Ludwigshafen. Es gibt Gerüche, die vergisst man nicht. Der von Fotoentwickler, zum Beispiel. Wer ihn heute in die Nase bekommt, erinnert sich sofort. An Zeiten, in denen jeder Fotoabzug erst durch Chemikalien in dunklen Kammern geschleust werden musste. Doch zur Nostalgie taugt die kluge Ausstellung "1 x 1 der Kamera" im Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museum nicht.
Kathrin Schönegg hat sie nicht gemacht, um mit Wehmut in die Fotohistorie zu blicken, sondern mit Neugier: Was sagen uns die einst papiernen Abzüge heute noch - haben sie sich nicht in Zeiten materialloser Datensätze überlebt?
Schon der Titel der Biennale für aktuelle Fotografie, "Farewell Photography", in deren Rahmen das Hack-Museum zwei von sieben Ausstellungen zeigt, macht klar: Hier geht der Blick in die Geschichte, um Heutiges zu diskutieren. Etwa die immerwährende Frage nach dem Abbild, das angeblich die Wirklichkeit zeigt und dann doch nur wieder einen Ausschnitt: Die Schau startet mit Olafur Eliassons Installation "Your Uncertain Shadow (Black and White)", in der wir ein Stück weit mit uns selbst spazieren gehen - und unseren Schatten.
Historische Zeugnisse
Schönegg betreibt Grundlagenforschung zu Material und Mythen der Fotografie und führt die Eigenwilligkeit alten Materials vor, in dem sie etwa das Künstlerduo F & D Cartier Schwarz-Weiß-Papiere an die Wand hängen lässt. Dort entfalten sie im Laufe der Ausstellung ein verblüffendes Eigenleben und verändern sich ständig weiter.
Dazu passt die zweite Schau im Haus von Christin Müller. "Das stille Bild verlassen" führt vor, welche Präsentationsmöglichkeiten es abseits der Fotopapiere in ihren herkömmlichen Formaten gibt. Da werden mit Étienne-Jules Marey und Georges Demeny zwei Pioniere der Chronofotografie gezeigt, die über Mehrfachbelichtung Bewegungen als filmische Sequenz in ein einziges Foto brachten - und das schon um 1900.
Marcel Broodthaers schafft eine Liaison zwischen Fotografie und Skulptur, indem er das Foto eines Auges über ein Einweckglas stülpte. Etwas schulbuchmäßig präsentiert wirkt das alles - anders im Vergleich dazu die Schau im Ludwigshafener Kunstverein.
Wohl auch, weil "Global Players" Menschen und ihren Geschichten auf riesigen Screens eine Bühne gibt. Die Biennale tut zudem das, was sie bisher noch nie getan hat: Sie bohrt sich in bestehende Archive wie etwa für die Installation von Arno Gisinger in die Glasplattenbestände der Kunsthalle Mannheim, aber sie erschließt auch eigene, neue: Kuratorin Kerstin Meincke selbst hat einen Film über die Fotos von Migranten gedreht. Darin posieren Familien aus Rumänien oder dem Irak vor den touristischen Highlights der Metropolregion.
Aus verschiedenen Blickwinkeln ergibt sich so eine schöne Ausstellung über klischeehafte Deutschlandbilder, das Ankommen in der Fremde - und das bewusste Bleiben an einem Ort.
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