Ludwigshafen. Birke Filip kann sich noch gut an die Obstbäume im Garten erinnern. An die Kirschen und die Aprikosen. Früchte, die ihre Jugend versüßten. An ihre Mutter, die besonders die Blumen liebte. An den damals noch freien Blick Richtung Danziger Platz, der heute durch einen Gebäudekomplex versperrt ist. So wie vieles heute anders ist. Der Garten ist zugewuchert wie ein verwunschener Wald. Das dazugehörige Haus ist seit 2005 nicht mehr bewohnt. Birke Filip ist hier aufgewachsen, in dem Gebäude in der Berliner Straße 51.
In den Mauern steckt ein großer Teil ihrer Familiengeschichte. Wer häufig in der Ludwigshafener Innenstadt unterwegs ist, der kennt das Haus, das im Verhältnis zu seinen Nachbarn viel zu flach wirkt. Bald könnte es aus dem Stadtbild verschwinden, denn nach 17 Jahren des Leerstands hat sich die Familie entschlossen, zu verkaufen.
Nach dem Abitur ausgezogen
Birke Filip ist heute 68 Jahre alt. Vor knapp 50 Jahren, nach dem Abitur, ist sie aus dem Haus ausgezogen. Und dennoch spürt sie Wehmut, wenn sie daran denkt, dass es bald nicht mehr da sein könnte. „Wenn ich mir überlege, wie sehr meine Großeltern und meine Mutter dafür gekämpft haben“, sagt sie im Gespräch mit dieser Redaktion. Sie hatten sich stets gewünscht, dass das Anwesen in Familienbesitz bleibt. Nach ihrem Tod im Jahr 2005 vererbte Filips Mutter das Haus an deren vier Kinder. Doch die sind mittlerweile in alle Welt zerstreut, haben eigene Verpflichtungen. Geld und Zeit, das alte Haus wieder auf Vordermann zu bringen, fehlen. „Durch den Leerstand wird es auch nicht besser. Deshalb haben sich meine Kinder schweren Herzens entschieden, es freizugeben und anderen Menschen Wohnraum zu bieten.“
Erbaut wurde das Haus im Jahr 1910 im klassischen Baustil der Jahrhundertwende. Vier Stockwerke und ein Erker zur Straße hin. Architekt war Otto Schittenhelm, dessen Bauwerke auch in anderen Stadtteilen Ludwigshafens zu finden sind. Etwa in der Lisztstraße in Süd. Im Zweiten Weltkrieg, im Jahr 1943 oder 1944, so genau weiß Filip das nicht mehr, fiel eine Bombe in das Gebäude. Es wurde nahezu vollständig zerstört.
Auch das Geschäft von Birke Filips Großvater, der seinerzeit einen Tuchgroßhandel in Ludwigshafen betrieb, wurde ausgebombt. Auf der Suche nach neuen Räumen stieß er auf die Ruine in der Berliner Straße, die damals noch Schillerstraße hieß. Für den Wiederaufbau wurden ihm jedoch einige Vorgaben gemacht. „Er musste unterschreiben, dass die Baulinie fünf Meter zurückversetzt wird wegen einer möglichen Straßenverbreiterung. Außerdem durfte er nur einstöckig bauen“, berichtet die 68-Jährige.
Nur zwei Jahre nach dem Einzug 1950 starb Filips Großvater. Seine Krankheit kostete die Familie viel Geld, so dass keine Möglichkeiten mehr da waren, das Haus zu vergrößern. Filips Mutter übernahm das Anwesen als einzige Tochter. „Sie erbte es mit einem großen Schuldenberg, den sie in kleinen Raten abbezahlt hat“, berichtet Filip. Ihr Vater war Reitlehrer und verdiente auch keine Reichtümer, weshalb das Geld knapp war. Das Haus in der Berliner Straße wollten sie aber keinesfalls aufgeben.
Jetzt wird es verkauft. Die Vermarktung übernimmt der Makler Kuthan Immobilien. Inhaber Georg Kuthan ist von dem Standort überzeugt. „Ludwigshafen wird sich insbesondere im innerstädtischen Bereich sehr positiv entwickeln, deshalb werden Wohnungen in dieser Lage eine hervorragende Investition in die Zukunft sein“, sagt er. Denkbar ist für ihn eine fünf- bis sechsgeschossige Bebauung mit altersgerechten Wohnungen. Denn mit der innerstädtischen Lage und guter Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel könne der Bauträger insbesondere die Generation Ü 50 ansprechen.
Das Grundstück ist 452 Quadratmeter groß, als Preis werden 450 000 Euro aufgerufen. Nach Kuthans Angaben ist der Immobilienmarkt auch in Ludwigshafen derzeit eher zurückhaltend, insbesondere wegen der gestiegenen Baukosten und der unterbrochenen Lieferketten. „Insgesamt ist die Nachfrage wegen der gestiegenen Zinsen sehr zurückgegangen. Da das Angebot jedoch weiterhin sehr gering ist, trifft ein überschaubares Angebot auf eine geringere Nachfrage“, so der Makler. Durch diese Konstellation seien die Preise im Bereich der gebrauchten Immobilien in etwa gleich geblieben. „Die Zeiten von Bieterverfahren sind jedoch vorbei.“
Sandsteinumrahmungen erhalten
Birke Filip hat insgeheim den Traum, dass irgendjemand das Haus wieder so aufbaut, wie es früher gewesen ist. Mit vier Stockwerken und einem Erker zur Straße hin. Zumindest aber wünscht sie sich, dass sich ein Liebhaber findet, der die Geschichte der alten Mauern zu schätzen weiß. Die Sandsteinumrahmungen an den Fenstern und an der Tür. Die Wandfliesen im Innern, die genauso noch aus dem Jahr 1910 erhalten sind. Und den großen Garten, diese verwunschene Wildnis, in der Filip einst als Mädchen Kirschen und Aprikosen gepflückt hat.
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