Lampertheim. Wer das Wohnhaus in der Jakobstraße 22 passiert, wird ab sofort an ein schwieriges Kapitel Lampertheimer Geschichte erinnert. Fünf Steine mit zehn mal zehn Zentimeter großer, messingfarbener Oberfläche sind niveaugleich im Pflaster versenkt. Sie tragen die Inschriften der Mitglieder jener Familie, die an diesem Ort bis Mitte der 1930er ansässig war. Neben Josef und Klara Kaufmann sowie deren Kindern Martha und Max lebte auch Konrad Simon Hirsch in der Spargelstadt. „Wir ehren die Menschen am Ort ihrer letzten frei gewählten Wohnadresse“, erklärte Gunter Demnig zum Anlass der Verlegung der Stolpersteine.
Der 77-jährige Künstler ist Initiator des gleichnamigen Projekts, das er seit 1992 im Rahmen seiner Stiftung betreibt. Verfolgte des Nationalsozialismus sollen so in Erinnerung bleiben. Geehrt werden jene, die verfolgt, deportiert, vertrieben, ermordet oder in den Suizid getrieben wurden. „Ein Mensch ist erst dann vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, zitierte Demnig aus dem Talmud, der bedeutenden Schrift des Judentums. Mit den Stolpersteinen hätten die Betroffenen nun einen Namen, denn „Gräber haben sie oftmals nicht“.
Zumindest „mit dem Leben davongekommen“ sind die Kaufmanns in Lampertheim, erläuterte Gottfried Störmer. Der Bürgermeister skizzierte das Schicksal der jüdischen Familie – vor den Augen zahlreicher Nachfahren. Sie waren eigens nach Deutschland gereist, allen voran Bob Frank, in Begleitung von Ehefrau Marge, Sohn Kevin und Enkelin Ivy. „Meine Eltern haben nie mit mir Deutsch gesprochen“, berichtete der US-Amerikaner, der die Sprache dennoch gut spricht. Mutter Martha war am 6. Januar 1909 in Lampertheim geboren. Sie besuchte die Neue Schule, die heutige Schillerschule, und gehörte dem Abschlussjahrgang 1923/1924 an. 1935 floh sie nach Brooklyn. Dort heiratete sie Walter Frank. Sie verstarb am 11. Dezember 1991 in Sunrise/Florida.
Martha Kaufmanns Eltern – Bob Franks Großeltern – waren zwei Jahre später in die USA emigriert. Seit 1900 hatte Josef Kaufmann als Metzgermeister in der Jakobstraße 22 gelebt, wo er auch ein Geschäft betrieb, gemeinsam mit Ehefrau Klara.
Neben Bob Frank kam auch Ann Kramer mitsamt der Familie nach Lampertheim. Die Tochter von Max Kaufmann, Marthas Bruder, ist Kanadierin. Geboren wurde Max Kaufmann am 25. Februar 1914. Nach seiner Jugend in Lampertheim führte ihn die Flucht 1936 nach Johannesburg. Sein Lebensende verbrachte der Exilant in Vancouver. „Glücklicherweise konnten sie rechtzeitig gehen und mussten nicht das Schicksal vieler anderer erleiden“, bemerkte Bob Frank mit Blick auf die Emigration seiner Vorfahren. „Mögen die Stolpersteine dazu beitragen, dass sich Gräueltaten wie damals nicht wiederholen: nicht gegenüber Juden und auch nicht gegenüber allen anderen Menschen“, so seine Mahnung.
Erinnerungskultur durch Stolpersteine lebendig halten
Die Erinnerung wachhalten möchte auch Gottfried Störmer, der die Bedeutung der Stolpersteine würdigte. Mit deren Verlegung hat der Rathauschef reichlich Erfahrung. Bereits zum 12. Mal schritt man nunmehr zur Tat – unter Mithilfe der Technischen Betriebsdienste und musikalisch umrahmt von Beiträgen der Musikschule. Wert legt man stets auf die Zustimmung der Hauseigentümer.
Stolpersteine
- Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig . Seit 1992 erinnern die in den Boden verlegten Gedenktafeln an Verfolgte des Nationalsozialismus und deren Schicksal.
- Die quadratischen und individuell beschrifteten Tafeln aus Messing werden von einem Betonwürfel getragen und zumeist vor den letzten frei gewählten Wohnhäusern der Betroffenen ins Pflaster eingelassen.
- 120.000 Stolpersteine wurden in 33 europäischen Staaten bis heute verlegt, drei Viertel davon in Deutschland. Allein in Berlin werden 11.000 Steine gezählt.
- Zwölf Verlegungen von Stolpersteinen gab es bisher in Lampertheim . Die jüngste Aktion würdigt die Lebensgeschichte der jüdischen Familie Kaufmann an deren letzter Wohnadresse (Jakobstraße 22). Zur offiziellen Zeremonie mit Vertretern aus der Zivilgesellschaft reisten Nachfahren aus Frankreich, den USA, Kanada und Australien an. dtim
Nicht überall seien Stolpersteine allerdings willkommen, weiß Gunter Demnig. Die Konfliktlinie verlaufe zuweilen zwischen liberalen und orthodoxen jüdischen Vertretern. Während in Berlin 11.000 und in Hamburg 7.500 Steine verlegt seien, bilde München die Ausnahme. Aufgrund der ablehnenden Haltung von Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, würden Stolpersteine in der bayerischen Landeshauptstadt nur auf privater Basis gesetzt.
Insgesamt sei die Akzeptanz für das Projekt jedoch gewachsen, berichtet Demnig, der bis dato 120.000 Steine in 33 europäischen Ländern zählt. Unterstützt wird der Künstler von acht festen Angestellten und fünf freien Mitarbeitern. 90 Prozent aller Steine hat er selbst verlegt, 270 Tage im Jahr ist er im Einsatz.
Für die Nachkommen der Familie Kaufmann war es indes nicht der erste Besuch in Lampertheim. 2024 unternahm Bob Frank eine Stadtführung mit Stadtarchivarin Carmen Daramus. So entstand die Idee zur Verlegung der Steine für seine Vorfahren. Auch Martha Kaufmann hat ihre Heimat noch einmal gesehen: 1985 kam sie mit ihrem Mann in die Spargelstadt.
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