 42 Erstklässler an der Gräfenau-Grundschule im Ludwigshafener Hemshof wurden in diesem Sommer nicht in die zweite Klasse versetzt. Das sind nochmal mehr als die 37 Schülerinnen und Schüler, die den Sprung im Vorjahr nicht geschafft haben. Im Jahr davor waren es ähnlich viele. Im Jahr davor ebenso.
Schulleiterin im Hemshof: „Es ist kein Aufwärtstrend zu erkennen“
Was sagt diese – im Grunde genommen nicht vorhandene – Entwicklung über die Maßnahmen aus, die in den vergangenen Jahren zur Verbesserung der Situation an der Brennpunkt-Schule ergriffen wurden? „Es ist kein Aufwärtstrend zu erkennen, den kann es aber aus meiner Sicht auch gar nicht geben“, sagt Schulleiterin Barbara Mächtle. Sie hatte die Probleme an ihrer Schule vor einigen Jahren öffentlich gemacht und tauchte in der Folge in zahlreichen Sendungen und Zeitungen dieser Republik auf. „Die Schüler kommen noch immer mit schlechten Voraussetzungen in die Schule“, sagt sie jetzt im Gespräch mit dieser Redaktion.
Der Hemshof ist geprägt durch einen hohen Bevölkerungsanteil mit Migrationsgeschichte. An der Gräfenauschule bringen rund 98 Prozent der Schülerinnen und Schüler eine solche mit. „Viele von ihnen sprechen kein Deutsch. Und auch im sozial-emotionalen Bereich gibt es oft Defizite“, berichtet Mächtle. Diese Kinder können sich nur schwer von den Eltern trennen, weinen morgens beim Abgeben in der Schule. „An dieser Ausgangssituation kann sich nichts ändern, solange wir nicht vor der Schule ansetzen“, betont die Schulleiterin.
Die bisherigen Schritte zielten insbesondere auf den Schulalltag selbst ab. Die Gräfenauschule ist mit reichlich Förderpersonal ausgestattet, das den Kindern in Sprachkursen Deutsch beibringt. „Da sind wir personell schon sehr gut aufgestellt“, sagt Mächtle. Dennoch könne das strukturelle Problem so nicht gelöst werden. „Wenn das alles nur an der Schule passiert, wird es schwer. Das ist zu spät“, so die Pädagogin. Zumal für die Sprachkurse bei den Erstklässlern die Hälfte des Schultages beansprucht werde. Die Kinder verpassen dann zwangsläufig wieder andere Unterrichtsinhalte.
Das sagt das Bildungsministerium zur Situation an der Gräfenauschule Ludwigshafen
Mächtles Appell, mit der Sprachförderung bereits im Vorschulalter anzusetzen, richtet sich in erster Linie an die Landesregierung. Und findet anscheinend allmählich Gehör. „Die Situation an der Gräfenau-Grundschule wird von Beginn an sehr ernst genommen. Die Schule arbeitet unter herausfordernden Bedingungen, wird aber seit Jahren vom Bildungsministerium, der Schulaufsicht und dem Pädagogischen Landesinstitut eng begleitet und personell besonders gut ausgestattet“, sagt ein Sprecher des Bildungsministeriums auf Anfrage.
Dass viele Kinder die erste Klasse wiederholen müssten, sei „unerfreulich“. Gleichwohl zeige es, dass die Schule verantwortungsvoll mit den individuellen Entwicklunsgbedarfen ihrer Schüler umgehe. „Das Wiederholen der ersten Klasse ist keine Strafe, sondern eine pädagogisch begründete Maßnahme, um einzelnen Kindern mehr Zeit für ihre Entwicklung zu geben“, so der Sprecher. „Unser Ziel ist es, die Zahl der Wiederholungen dauerhaft und langfristig zu senken.“
Ludwigshafen sticht negativ heraus
An der Gräfenau-Grundschule müssen in diesem Jahr 42 Kinder die erste Klasse wiederholen. Die Gesamtzahl der Wiederholer im Stadtgebiet wird nach Angaben des Bildungsministeriums noch ermittelt .
In den Jahren 2019 bis 2024 variierte die Zahl in ganz Ludwigshafen zwischen 92 (2019) und 155 (2021) . Im vergangenen Jahr mussten stadtweit 143 Schülerinnen und Schüler die erste Klasse wiederholen.
Im landesweiten Vergleich sticht Ludwigshafen damit deutlich heraus . In der Landeshauptstadt Mainz wurden im selben Zeitraum maximal 56 Erstklässler (2021) in einem Jahr nicht versetzt. In Kaiserslautern liegt die höchste Zahl bei 38 (2021), in Koblenz bei 49 (2023) und in Trier ebenfalls bei 49 (2024).
Um das zu erreichen, führt das Land Rheinland-Pfalz für den Einschulungsjahrgang 2025/26 eine verpflichtende Sprachstandserhebung im Alter von viereinhalb Jahren ein, wie der Sprecher ankündigt. „Damit setzen wir bewusst frühzeitig an, um Förderbedarfe bereits im vorschulischen Bereich zu erkennen und gezielt darauf reagieren zu können.“ Besonderes Augenmerk liege dabei auf Kinder in „sozial herausfordernden Lagen“.
Barbara Mächtle: Über verpflichtende Sprachförderung schon vor der Schule nachdenken
Eine solche frühzeitige Testung der Kinder, wie sie in Hamburg bereits als Pilotprojekt erprobt wird, hat sich Barbara Mächtle gewünscht. Aus ihrer Sicht kann auch das jedoch nur zum Erfolg führen, wenn dem Test eine gezielte Förderung folge. „Dabei muss man auch über eine Verpflichtung nachdenken“, sagt sie. Andernfalls, so klingt es durch, könnten sich Eltern den zwingend notwendigen Unterstützungsangeboten zu einfach entziehen.
Kinder einfach nicht aufzunehmen, die die sprachlichen Voraussetzungen für den Schulunterricht noch nicht erfüllen, ist für die Gräfenauschule wie für alle anderen Grundschulen im Übrigen keine Option. „Als Grundschule müssen wir alles aufnehmen“, sagt Mächtle. Das führe mit den vielen Sitzenbleibern inzwischen auch zu der Situation, dass es bereits sechs erste Klassen mit jeweils 23 Kindern gebe. „Eine optimale Klassengröße wären 15 Kinder, mit 19 oder 20 wären wir aber auch schon zufrieden“, sagt Mächtle.
Wiederholung der ersten Klasse wirkt sich positiv auf Entwicklung der Schüler aus
Auch die Schulleiterin betrachtet die Wiederholung der ersten Klasse für die betroffenen Kinder als Chance. „Das wirkt sich sehr positiv auf ihre Entwicklung aus, die Kinder sind selbstbewusster, weil sie dann auch schon etwas Vorwissen haben“, so Mächtle. Und auf das eine Jahr komme es im Lebenslauf am Ende doch nicht mehr an.
Mächtle sagt aber auch, dass es durchaus Fälle gibt, die die erste Klasse eigentlich ein zweites Mal wiederholen müssten. Ein doppeltes Sitzenbleiben sei jedoch nicht zulässig. „Die müssen dann weiter und man muss sehen, ob sich das im späteren Verlauf einpendelt“, sagt sie. Ein Satz, der auch zur gesamten Situation an der Gräfenauschule gut passt.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/ludwigshafen_artikel,-ludwigshafen-graefenauschule-ludwigshafen-erneut-bleiben-42-erstklaessler-sitzen-_arid,2325315.html