Festival des deutschen Films

Finale in Ludwigshafen: Wer verdient den Filmkunstpreis?

Beim Filmfest auf der Parkinsel werden am Samstagabend die Preise verliehen. Fest steht bereits, dass mit etwa 135.000 Besuchern ein neuer Rekord erzielt wird.

Von 
Thomas Groß
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Sehen und gesehen werden: Szene aus dem Spielfilm „In die Sonne schauen“, der auch beim Festival des deutschen Films zu sehen war. © Studio Zentral

Ludwigshafen. Ein solcher Titel will erst einmal verdient sein: Den „Filmkunstpreis“ vergibt das Festival des deutschen Films an diesem Samstag erneut. Ein klarer Favorit scheint dabei von vornherein festzustehen, denn Mascha Schilinskis ungewöhnlicher Spielfilm „In die Sonne schauen“, in Cannes bereits mit einem Großen Preis der Jury geehrt und kürzlich zum deutschen Oscar-Kandidaten gekürt, lief schließlich auch in der Konkurrenz auf der Parkinsel. Verwunderlich wäre es da nicht, wenn die Ludwigshafener Preisjury in wenigstens einer der drei Kategorien – bester Film, Regie und Drehbuch – für Schilinskis Werk votieren würde.

Besonders originell wäre ein solches Votum allerdings ebenfalls nicht. Ohnedies mag man den Stilwillen der Regisseurin und die konsequente Grundanlage des Films, die parallel erzählte Geschichte von vier Generationen junger Mädchen auf einem Bauernhof, zwar beeindruckend finden; über die Spielzeit von zweieinhalb Stunden kann dies alles aber auch ermüden. Wie grundlegend Sehen und Gesehen-Werden nicht nur in filmischer Hinsicht sind und wie der Tod und Gewalterfahrungen immerfort ins Leben wirken und einem Ort eingeschrieben bleiben, das entnimmt man dem Film schon bald - oder sieht es durch ihn ohnedies lediglich bestätigt.

Filmische Stärken: sprechende Details und alltäglich wirkende Tiefe

Andere Filme wirkten zwar insgesamt konventioneller, könnten die Jury in Person der Schauspielerin Lina Wendel sowie der Produzierenden Martina Haubrich und Wolfgang Esser aber ebenfalls mit guten Gründen überzeugen. Sehr atmosphärisch wirkten zum Beispiel auch „Zikaden“ von Ina Weisse oder Michael Baumanns „Missing Link“. Beide Filmschaffende verstehen sich zudem bestens darauf, das Potenzial ihres hochkarätigen Schauspielensembles ins rechte Licht zu setzen. Ein weiterer Pluspunkt dieser Produktionen: die Betonung sprechender Details und der Tiefe des scheinbar ganz Alltäglichen.

Solches können Filme mit zeitgeschichtlich relevantem Sujet von vornherein weniger beanspruchen, denn Details überzeugen hier vor allem durch ihre historische Stimmigkeit. Und Alltägliches erzählen solche Filme natürlich gerade nicht, wie in Ludwigshafen etwa Tim Fehlbaums „September 5“ über das Olympia-Attentat 1972 oder Kai Wessels ebenfalls sehenswerte Nachkriegsgeschichtsstunde „An einem Tag im September“ über das Zusammentreffen von Adenauer und De Gaulle bestätigt haben.

Festivalfinale und Besucherrekord

  • Das Festival des deutschen Films auf der Parkinsel geht an diesem Sonntag, 7. September, zu Ende. Am Samstag, 6. September, werden bereits die Festivalpreise vergeben. Der „Filmkunstpreis“ wird in drei Kategorien verliehen (bester Film, beste Regie, bestes Drehbuch). Über die Vergabe entscheiden Lina Wendel, Martina Haubrich und Wolfgang Esser. Die Vergabe des Publikumspreises „Rheingold“ ergibt sich aus den Bewertungen des Publikums. Die Preisgala beginnt um 19 Uhr in Zeltkino B (freier Eintritt).
  • Bereits am Freitag haben die Verantwortlichen mitgeteilt, dass erneut ein Besucherrekord erreicht werde. Die Gesamtzahl werde bei etwa 135.000 liegen; die Kartenverkäufe summierten sich voraussichtlich auf 133.000. Mit 484 lag auch die Zahl der Fachbesucher, überwiegend aus der Filmbranche, so hoch wie nie zuvor.
  • Wer das 21. Festival des deutschen Films noch besuchen möchte, findet nähere Informationen in der Programmillustrierten. Kompakte Info zu Karten und Programm gibt es auch im Netz: www.fflu.de tog

Anders kann das wirken, wenn die zeitgeschichtliche Relevanz deutlich näher an der Gegenwart liegt: Ungemein dicht gestaltet Regisseurin Petra Volpe die Geschichte ihrer „Heldin“, in der sich ganz alltägliche Größe ebenso spiegelt wie die aktuellen Probleme im Gesundheitswesen. Dagegen wirkt der medienkritische Film „Bis es blutet“ von Daniel Sager zwar kaum weniger dramatisch, aber doch eher konstruiert; man mag dies indes leichter akzeptieren, wenn man die Absicht dieser Geschichte über Auswüchse des Boulevardjournalismus in einer Art aufrüttelnder Warnung sieht.

Schauspieler August Diehl liefert eine beeindruckende Vorstellung

Und wie wirkt es, wenn in Gestalt des KZ-Arztes Josef Mengele gleichsam eine Personifikation des Bösen (erneut) im Spielfilm auftritt? Wie Geschichte nachwirkt und warum besonders der Nationalsozialismus uns bis heute beschäftigen muss, ist das Thema des renommierten, im Exil lebenden russischen Theater- und Filmregisseurs Kirill Serebrennikow, der diese deutsche Produktion und Romanverfilmung inszeniert hat. Wie immer bei diesem Regisseur ist die Szenerie düster, was natürlich auch zum jetzigen Sujet passt. Und August Diehl in der Titelrolle erweist sich einmal mehr als hervorragender Darsteller, der sich auch dieser Rolle anzupassen versteht. Wie in Schilinskis „In die Sonne schauen“ ist auch hier die Regie mit großem Stilwillen am Werk, und es wurde nicht nur wie bei Schilinski auf blasse Farben gesetzt, sondern überwiegend in Schwarzweiß gedreht.

Er lässt uns erschaudern: August Diehl als untergetauchter KZ-Arzt im Film „Das Verschwinden des Josef Mengele". © LupaFilmCG/Cinema Hype Studios

Man erlebt Mengele auf Stippvisite im Adenauer-Deutschland im Familienkreis, vor allem aber in Argentinien und Brasilien, wo er bis zu seinem Tod 1979 unter falschem Namen lebte. Im Kreise anderer untergetauchter Nazi-Verbrecher schwadroniert er über die Dekadenz des Westens und die Überlegenheit der nordischen Rasse. Seinem Sohn gegenüber, der ihn in Brasilien besucht, offenbart er seinen autoritären Charakter völlig ungehemmt; seine Untaten verbrämt er als „Wissenschaft“, dokumentarisch wirkende Farbaufnahmen zeigen dagegen die grausame Wirklichkeit.

Bewegend und geradewegs schauderhaft sind diese Bilder, kaum weniger aber ist es Diehls Darstellerleistung, die den Hochmut, die Verbohrtheit, Gewaltaffinität und zugleich die tiefe Frustration des alternden Mannes spürbar werden lässt – und die Diehl für einen künftigen Ludwigshafener Preis für Schauspielkunst empfiehlt. Keine Frage: Preiswürdig wäre diese Produktion durchaus. Wie das alles aber die Jury sieht und sich schließlich entschieden hat, erfährt man auf der Preisgala am Samstagabend. Und dort wird auch bekanntgegeben werden, wer sich nach dem von zahlreichen Zuschauerinnen und Zuschauern bekundeten Willen über den gleichfalls begehrten Publikumspreis des Filmfestivals auf der Parkinsel freuen darf.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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