Worms. Eine Solostimme ohne Mikrofon kann keinen riesigen Dom ausfüllen? Mit Musik aus dem zwölften Jahrhundert lockt man heute niemanden mehr hinter dem Ofen vor? In einem fast voll besetzten Dom ist es nie mucksmäuschenstill?
Wer einer dieser irrigen Annahmen aufsaß, wurde jetzt durch einen der Höhepunkte von "wunderhoeren - Tage Alter Musik und Literatur" eines besseren belehrt. In Kooperation mit der Kasinogesellschaft gab das international renommierte britische Hilliard-Ensemble im gut gefüllten, stimmungsvoll beleuchteten Wormser Dom Musik der mittelalterlichen Meister Parotin (1165-1220) und Guillaume de Machaut (1300-1377) und anderes zum Besten. Musik also, die speziell für die Aufführung in großen Kathedralen komponiert wurde. Ohne Stimmgabel und Mikrofon und mit höchster Konzentration ließen David James (Countertenor), die Tenöre Steven Harrold und Rogers Covey-Crump und Gordon Jones (Bariton) mehrstimmige Gesangswerke der Notre-Dame-Schule erklingen, viele von unbekannten Verfassern.
Die theoretische Einweisung vorab durch Musikwissenschaftlerin Dr. Sandra Ehses stimmte das Publikum darauf ein, harmonische oder rhythmische Hörgewohnheiten über Bord zu werfen und jeder der vier Männerstimmen einzeln in ihren Harmonien und ihrer Textausgestaltung nachzulauschen.
Fremde Akkorde
Statt vertrauter Terzakkorde brachten die vier Solisten härtere, "fremdere" Quart- und Quintakkorde zum Klingen. Dabei ließ das Ensemble, das in diesem Jahr bereits seit 40 Jahren gemeinsam musiziert, eine durchaus wahrnehmbare Rhythmik der Gesangswerke des späten Mittelalters zur Entfaltung kommen.
Magisch-authentischer Höhepunkt des Konzerts war ein "Alleluja" von Perotin, das der Countertenor vom Westchor aus anstimmte und das die anderen Stimmen eindrucksvoll mit Bordun-Tönen untermalten, während sie langsam an den Längsseiten des Doms entlang schritten. So wurde das Publikum quasi umhüllt von einer unnachahmlichen Atmosphäre. Wer die Augen schloss, konnte sich an gregorianische Mönchsgesänge erinnert fühlen. Trotz der geringeren Lautstärke in den hinteren Reihen flossen gerade hier die Einzelstimmen zum harmonischen Ganzen ineinander, wurde aus vier Solostimmen ein kathedralenfüllender Choral.
Das Hilliard-Ensemble machte erlebbar, dass Alte Musik nicht alt klingen muss. Verblüffend modern wirkte die Klangwelt der Werke Machauts . Nicht umsonst arbeitet das Ensemble mit dem Gewandhausorchester Leipzig, den New York Philharmonic unter Lorin Maazel, aber auch zeitgenössischen Komponisten sowie mit Jazzlegende Jan Garbarek zusammen. Ebenso zeitgemäß gaben die denn auch eine Zugabe und standen anschließend für Fragen und zur Verfügung.
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