Südhessen

Landwirt Will Billau: „Die Wut der Bauern ist gerechtfertigt“

Die geplanten Kürzungen im Bundeshaushalt sorgen auch in Lampertheim für Verdruss. Agrarwissenschaftler und Landwirt Willi Billau erklärt, weshalb das Aus von Steuervergünstigungen für seine Branche ein Problem wäre

Von 
Stephen Wolf
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„Mit dem Aus für Agrardiesel und einer Kfz-Steuer hat niemand gerechnet“, sagt der Lampertheimer Willi Billau. © Berno Nix

Lampertheim. Der Bund will unter anderem die Steuererstattungen für Agrardiesel kippen - das sorgt für Ärger bei den Landwirten. Willi Billau, Vorsitzender des Bauernverbands Starkenburg, kritisiert im Interview die Pläne der Regierung. Die wiederum muss nach einem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts etwa 17 Milliarden Euro im Etat für 2024 einsparen. Neben Kürzungen im Klima- und Transformationsfonds werden daher etwa auch Subventionen gestrichen. Vor allem Landwirte sind betroffen und wollen deshalb ihre Proteste ausweiten.

Bei der Demonstration der Landwirte am vergangenen Montag in Berlin wurde Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) ausgepfiffen. Und das, obwohl er die Abschaffung der Steuervergünstigung für Agrardiesel ablehnt, also auf der Seite der Bauern steht. Als ein Redner Özdemir eine Politik „wie auf einem türkischen Basar“ vorwarf, lachten zahlreiche Demonstranten. Der türkischstämmige Minister übte Kritik, prompt kamen Buhrufe. Ist das der neue Stil, mit dem die Landwirte ihre Interessen durchzusetzen wollen?

Willi Billau: Minister Özdemir gilt als farblos. Er hat es nicht geschafft, von den Landwirten ernst genommen zu werden. Er ist nicht vom Fach und hat sich nur halbherzig von den Kürzungen distanziert. Er vertritt die Auffassung, diese müssten teilweise zurückgenommen werden.

Zum einen soll die Steuerbegünstigung für Agrardiesel fallen, außerdem will die Bundesregierung aber auch land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge künftig nicht mehr von der Kfz-Steuer befreien. Auf der anderen Seite gilt die Landwirtschaft als hochsubventionierter Wirtschaftszweig. Privilegien gelten weiterhin, etwa das steuerfreie Vererben von Höfen. Woher also kommt die Wut?

Billau: Die Landwirtschaft erhält ihre Hauptzahlungen im Sozialbereich. Das liegt an der sehr hohen Zahl von Aussteigern im Vergleich zu den wenigen, die weitermachen. Auf einen Renteneinzahler kommen drei Rentner. Transferzahlungen sind als Ausgleich für zahlreiche Nachteile im internationalen Wettbewerb gedacht. Bleibt die Regierung bei ihren Plänen, müssen die Betriebe einen Verlust von etwa zwei Monatseinkommen hinnehmen. Konkret würden die Betriebsgewinne zwischen 10 und 20 Prozent zurückgehen, je nach Betriebsform.

Hätte das Auswirkungen auf Lampertheim und die Region?

Billau: In Lampertheim und der Region wirtschaften die Betriebe sehr intensiv, oft auch mit zwei Ernten im Jahr. Sie brauchen viel Energie, produzieren dafür aber auf der anderen Seite große Mengen an hochwertigem Obst, Gemüse und Kartoffeln. Alles in allem wären sie überdurchschnittlich stark betroffen.

Info Bauernverband

  • Seit 2012 ist Willi Billau Vorsitzender des Regionalbauernverbands Starkenburg. Aktiv ist er seit den 1980er Jahren für die Interessensvertretung. Zu den Hauptanliegen zählt es, Produktionsflächen für Landwirte möglichst zu erhalten.
  • Der Verband vertritt mehr als 3400 landwirtschaftliche Betriebe und umfasst die Gebiete Darmstadt-DieburgOffenbachOdenwaldGroß- Gerau und Bergstraße. 

Das Umweltbundesamt fordert seit Jahren, diese Steuervergünstigung abzubauen. Das Agrardieselprivileg stehe im Widerspruch zum Ziel des Klimaschutzes, da es fossile Energieträger subventioniert und ökonomischen Anreize zu einem effizienten Einsatz der Energieträger stark verringere.

Billau: Da widerspreche ich. Wenn die Landwirte Alternativen zum Dieselmotor hätten, könnte man das nachvollziehen. Aber da wir diese Alternativen in absehbarer Zeit nicht haben, empfinden wir das als Strafe, die uns - aber auch Verbraucher - ärmer macht.

Könnten Landwirte damit leben, wenn Agrardiesel weiterhin subventioniert wäre, allerdings weniger stark als bisher?

Billau: Das werden die besten Betriebe wegstecken können. Aber das untere Drittel verlöre dennoch seine Liquidität. Ohne europäische Harmonisierung wären wir im Wettbewerb noch stärker benachteiligt.

Die Landwirte haben gedroht, ihre Proteste im Januar auszuweiten, falls die Bundesregierung ihre Entscheidung nicht zurücknimmt. Wie schätzen Sie die Drohung ein?

Billau: Die Wut ist gerechtfertigt, wir fühlen uns von Naturschutz- und Umweltauflagen in unserer Wirtschaftlichkeit ohnehin schon stark eingeschränkt. Mit dem Aus für Agrardiesel und einer Kfz-Steuer hat niemand gerechnet. Entsprechend groß ist die Wut. Es wird vermehrt zu dezentralen Aktionen kommen, etwa in Landeshauptstädten oder rund um Regierungspräsidien. Viele Bauern werden spontan, auf eigene Faust agieren. Ich hoffe, dass keine Überreaktionen aus Wut und Verzweiflung geschehen!

In den vergangenen Jahren sind die Erträge in der Landwirtschaft überdurchschnittlich gestiegen. Mit welchen Belastungen müssen Betriebe künftig umgehen, abgesehen vom nun diskutierten Abbau der Subventionen beim Agrardiesel und der Kfz-Steuer?

Billau: Lohnkosten in den Sonderkulturbetrieben und bei den Milcherzeugern sind hoch, außerdem steigen die Preise für Dünger, Pflanzenschutz, Strom und Verpackungsmaterial oder für Landtechnik etwa um 20 Prozent. Eine ebenso große Preissteigerung gibt es auch bei Pflanzgut und Jungpflanzen.

Was sagen Sie zu der massiven Flächenkonzentration sowie zur überproportionalen Konzentration der Subventionen und Gewinne bei Großbauern? Stellt diese Art der Machtkonzentration nicht das größte Problem für Familienbetriebe dar?

Billau: Wir im Südwesten haben die kleinsten Betriebe. Daher haben wir auch die geringsten Gewinne. Im Norden sind die Betriebe doppelt so groß, was mit dem Erbrecht zusammenhängt. Und im Osten Deutschlands gibt es Betriebe, die vier bis fünf mal so groß sind wie die Höfe in unserer Region. Solange die Betriebe jedoch in den Händen der Bauern bleiben, ist das auszuhalten.

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Dirk Timmermann
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Von Seiten der Bauernverbände heißt es immer wieder, bei Subventionsstreichungen drohe ein Höfesterben. Ist es aber nicht so, dass vielmehr der Mangel an Nachfolgern die Hauptursache für den Niedergang mancher Betriebe ist?

Billau: Der Mangel an Nachfolgern, aber eben auch die fehlenden Gewinne sind die Ursachen für den Niedergang vieler Höfe. Mit weiteren Schritten, etwa den geplanten Steuern für Kraftfahrzeuge und den Wegfall des Agrardiesels wäre eine neue Dimension erreicht.

Nicht alles entwickelt sich zum Nachteil, so sollen sich die Hektarpreise seit 2010 verdoppelt haben.

Billau: Die Kaufpreisentwicklung verläuft in den Bundesländern unterschiedlich. In Hessen sind die Kaufpreise nur wenig gestiegen, sie liegen aktuell bei 17 000 Euro pro Hektar. Werden Betriebe aufgelöst, fallen zudem Steuern für den Verkauf von Land an, die etwa bei insgesamt 50 Prozent liegen.

Sie kritisieren, Betriebe, die auf eine intensivere Bodenbearbeitung und mechanische Unkrautbekämpfung umgestellt haben, müssen mehr fahren. Sie würden unter den geplanten Erhöhungen leiden. Der Einsatz für die Umwelt - also das bewusste Vermeiden von Herbiziden - werde somit bestraft. Sollte eine solche Haltung nicht selbstverständlich sein?

Billau: Ja, sie ist auch bei vielen Kollegen selbstverständlich. Aber ist es deshalb selbstverständlich, diese zu bestrafen?

Redaktion

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