Lampertheim. Herr Delp, welche Wirkung erhoffen Sie sich mit Blick auf den Preis, der nach dem Namen Ihres Onkels Alfred Delp benannt ist?
Fritz Delp: Die Auszeichnung stellt auch Freiheit und Demokratie ins Zentrum. Insofern erhoffe ich mir zunächst eine Sensibilisierung für die große Bedeutung dieser Begriffe. Ich bin der Stadt Lampertheim dankbar dafür, dass sie diesen Preis ausgelobt hat. Die Menschen werden auf diese Weise daran erinnert, welche großen Opfer der Widerstand im nationalsozialistischen Deutschland gebracht hat. Der Kampf gegen Unrecht, Unterdrückung oder Ausgrenzung ist aber leider immer noch aktuell. Auch in unserem Land, wie man am Zuspruch für die rechtsextreme AfD sieht.
Kommenden Sonntag wird der Alfred-Delp-Preis an den früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck verliehen. Was erwarten Sie sich von seiner Rede mit Blick auf die aktuelle politische Situation. Wird in Lampertheim eine Sonntagsrede ausreichen?
Delp: Nein, sicher nicht. Ich gehe davon aus, dass Gauck aktuelle Bezüge herstellt und beispielsweise den Krieg Russlands gegen die Ukraine thematisiert. Das ist eine Gewaltsituation, die sowohl die Freiheit als auch das Leben der angegriffenen Ukrainer massiv bedroht. Gleichwohl ist bekannt, dass der frühere Bundespräsident unbequem sein kann. Das bedeutet, er könnte auch Dinge sagen, die nicht jedem gefallen. Womöglich auch mir nicht.
Haben Sie ein Beispiel?
Delp: Ich könnte mir vorstellen, dass wir uns bei der Migrationsfrage unterscheiden. Aber darum geht es am Ende nicht. Es gibt eben unterschiedliche Positionen bei schwierigen Fragen. Entscheidend ist, dass sich Politiker und Parteien trotz ihrer Unterschiede für eine gute Zukunft Deutschlands einsetzen. Das gilt allerdings weder für die AfD noch für das Bündnis Sahra Wagenknecht.
Der Alfred-Delp-Preis wird nun erstmals von der Stadt Lampertheim verliehen. Beinahe zeitgleich hat eine Partei wie die AfD bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen viele Stimmen erhalten. Und in Lampertheim, der Stadt, in der Sie ihre Jugendjahre erlebt haben, erhielt die Partei bei der Landtagswahl in Hessen im Herbst eine Zustimmung von 18,4 Prozent. Wie soll man damit umgehen?
Delp: Ich habe keine definitive Antwort. Was ich aber weiß, ist, dass sich ein solches Problem nicht aussitzen lässt. Man muss offen darüber sprechen. Wer Nazis wählt, wird sich früher oder später in Unrecht verstricken. Das hat die Geschichte gelehrt.
Sie sehen die AfD als Nazi-Partei?
Delp: Ja absolut. Inzwischen bin ich auch der Meinung, dass die AfD-Wähler aus Überzeugung für diese Partei stimmen. An die alte Erzählung, es handle sich vor allem um abgehängte Protestwähler, glaube ich nicht mehr so recht. Es mag im Osten Deutschlands noch einige Menschen geben, die frustriert über ihre Lebensbedingungen sind, aber das ist meiner Meinung nach nicht die Mehrheit.
Was also tun?
Delp: Es ist für mich schwierig nachzuvollziehen, dass eine rechtsradikale Partei von knapp 30 Prozent gewählt wird, etwa in den beiden genannten Bundesländern im Osten. Denn das bedeutet, dass sich Wähler bewusst dazu entscheiden, eine Partei zu wählen, die das alte Nazi-Vokabular wiederbelebt, Ausgrenzung propagiert und versucht, weitere radikale Ideen gesellschaftsfähig zu machen.
Eine Entwicklung, die sich in zahlreichen anderen Ländern abzeichnet. Lernt der Mensch nicht dazu?
Delp: Vielleicht wiederholt sich Geschichte tatsächlich. Mit Blick auf Deutschland muss man aber sagen, dass die AfD selbst für eine radikale Politikerin wie Marine Le Pen in Frankreich nicht mehr akzeptabel ist. Warum stört das die deutschen Wähler nicht? Das zeigt doch, wie extrem diese Partei ist. Nach meiner Auffassung müssen wir den Blick auf die Zusammenarbeit in Europa richten. Das war übrigens auch das erklärte Ziel des damaligen Widerstands in Kreisau, ein Europa ohne Grenzen, ohne Kriege und Blutvergießen.
Demokratie und Freiheit zu leben, das bedeutet Verantwortung für den Einzelnen. Werden wir dieser Verantwortung gerecht?
Delp: Es macht mir Mut, dass es viele Frauen und Männer gibt, die Stellung gegen menschenfeindliche Positionen beziehen. Denken Sie an die Demonstrationen im Winter, die sich gegen den Rechtsextremismus gerichtet hatten. Das hat mir Mut gemacht. Es gibt noch sehr viele Menschen, die nachdenken und aufstehen. Wichtig ist es, Widerstand zu leisten, solange er möglich ist. Das ist jetzt der Zeitpunkt.
Fritz Delp
- Fritz Delp hat in seinem zwölfsemestrigen Theologie-Studium an der Universität Heidelberg die Schwerpunkte auf die Fächer Altes Testament, Judaistik und Kirchengeschichte gelegt.
- 1980 legte er das erste Theologischen Examen vor der Prüfungskammer der EKHN ab. Sein Vikariat absolvierte er in Neunkirchen im Odenwald, ehe er im Sommer 1982 das zweite Examen ablegte.
- 1982 begann Delp ein einjähriges Spezialvikariat in der Evangelischen Kirche Deutscher Sprache in Griechenland mit Sitz in Athen.
- Im Anschluss daran wurde der Pfarrer von der Kirchenleitung der EKHN mit der Betreuung der beiden Gemeinden Hainchen und Langenbergheim in der Propstei Oberhessen beauftragt.
- Im Februar 1998 wurde er zum stellvertretenden Vorstandsmitglied des Pfarrerinnen- und Pfarrervereins der EKHN gewählt.
- Im Juli 1999 bekam Delp einen Zusatzdienstauftrag zur Mitarbeit in Projekten der deutsch-polnischen Verständigung.
- Von 1999 bis 2003 war Fritz Delp Mitglied des Stiftungsrates der Stiftung Kreisau für europäische Verständigung.
- Von 2001 bis 2009 war er im Auslandsdienst im evangelischen Pfarramt an der spanischen Costa Blanca.
- Vom 1. September 2009 bis zum Ruhestand im August 2020 hatte Delp die Pfarrstelle 1 der Luthergemeinde Worms inne.
- Seit 2001 ist er Mitglied des Vorstands der Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944. Vorrangige Ziele sind die Erforschung der Geschichte der Widerstandsbewegung gegen das Nazi-Regime in Deutschland und in den ehemals von dem Nazi-Regime besetzten europäischen Ländern, um ihre Bedeutung in der Öffentlichkeit wachzuhalten, die Vergabe von Forschungsaufträgen und die Herausgabe von Forschungsergebnissen sowie die Durchführung von Vorträgen, Seminaren, Kolloquien etc.
- Seit 2024 ist Delp Vorsitzender des Dorothee-Fliess-Fonds, einer Treuhandstiftung der Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944, die Promotionsstipendien für Doktoranden, die über den Widerstand in der NS-Zeit forschen, vergibt und wissenschaftliche Publikationen zum Widerstand unterstützt.
Gleichzeitig wird der Ton in der Migrationsfrage immer rauer. CDU und CSU fordern Zurückweisungen von Schutzsuchenden an deutschen Grenzen. Dabei wird das in der Praxis bereits gemacht. Geht es dabei noch um die Lösung von Problemen oder will man die AfD-Wähler für sich einnehmen?
Delp: Es zeichnet sich schon länger ab, dass die AfD Themen bestimmt und demokratische Parteien hinterherhecheln. Sie haben Angst, Wähler zu verlieren. Aber Angst ist ein schlechter Ratgeber, zumal die Leute am Ende eher das Original wählen. Ich finde es furchtbar, wie dann plötzlich über das Asylrecht gesprochen wird, das ist auch eine Frage der Menschenwürde. Selbst bei der SPD und den Grünen sind mittlerweile solche Töne zu vernehmen. Bei der CDU ist es natürlich besonders frappierend, sie trägt das Christliche ja im Namen.
Deutschland erlebt eine Welle der Gewalt. Die zahlreichen Anschläge verunsichern die Bevölkerung.
Delp: Das stimmt. Aber wenn ein Mensch einen anderen Menschen ersticht, dann macht er das doch nicht, weil er aus Syrien oder sonst woher kommt. Das macht er, weil er ideologisch manipuliert und radikalisiert ist. Dann muss er bestraft und im Anschluss ausgewiesen werden. Keine Frage, Islamisten verurteile ich absolut. Und wenn jemand so ein schreckliches Verbrechen verübt, weil er psychisch krank ist, muss er natürlich in die Psychiatrie. Das steht doch nicht zur Debatte. Aber wir können deshalb doch nicht alle Menschen aus bestimmten Ländern abschieben. Mein lieber Schwan, dann können wir uns von der Europäischen Menschenrechtskonvention verabschieden. Die besagt nämlich, dass niemand in ein Land abgeschoben werden darf, wo Folter und Mord drohen.
Sie waren jahrzehntelang Pfarrer, haben unter anderem nach dem Theologiestudium in Heidelberg ein Jahr in Athen verbracht, wo Sie sich unter anderem um deutsche Strafgefangene in griechischen Gefängnissen kümmerten. Was macht Ihnen Hoffnung?
Delp: Ich habe Hoffnungen und Befürchtungen. Es gibt aktuell Anzeichen, dass wir gesellschaftlich und politisch in düstere Zeiten zurückfallen könnten. Männer wie Alfred Delp erkannten während der Nazi-Diktatur, dass Juden und andere Gruppen im Namen Deutschlands verfolgt und grausam getötet wurden. Damals schrieb der Widerstandskämpfer Helmuth James Graf von Moltke einen Brief an seine Frau Freya. Sinngemäß fragte er sie, wie er trotz des herrschenden Unrechts in seiner Stube gemütlich sitzen und Tee trinken könnte. Aus der damaligen Depression heraus entwickelte sich dann der Antrieb, etwas unternehmen zu müssen. Das hat etwas mit Menschlichkeit zu tun. Egal, wo ich auf der Welt unterwegs war, diesen Impuls habe ich überall erleben dürfen.
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