Gedenken (mit Fotostrecke)

Zeitzeugin begleitet Stolperstein-Verlegung in Ladenburg

Ruth Steinfeld lebt in den USA, kommt aber aus Ladenburg. Von hier wurde sie deportiert und ins Internierungslager gebracht. Sie überlebte. Für eine Gedenkveranstaltung besuchte Steinfeld erneut ihre alte Heimat

Von 
Peter Jaschke
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Stefan Schmutz (v.l.), Ruth Steinfeld und Ingrid Wagner bei der Gedenkveranstaltung. © Christoph Blüthner

Ladenburg. Die Anfang neunzigjährige Holocaust-Überlebende Ruth Steinfeld hat trotz hohen Alters erneut ihre frühere Heimatstadt besucht. „Ladenburg war immer meine Stadt“, sagt die 1933 geborene Zeitzeugin am Sonntag bewegt. Sie ist mit drei Angehörigen aus ihrer US-Wahlheimat Houston in Deutschland unterwegs. Auch Ingrid Wagner und Jürgen Zieher vom örtlichen Arbeitskreis Jüdische Geschichte zuliebe macht sie gerne einen Abstecher. Dafür gibt es einen besonderen Anlass: Hatten jene beiden Aktiven doch für fünf weitere Stolpersteine (37 gibt es bisher) Geld gesammelt, als Zeichen gegen zunehmenden Antisemitismus.

Zeitzeugin: „Ich dachte, die Leute würden aus der Geschichte lernen“

Als die vom deutschen Künstler Gunter Demnig ersonnenen Miniatur-Gedenktafeln aus Messing am Sonntag mit rund 100 Personen vor der ehemaligen Synagoge ihrer Bestimmung übergeben werden, legt auch Ruth Steinfeld eine weiße Rose nieder. Vor dem Hintergrund ihres eigenen Kindheitstraumas kann sie es wohl kaum fassen, dass Judenhass wieder zunimmt: Bereits vor Jahren, damals trägt sie sich auf Einladung der Stadt ins Goldene Buch ein, hatte sie im Gespräch mit dieser Redaktion gesagt: „Ich dachte, die Leute würden aus der Geschichte lernen.“ Der Titel ihrer eigenen, veröffentlichten Lebensgeschichte lautet „Vergeben, nicht vergessen“.

Einen wohltuend warmen Empfang erfahren die Ehrengäste, darunter auch Ruth Steinfelds Töchter Fredda und Michelle sowie ihre Nichte Judy, in Ladenburg: „Herzlich willkommen zurück in Ladenburg“, sagt Bürgermeister Stefan Schmutz unter Applaus und ins Englische übersetzt von seiner Frau Katja Krauser. Er würdigt ein Kunstwerk, das Carl-Benz-Gymnasiasten gestaltet haben, und betont: „In unserer Zeit, in der zu viele Menschen der Hoffnung auf einfache Lösungen verfallen, ist die Erinnerung an das, was gewesen ist, wichtiger denn je.“

Antisemitische Übergriffe in Deutschland

  • Laut Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) gab es 2023 4782 antisemitische Vorfälle (fast 83 Prozent mehr als 2022).
  • Es bestehe ein „eindeutiger Zusammenhang“ mit dem Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023, der als „schlimmstes Pogrom an Juden seit dem Holocaust“ gilt. Laut Deutschem Lehrerverband nimmt Antisemitismus auch an Schulen zu.
  • Die Bundesregierung hat 2022 eine „Nationale Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben“ beschlossen, um Juden zu stärken

Alle 42 Steine erinnern an Menschen, „denen willkürlich das Recht abgesprochen wurde, in Freiheit und Würde ihr eigenes Leben selbstbestimmt zu leben“. Nur wenigen sei die Flucht gelungen, eine unfassbare Zahl durch das NS-Regime ermordet worden. Dem Arbeitskreis Jüdische Geschichte gebühre Dank, dass er erneut die von der Stadt unterstützte Initiative ergriffen habe und dran erinnere, dass Ladenburg immer noch nicht aller ehemaligen jüdischen Mitbürger auf diese Weise gedenke.

„Ich bin so froh, dass Sie alle hier sind“, sagt Ruth Steinfeld gerührt. Ihre in den USA aufgewachsene Tochter Michelle erklärt. „Wir fühlen uns Deutschland und Ladenburg so eng verbunden.“ Ihre Mutter habe im vergangenen Jahr den deutschen Pass beantragt und bekommen. Dabei erlebt sie vor 84 Jahren als Kind in Ladenburg zunächst Ausgrenzung und übles „Bashing“, wie man heute sagen würde.

Am 22. Oktober 1940 gehören die damals Siebenjährige und ihre ein Jahr ältere Schwester Lea, die 2008 in den USA gestorben ist, mit ihren Eltern Anna und Alfred Krell zu den letzten 27 jüdischen Ladenburgern. Sie werden ins Internierungslager Gurs verschleppt. Die weitaus meisten sterben dort oder werden später in Konzentrationslagern ermordet.

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Auch zur Erinnerung an sie alle hatte der städtische Bauhof zuvor Stolpersteine verlegt für Sally Rosenfelder, den einstigen Kantor und Religionslehrer der jüdischen Gemeinde, und seinen Angehörigen Mina Rosenfelder, Brunhilde Kapustin (geb. Rosenfelder), Irene Rosenfelder und Klara Schwarzenberger (geb. Heidingsfelder). „Wir dürfen ihre Schicksale nicht vergessen“, sagt der promovierte Historiker Jürgen Zieher.

Antisemitismus bedroht die Grundlagen der Demokratie

Antisemitismus bedrohe nicht nur Juden, sondern auch grundlegende Werte der Demokratie. Er hört Beifall für seinen Aufruf: „Setzen wir uns dagegen ein, jeder an seinem Ort und nach seinen Möglichkeiten.“ Was die patriotisch gesinnten Rosenfelders nach der Reichspogromnacht am Morgen des 10. November 1938 in der Hauptstraße 46 erleben, beschreibt Zieher in der Broschüre „Spuren jüdischen Lebens in Ladenburg“ (abrufbar unter dieser Adresse).

Erschreckend, wie brutal die Inneneinrichtung der damaligen Synagoge, also das Zentrum des religiösen und sozialen Lebens der jüdischen Gemeinde, zerstört und in den folgenden Nächten Rosenfelders Wohnung geplündert wird. Ruth Steinfeld erinnert sich, welche Angst sie selbst hatte, als damals Männer mit Äxten und Hämmern in der Wohnung ihres Großvaters alles kaputt schlagen.

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Kaum tröstlich, dass alle fünf Rosenfelders, darunter eine Tante von Ruth Steinfeld, später dem staatlich organisierten Terror ins Ausland entfliehen können. Dies gelingt der Familie von Ruth Steinfeld aufgrund fehlender, aber zur Ausreise notwendiger Papiere nicht. Während ihre Eltern 1942 in Auschwitz ermordet werden, überleben von den 27 letzten jüdischen Ladenburgern nur acht, darunter die Schwestern Ruth und Lea. Auch an deren Schicksal erinnern seit 2008 Stolpersteine in der Weinheimer Straße 20. Ein Jahr nach Kriegsende waren sie emigriert zu ihrem Großvater Jakob Kapustin, dem die Auswanderung in die USA früher geglückt war.

Dort wird Ruth Steinfeld zur „Zeitzeugin von unschätzbarem Wert“. So bezeichnet sie 2021 bei der Auszeichnung mit dem ranghöchsten Verdienstorden Frankreichs die französische Generalkonsulin im Holocaust-Museum von Houston. Habe Ruth Steinfeld doch über Jahrzehnte hinweg unermüdlich andere über die „furchtbaren Erfahrungen der europäischen Juden vor und während des Zweiten Weltkriegs unterrichtet“.

Freier Autor Peter Jaschke ist freier Mitarbeiter seit 1997 und macht überwiegend regionale Berichterstattung, nimmt aber auch Sport- und Kultur-Termine wahr.

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