Lampertheim/Viernheim. Zu den Herausforderungen der Gegenwart gehört es, Wälder besser an den Klimawandel anzupassen. So zeigt sich etwa im stark geschädigten Lampertheimer Wald, wie schwierig es ist, ein stabiles Waldökosystem aufzubauen. Das soll nun ausgerechnet dadurch erleichtert werden, dass bisherige Standards zeitweise außer Kraft gesetzt werden. Mit Hilfe ihrer parlamentarischen Mehrheit hat die schwarz-rote Regierungskoalition im Juni durchgesetzt, dass sich Hessen vorläufig vom Wald-Ökosiegel FSC verabschiedet.
Begründet wird das bis 2028 geltende Moratorium mit angeblich allzu starren Regeln, die dem Ökosiegel bisher zugrunde liegen. „Der FSC-Standard ist derzeit nicht flexibel genug, um die Folgen des Klimawandels angemessen zu berücksichtigen“, argumentiert etwa Forstminister Ingmar Jung (CDU).
Nachhaltige Waldwirtschaft
- Die Organisation Forest Stewardship Council (FSC) setzt sich für Umwelt- und Sozialstandards in Wäldern ein. Mit der Einbindung von Interessengruppen, Unternehmen sowie Umwelt- und Sozialorganisationen will FSC nachhaltige Waldwirtschaft fördern.
- So kommt etwa das Holz von Möbeln, Spielzeugen, Büchern, Schulheften oder Bleistiften mit FSC-Siegel aus Wäldern, die auf verantwortungsvolle Weise bewirtschaftet werden. wol
Doch was bedeutet das für den Forst zwischen Lorsch, Lampertheim, Viernheim und Bürstadt? Die zurückliegenden Dürrejahre haben dem etwa 10 000 Hektar großen Wald stark zugesetzt. Das Gebiet im Ried gilt unter Fachleuten als Beispiel dafür, wie stark das sich ändernde Klima zum Handeln zwingt. Viele Bäume haben in den vergangenen Jahren durch Käfer- und Pilzbefall großen Schaden erlitten.
Wie der Leiter des Lampertheimer Forstamts, Steffen Hering, sagt, haben die ergiebigen Niederschläge der vergangenen Monate dem Wald zwar sehr gut getan. „Zahlreiche Bäume sind aber so krank, dass sie in den kommenden Jahren ausfallen werden“, sagt er. Erschwerend komme hinzu, dass Neophyten wie die Traubenkirsche oder die Kermesbeere die heimischen Pflanzen verdrängen. Und auch der Maikäfer mache den ohnehin angegriffenen Bäumen schwer zu schaffen.
Funktionierende Verjüngung im Viernheimer Wald jenseits des FSC-Standards
Doch gebe es auch einen Silberstreif am Horizont. Bei einer Waldbegehung im Juli präsentiert der 45 Jahre alte Mann von Hessenforst eine Versuchsfläche im Bereich Viernheim West. 2018 und 2019 seien hier kranke Bäume gefällt worden, der Waldboden so gefräst, dass er eher einem Acker geähnelt habe.
Heute, knapp sechs Jahre später, stehen an dieser Stelle etwa vier Meter hohe Stiel- und Traubeneichen in voller Blüte. Damals ebenfalls gepflanzte Roteichen und Hainbuchen haben sich gut entwickelt. Gesetzt wurden die Bäume mit Hilfe leistungsstarker Erdbohrer. Hering, der sichtbar von dem üppigen Bewuchs angetan ist, geht davon aus, dass jeder Regentropfen in den Boden sickern konnte, die aggressiven Borkenkäfer durch diese Art der Bepflanzung weg geblieben sind.
Nicht zuletzt hätten wenig konkurrierende Pflanzen den Aufwuchs der Bäume in der ersten Phase behindert. Das alles habe sich zudem während der jüngsten Dürreperiode entwickelt, die 2018 begonnen hatte, fügt der Amtsleiter hinzu. Und: „Man muss es sicher nicht überall so machen. Aber das Beispiel zeigt, wie gut der Wald dastehen kann.“
Noch seien solche Verjüngungsflächen nicht vorgesehen. Grundsätzlich möglich werde das nun aber, da die Beschränkung durch den FSC-Standard einstweilen wegfalle. Doch wie viele Flächen könnte man in dieser Weise umpflügen, den Lampertheimer Wald auf diese Weise schrittweise verjüngen? „Zehn bis zwölf Hektar im Jahr wären wohl möglich“, sagt Hering. Entscheidend sei aber, dass dieses enorme Wachstum nur aufgrund einer Sondergenehmigung möglich gewesen sei.
Üblicherweise sehe der FSC-Standard so eine Anpflanzung gar nicht vor. Schon gar nicht im größeren Stil. Somit erschwerten die entsprechenden Auflagen eine klimafeste Wiederbewaldung kahler Flächen, heißt es von Hessenforst. Das Anpflanzen bewährter klimatoleranter Baumarten wie Edelkastanie oder Roteiche sei ebenfalls nicht möglich, da diese Gewächse nicht heimisch sind.
Hinzu komme viel Bürokratie für die vorgeschriebene Dokumentation für das Siegel. Als hinderlich werden die Auflagen des FSC-Standards zudem gesehen, da diese etwa Einschränkungen bei erprobten waldbaulichen Verfahren mit sich bringen.
Kritik an der Entscheidung der Hessischen Landesregierung
FSC Deutschland weist die Kritik zurück. Das Siegel sorge für optimierte Biotopbaumkonzepte, Naturwaldflächen ohne forstliche Eingriffe und mehr Sicherheit für Waldarbeiter. FSC-Vorgaben hätten im hessischen Staatswald Verbesserungen erzielt. Nichtheimische Bäume bergen laut FSC „ein ökologisches Risiko für die heimische Artenvielfalt und die Stabilität der Waldökosysteme“. Gleichwohl seien bis zu 20 Prozent nichtheimische Baumarten bei Wiederaufforstungen noch erlaubt. Aber nur außerhalb Natura-2000- und Naturschutzgebieten.
Aus Sicht des Naturschutzbundes Nabu in Hessen sorgt das Aussetzen der bisherigen Standards dafür, dass eine unabhängige externe Kontrolle wegfällt. „Am stabilsten im Klimawandel ist ein naturnaher Wald mit europäischen Baumarten, die hier schon seit Zehntausenden von Jahren angepasst sind und viele Klimaveränderungen miterlebt haben“, heißt es von den Umweltschützern.
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