Ladenburg. Im Neckarkanal zwischen Ladenburg und Ilvesheim ist an diesem Vormittag Maßarbeit gefragt. Nicht einmal einen Meter beträgt der Abstand zwischen dem 186 Tonnen schweren Stahlverschluss und dem nagelneuen Hochwassersperrtor auf der einen sowie der Brücke der L 542 auf der anderen Seite. Diagonal schwebt der Koloss über dem Wasser, aufliegend auf zwei großen, blauen Trägern, die auf mehreren Stapeln einer Holz-Stahl-Konstruktion ruhen. Diese sind auf einem Self-Propelled Modular Transporter errichtet, einer fahrbahren Plattform mit mehreren Achsen und eigenem Antrieb. Mit einem 66 Meter langen und zehn Meter breiten Ponton wurde die Konstruktion am Freitagmorgen unter den Stahlverschluss des alten Hochwassersperrtors zwischen Gewerbegebiet und Kläranlage manövriert, um es auszuheben. Der 100 Jahre alte Schutzbau hat ausgedient und wird rückgebaut, der bereits fertige Neubau wenige Meter flussabwärts ersetzt ihn.
Ponton aus den Niederlanden
Projektleiter Bernd Walter steht auf einer erhöhten Plattform des neuen Sperrtors und beobachtet den tonnenschweren Balanceakt. „Um kurz nach 6 Uhr ging es los“, berichtet der Ingenieur beim Wasserstraßen-Neubauamt (WNA) Heidelberg. Der Ponton aus den Niederlanden sei mit einem Schubschiff unter dem alten Sperrtor positioniert und die blauen Träger mit dem Stahlverschluss verbunden worden. „Durch Ablassen von Wasser aus dem Ponton ist dieser 1,5 Meter aufgeschwommen und hat das Tor aus seinen Widerlagern angehoben“, erklärt Walter. Was klingt wie ein kurzer Vorgang, hat ungefähr vier Stunden gedauert. Wie bei dem gesamten Projekt ist auch an diesem Tag viel Geduld gefragt.
Die muss auch Kees Kompier mitbringen. Der Niederländer ist Bereichsleiter Engineered Solutions bei der Firma Felbermayr und mit seinem Team für den Aushub zuständig. Das europaweit tätige Unternehmen ist spezialisiert auf solche außergewöhnlichen Projekte und wird etwa auch beim Bau von Ölplattformen, Windkraftanlagen oder Brücken konsultiert.
Das Projekt
- Die ersten Pläne für das neue Hochwassersperrtor zwischen Ladenburg und Ilvesheim stammen aus 2008. Die Fertigstellung war für 2017 vorgesehen.
- Wegen Streitigkeiten mit einer Baufirma, Niedrigwasser 2018 und einer Überarbeitung des Einbaukonzepts für den stählernen Verschluss verzögerte sich das Projekt.
- Die Kosten stiegen von geplanten 12,1 Millionen auf rund 24 Millionen Euro.
- Seit Mai ist das neue Sperrtor regulär in Betrieb, der 100 Jahre alte Vorgänger kann weichen.
„Jedes Projekt hat seine eigenen Herausforderungen“, sagt Kompier. In diesem Fall seien es vor allem die beengten Platzverhältnisse im Neckarkanal zwischen der Brücke und dem neuen Hochwassersperrtor. Eine akribische Vorbereitung, unter anderem mit der Berechnung eines 3D-Modells, sei da erforderlich gewesen. „Mann muss auf sehr viele kleine Punkte achtgeben. Vor allem geht es um Balance und Gleichgewicht – und das alles auf einem sehr kleinen Radius“, sagt der Niederländer. Dass man für jede Aufgabe neue Lösungen entwickeln müsse, mache besonders Spaß.
Nachdem der 186 Tonnen schwere Stahlverschluss aus den Widerlagern am Ufer gehoben ist, wird er im Kanal leicht gedreht, damit er wieder heruntergelassen werden kann. In dieser Position schleppt ihn das Schubschiff auf dem Ponton dann unter dem neuen Hochwassersperrtor hindurch in den breiteren Teil des Kanals. „Nach oben sind dann gerade einmal 15 bis 20 Zentimeter Luft“, sagt Manfred Mladek vom Unternehmen Schleith, das für den gesamten Rückbau zuständig ist.
Im breiteren Kanal wird der Stahlverschluss dann vollständig in Fließrichtung gedreht und nach Mannheim-Rheinau gebracht, wie Bernd Walter erläutert. Der Stahlkoloss wird in kleinere Teile zerschnitten und schließlich in einem Hochofen eingeschmolzen. Die Betonwände mit den Widerlagern, in denen das alte Tor befestigt war, werden nach der Aktion erneuert und verstärkt. Sie bilden einen massiven Übergang zum Deich und sind somit Teil des Hochwasserschutzes, so Walter.
Torhäuschen abgerissen
Nicht erfüllt werden konnte der Wunsch des Ladenburger Gemeinderats, die alten Torhäuser auf beiden Uferseiten zu erhalten. Sie wurden im Laufe der vergangenen Wochen abgebrochen. Die Schutthaufen liegen noch an Ort und Stelle. „Wir haben nochmals untersucht, was ein Erhalt kosten würde. Das wäre schlicht zu teuer gewesen und hätte den Aufwand nicht gerechtfertigt“, so der Projektleiter.
An diesem Samstag soll der Aushub vollständig abgeschlossen und das alte Tor bereit zum Abtransport sein. Walter wird die ganze Zeit dabei bleiben. „Wer weiß, ob man so etwas nochmal zu sehen bekommt“, sagt er.
Denn im Neckar gebe es lediglich drei Hochwassersperrtore, das neue zwischen Ladenburg und Ilvesheim soll mindestens 100 Jahre halten. „Und bei den anderen steht derzeit keine Erneuerung an.“ Seit 2008 ist Bernd Walter mit dem Großprojekt beschäftigt. Jetzt freut er sich über den erfolgreichen Abschluss und die gesammelten Erfahrungen. Beim Neubau des Wehrs Wieblingen, seiner nächsten großen Aufgabe, kann er sie womöglich schon wieder gut gebrauchen.
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