Ladenburg. Obdachlosigkeit, unzureichende Entlohnung und Angst – mit diesen Vorwürfen erheben drei Frauen aus Georgien schwere Anschuldigungen gegen den Hegehof in Ladenburg. Die Zwillingsschwestern Nino und Ketevan G. (35) kamen 2022 auf den Hegehof in Ladenburg – in der Hoffnung, in zwei Monaten so viel zu verdienen wie in einem Jahr zu Hause.
Die Familie Hege führt den Hof – Dieter und Brigitte mit Sohn Maximilian. Sie bauen Obst und Gemüse an, das sie im Hofladen, an saisonalen Verkaufsständen, auf dem Wochenmarkt in Ladenburg oder auch im Supermarkt verkaufen. In der Erntezeit steigt der Bedarf an Arbeitskräften. Daher beschäftigt der Hegehof – wie viele andere landwirtschaftliche Betriebe – Saisonarbeiter aus dem Ausland.
Die ehemaligen Arbeiterinnen aus Georgien berichten, dass ihnen Lohn vorenthalten worden sei und sie ohne Dach über dem Kopf auf die Straße gesetzt worden seien. Diese Redaktion berichtet erst jetzt über diese Fälle, da die Redaktion vor kurzem Informationen dazu erhalten hat.
Kündigung mit einem Tag Vorwarnung
Am 13. Juli erhielten Nino und Ketevan G. ihre Kündigung – mit einem Tag Vorankündigung. Diese Kündigungsfrist entspricht ihrem Arbeitsvertrag und ist in diesem Fall für Aushilfskräfte gesetzlich zulässig. Denn „es gibt eine Ausnahmeregel im Kündigungsschutz, die für Aushilfen gilt, die bei zusätzlichem Arbeitsanfall eingestellt werden“, sagt Dietrich Growe, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Mannheim.
Aber: Arbeiter, die aus Drittstaaten zu Arbeitszwecken nach Deutschland einreisen, müssen mit einem Rückflugticket einreisen. Im Fall der Schwestern aus Georgien bedeutete das: Sie hatten ein Rückflugticket erst für August. Laut Vertrag sollten sie von Juni bis August auf dem Hegehof arbeiten.
Übernachtungen auf dem Flughafen und auf der Straße
„Wir mussten den Hof am Tag nach der Kündigung sofort verlassen – ohne Dach über dem Kopf oder baldigen Rückflug“, berichten sie. So seien Nino und Ketevan G. am Flughafen gestrandet. „Wir mussten sieben Nächte im Terminal schlafen, bis wir einen Fahrer fanden. Er brachte uns für 110 Euro nach Georgien, in fünf Tagen und vier Nächten“, sagt Ketevan G.
Eine Unterkunft konnten sie sich nicht leisten. Nach Abzügen für Unterkunft und Verpflegung erhielt Ketevan G. nur 590,80 Euro Lohn – allein der Flug hatte 401 Dollar gekostet. „Am Ende hatten wir mehr Ausgaben als Einnahmen“, sagen die Schwestern. Auch Ketevan T., die ebenfalls 2022 auf dem Hegehof arbeitete, berichtet Ähnliches. Sie habe für die Familie Hege Saisonarbeiter aus Georgien mitgebracht: „Drei Tage vorher informierten die Heges uns, dass die Arbeiter 14 Tage früher als geplant gehen müssen. Sie schliefen dann zwei Nächte in Stuttgart auf der Straße.“
Alle drei Frauen berichten, dass ihnen nicht alle geleisteten Arbeitsstunden ausgezahlt worden seien. „Wir haben auch oft gewartet, dass uns jemand zur Arbeit abholt. Aber niemand ist gekommen oder hat uns Bescheid gegeben“, sagen die Zwillingsschwestern außerdem. Nach den Angaben von allen drei Frauen fehlten ihnen mehrere Hundert Euro. Dennoch unterschrieben sie die aus ihrer Sicht falschen Lohnabrechnungen – aus Angst, wie sie sagen.
Wenig Hoffnung auf die Durchsetzung von Rechten
Die Schwestern aus Georgien wandten sich, als sie wieder zu Hause waren, an die georgische Gewerkschaft. Diese vermittelte sie an den Wissenschaftler Markus Köck, der an der Hochschule Fulda forscht. Seine Promotion befasst sich mit der sozialen und rechtlichen Lage migrantischer Saisonarbeiter in Deutschland. Köck interviewte die beiden Frauen im Rahmen seiner Forschung. „Ich hatte den Eindruck, dass sie von der Behandlung auf dem Hof zutiefst geschockt waren. Sie hatten in Deutschland die Einhaltung von grundlegenden Arbeits- und Menschenrechten erwartet“, sagt Köck.
Er stellte schließlich den Kontakt zur Organisation Mira (Mit Recht auf Arbeit!) her, die Migranten und Geflüchtete aus Drittstaaten bei sozial- und arbeitsrechtlichen Fragen unterstützt. Dennoch bestehe in einem Fall wie dem der Frauen aus Georgien wenig Hoffnung auf die Durchsetzung ihrer Rechte. Denn: „Für einen Prozess müssten die Betroffenen wieder einreisen. Die Kosten übersteigen oft ihre finanziellen Mittel und sind höher als die offenen Forderungen“, sagt Köck.
Auch Ketevan T. wandte sich mit Hilfe von Mira mit den angeblich offenen Forderungen an die Familie Hege. Mit Verweis auf die Unterschrift auf der Lohnabrechnung von Frau T. weist der Hegehof diese zurück. Mit den erhobenen Vorwürfen konfrontiert, antwortet ein Anwalt der Familie. Die Familie bestreitet die Vorwürfe vehement.
Anwalt der Heges äußert sich zu den Vorwürfen
Laut ihrem Anwalt haben die Heges alle Löhne korrekt ausgezahlt. Der Anwalt verweist auf die unterschriebenen Lohnabrechnungen. Auch hätten nicht die Heges beiden Schwestern gekündigt, sondern Nino G. habe selbst – aus privaten Gründen – am 12. Juli gekündigt. Daraufhin hätten die Heges Ketevan G. am 13. Juli gekündigt. Das bestreitet Nino G.. Die Werkswohnungen mussten nach Angaben des Anwalts geräumt werden, da dies aus rechtlichen Gründen empfohlen worden sei. Auch Gehaltseinbußen habe es keine gegeben, da niemandem eine bestimmte Arbeitszeit garantiert werde.
Verantwortung nicht nur bei den landwirtschaftlichen Betrieben
Nach Auskunft von Köck sind die beschriebenen Verhältnisse in der Landwirtschaft - gerade in größeren Betrieben - kein Einzelfall. „Natürlich gibt es Landwirte, die ihre Betriebe gesetzeskonform führen und Saisonarbeitskräfte ordentlich behandeln.“ Unregelmäßigkeiten oder Betrug seien jedoch im Hinblick auf Lohnzahlungen und Zeitaufzeichnungen keine Seltenheit. Immer wieder komme es zu diskriminierenden Verhalten gegenüber den Saisonkräften. „Man kann also leider nicht von ,einigen schwarzen Schafen‘ ausgehen“, sagt Köck.
Zu diesem Ergebnis kommen auch die Studien der Initiative Faire Landarbeit und Oxfam. Oxfam ist eine international tätige Hilfs- und Entwicklungsorganisation, die sich für soziale Gerechtigkeit, die Bekämpfung von Armut und die Förderung von Menschenrechten einsetzt. Der Bericht von Oxfam kommt zu dem Schluss, dass viele Saisonarbeiter und Saisonarbeiterinnen in Deutschland „Ausbeutung und schlechte Arbeitsbedingungen erleben. Lohndumping und Wuchermieten sind allgegenwärtig“, heißt es in dem Bericht aus dem Jahr 2024.
Köck und Oxfam sehen die Verantwortung nicht nur bei den landwirtschaftlichen Betrieben, sondern vor allem bei deutschen Supermärkten, die ruinöse Preise zahlen. „Aldi, Rewe, Edeka und die Schwarz-Gruppe mit Kaufland und Lidl teilen mehr als 85 Prozent des deutschen Lebensmitteleinzelhandels unter sich auf“, heißt es in der Studie. Wenn Bauern nicht zum gewünschten Preis lieferten, seien sie raus. Diesen Preisdruck würden die Betriebe nach unten weitergeben - an die Saisonarbeiter, die sich nur schwer wehren könnten.
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