Lampertheim. Für Landwirte aus Südhessen könnte eine anstehende Anhebung des Mindestlohns zum Problem werden. Nicht zuletzt, weil Saisonarbeitskräfte dann für die Ernte von Erdbeeren oder Spargel einen höheren Stundenlohn erhielten. Bisher hatten die Betriebe darauf gesetzt, Frauen und Männer, die jedes Jahr vor allem aus Osteuropa in die Region kommen, könnten künftig einen „Mindestlohn II“ erhalten. Der sollte ungefähr zwei Euro unterhalb des künftigen Limits liegen. Jedoch wird es eine solche Ausnahme nicht geben, wie das Bundesagrarministerium jüngst mitgeteilt hat.
Nach einer Prüfung sei klar geworden, dass Mindestlohn-Ausnahmen für Saisonkräfte rechtlich nicht möglich sind. Dies ergebe sich aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz im Grundgesetz, teilte das Ministerium mit. Der Mindestlohn sei als absolute Untergrenze gesetzlich verankert. Dies gelte für alle Jobverhältnisse, auch für kurzfristig Beschäftigte und Saisonkräfte. Zuvor hatte der Bauernverband vorgeschlagen, Saisonarbeitskräfte sollten etwa 80 Prozent des Mindestlohns erhalten.
Hintergrund ist, dass die gesetzliche Lohnuntergrenze bis 2027 in zwei Stufen auf 14,60 Euro pro Stunde steigen soll. Aktuell verdienen Arbeitnehmer in Deutschland mindestens 12,82 Euro pro Stunde. Während die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt diese Einschätzung begrüßt, warnen Vertreter der Landwirte auch in Südhessen vor einer drohenden wirtschaftlichen Schieflage, die zur Schließung von Betrieben führen könnte.
Gewerkschaft: Keine Feldarbeiter zweiter Klasse
„Der vereinbarte Anstieg des Mindestlohns um etwa 15 Prozent wird nicht ohne Auswirkungen auf die Betriebe und den Anbauumfang bleiben“, warnt Willi Billau, der frühere Vorsitzende des Regionalbauernverbands Starkenburg. Es sei fraglich, ob manche Anbaubetriebe künftig wettbewerbsfähig bleiben. Schließlich könne nur ein Teil der Lohnkosten an die Verbraucher weitergegeben werden. Diese reagierten sonst mit Kaufzurückhaltung. Auf Landwirte kämen daher schwierige Zeiten zu, ist Billau überzeugt: „Die Betriebe im Ried sind oft Direktvermarkter. Sie werden einen Teil ihrer Gewinne opfern müssen, um im Geschäft zu bleiben. Das geht nicht ewig!“
Fruchtbare Region
- Im südhessischen Ried spielt die Landwirtschaft eine bedeutende Rolle. Insbesondere der Anbau von Sonderkulturen hat eine lange Tradition. Die Region profitiert von ihrem fruchtbaren Boden und dem günstigen Klima.
- Zu den bedeutendsten Sonderkulturen, die in Lampertheim und im südhessischen Ried angebaut werden, gehören Spargel, Erdbeeren und weiteres Beerenobst. Auch Kräuter, Gemüse und Heilpflanzen werden in diesem Teil Südhessens angebaut.
Konkret prognostiziert der Landwirt aus Lampertheim einen Strukturwandel, der das Aus für manche Betriebe mit sich bringen dürfte. „Die regionale Produktion wird zur Farce. Man hätte durchaus einen Mindestlohn von etwa 12,80 Euro für die Landwirtschaft beibehalten können, weil Saisonarbeitskräfte keine Steuern auf ihren Lohn zahlen müssen und weil sie für das verdiente Geld zu Hause viel mehr bekommen als hier“, argumentiert er. Sind Erntehelfer nur für kurze Zeit (maximal 70 Arbeitstage im Kalenderjahr) aktiv, kann die Tätigkeit als kurzfristige Beschäftigung gelten. Dabei sind weder Sozialabgaben noch Lohnsteuern fällig, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.
Vor allem Bereich der Sonderkulturen wie Obst und Gemüse betroffen
Auch aus Sicht des Hessischen Bauernverbands trifft eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns die Landwirte vor allem im Bereich der Sonderkulturen wie Obst und Gemüse. Diese Bereiche seien besonders arbeitsintensiv, daher entfalle ein großer Teil der Kosten auf Löhne. „In manchen Fällen machen die Lohnkosten bis zu 60 Prozent der gesamten Produktionskosten aus.“
Doch Arbeit ist Arbeit, wie die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt sinngemäß betont. So seien die Bedingungen für Erntehelfer oftmals ohnehin schwierig. „Viele kommen Jahr für Jahr zur Erntesaison. Sie bleiben dann drei Monate. Oft aber auch länger. Während dieser Zeit leben Saisonkräfte in Unterkünften, die häufig ziemlich heruntergekommen sind. Trotzdem zahlen sie dafür oft eine hohe Miete“, kritisiert Gewerkschafter Bruno Walle. Er ist für den Kreis Bergstraße zuständig. Auch die Verpflegung gehe vom Lohn ab. Hinzu kämen Transport- und Vermittlungskosten zu Landwirten im Kreis Bergstraße. „Unterm Strich bleibt dabei für Saisonkräfte, die den gesetzlichen Mindestlohn verdienen, am Monatsende nicht mehr wirklich viel übrig.“ Arbeit auf dem Feld dürfe nicht zur Ausbeutung werden. Erntehelfer aus dem Ausland seien „keine Feldarbeiter zweiter Klasse“.
Bauernverband: Wettbewerb innerhalb der EU wird härter
Der Bauernverband argumentiert mit der Not hiesiger Landwirte: „Was auf den ersten Blick wie eine gerechte Verbesserung für Arbeitnehmer erscheint, hat in der Praxis weitreichende Folgen für die Landwirtschaft – vor allem, weil unsere Landwirte in einem intensiven Wettbewerb mit Betrieben aus anderen EU-Ländern stehen“, teilt eine Sprecherin auf Anfrage mit. Hinzu komme, dass die Mindestlöhne in anderen europäischen Ländern teils deutlich niedriger seien als in Deutschland. So liege die gesetzliche Untergrenze in Polen aktuell bei 7,08 Euro pro Stunde, in Spanien liege der Mindestlohn bei 8,37 Euro, in Griechenland sogar nur bei 5,60 Euro. Betriebe aus diesen Ländern könnten ihre Produkte günstig anbieten. Das sorge dafür, dass Erzeugnisse aus Deutschland im Vergleich teuer erscheinen.
Der Wettbewerb werde noch härter, wenn der hiesige Mindestlohn weiter ansteigt. Hinzu komme, dass auch hierzulande die Lebenshaltungskosten gestiegen sind. „Das bringt hessische Betriebe zusätzlich enorm unter Druck, viele werden die Erhöhung nicht stemmen können“, heißt es vom Interessensverband. Landwirte wie Sebastian Glaser aus Biblis monieren schon heute, Supermärkte würden Obst und Gemüse aus dem Ausland zu Schnäppchenpreisen anbieten. Und zwar nicht nur aus der EU, sondern auch aus Drittstaaten wie etwa Marokko.
Betrieben aus Südhessen bleibe oftmals keine andere Wahl, als ihre Produkte unter Wert zu verkaufen. „Das könnte dazu führen, dass hier der Anbau von Sonderkulturen zurückgeht“, sagt Glaser, der auch Kreislandwirt ist. Momentan gebe es in der Region noch eine große Vielfalt an Obst- und Gemüsesorten. Die Frage sei, wie lange noch.
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