Ilvesheim. Noch heute kommen Alexander Oberst die Tränen, wenn er an diesen einen Moment im Winter 2021 zurückdenkt. Da klingelte es beim Ilvesheimer an der Tür. Ein Kollege stand am Treppenabsatz - gemeinsam mit seiner Frau und dem neugeborenen Kind in einer Babyschale. Oberst, damals akut an einem Lymphom erkrankt, wusste noch nicht, was da kommen würde: „Mein Kollege fragte mich, ob ich der Patenonkel seines Kindes werden möchte.“ Obersts Stimme bricht ab, er entschuldigt sich.
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Dass er heute, im Sommer 2024, noch hier sitzt, ist alles andere als selbstverständlich. Und damals war es das noch viel weniger. Ende 2021 waren Oberst und seine Familie auf der verzweifelten Suche nach einem Stammzellenspender (wir berichteten). Die chronisch lymphatische Leukämie (CLL) hatte man mit verschiedenen Therapien vorerst zurückschlagen können, doch dann kamen die Krebszellen zurück. Sie waren so stark mutiert, dass nur noch eine Stammzellenspende helfen konnte. Oberst bewegte sich Ende 2021 immer wieder zwischen Hoffen und Bangen, mit dem drohenden Ende als ständiger Begleiter. Dass ihn sein Kollege trotz dieser Umstände nach dem Patenamt fragte, macht ihn zuweilen heute noch fassungslos vor Glück: „Ich war völlig perplex, habe mich so geehrt gefühlt.“
Was Oberst damals noch nicht wusste: Wenige Wochen später sollte er seinen zweiten Geburtstag feiern. Er selbst bezeichnet den 26. Januar 2022 als solchen, denn an diesem Tag bekam er eine Stammzellenspende - und konnte ab dann die ersten Schritte in sein neues Leben gehen. Für eine Spende braucht es einen Menschen, dessen Stammzellen eine sehr große Übereinstimmung mit denen des Empfängers haben, es braucht eine Art genetischen Zwilling.
Die Spenderin bekam einen Anruf und hat keine Sekunde gezögert
Melanie Menges ist gerade im Urlaub angekommen, als ihr Handy klingelt. Die heute 44-Jährige geht sofort ran - und hat ab da keinen Urlaub mehr. „Mir wurde gesagt, dass es einen potenziellen Empfänger für meine Stammzellen gibt“, erzählt sie. Zuerst habe man sie gefragt, ob sie sich weiterhin vorstellen könne zu spenden. Sie könne sich ja melden, wenn sie aus den Ferien zurück sei. „Ich habe keine Sekunde gezögert. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits seit zehn Jahren im Register eingetragen, ich habe direkt einen Arzttermin für eine Blutprobe vereinbart und angefangen, die ganzen Formalitäten zu erledigen - quasi vom Liegestuhl aus“, sagt die Duisburgerin. Nicht allzu lange später sei sie im Krankenhaus gewesen, um untersucht zu werden: „Da hat man geschaut, ob ich weiterhin geeignet bin für eine Spende.“ Sie war es.
Wie kann man sich typisieren lassen?
- In vielen Fällen hilft Menschen, die an Blutkrebs oder einem Lymphom erkrankt sind, nur noch eine Stammzellenspende.
- Die DKMS (früher Deutsche Knochenmarkspenderdatei) sitzt in Tübingen und registriert Stammzellenspender.
- Der Verein Blut e.V. (Bürger für Leukämie- und Tumorerkrankte) hat für Alexander Oberst 2021 eine Typisierungsaktion organisiert.
- Hierbei geben die potenziellen Spender eine Speichelprobe ab und werden in der DKMS-Datenbank gespeichert.
- Kommt man als Spender infrage, folgen einige Tests und Untersuchungen. Die Spende kann auf verschiedenen Wegen erfolgen.
- Wer spenden möchte, kann sich ein Typisierungs-Set zuschicken lassen. Das geht unter www.blutev.de/stammzellspende/spender-werden oder auch über die DKMS: www.dkms.de/aktiv-werden/
- spender-werden.
- Bei Fragen kann man sich direkt an den Blut e.V. wenden (Tel. 07244/ 6083 0 oder info@blutev.de). Bei der DKMS findet man Ansprechpartner unter www.dkms.de/kontakt.
Vor der Entnahme musste sie sich täglich Hormone spritzen, um die Stammzellen aus dem Knochen in die Blutbahn zu ziehen. „Das hat man dann schon gemerkt, ich war platt.“ Im Krankenhaus wurde sie an einen Blutkreislauf angeschlossen, dabei filterte eine Maschine die Stammzellen heraus. Am Abend des 25. Januar schließlich machte sich ein Wagen mit dem Plasma-Beutel auf den Weg nach Heidelberg.
Das entscheidende Telefonat ist „kurz und schmerzlos“
Wenige Wochen vorher: Der Moment, in dem Alexander Oberst erfährt, dass er eine zweite Lebenschance bekommt, läuft denkbar unspektakulär ab. „Das Telefonat war kurz und schmerzlos“, sagt er: „Ich war erst mal völlig perplex, habe aufgelegt, geweint und es dann meiner Frau gesagt.“
Auch heute noch fühlt er „enorme Dankbarkeit“ angesichts dieses „Wunders“. Oberst sagt: „Wenn man so aufgewachsen ist, dass man sich Dinge erst verdienen muss, war es nicht so einfach, dieses Geschenk anzunehmen.“ Als Schulleiter ist meistens er es, der Probleme lösen muss. Hier musste er Verantwortung abgeben, sich voll und ganz dem medizinischen Fachpersonal anvertrauen. Man mache sich vorher gar nicht bewusst, welch eine Maschinerie im Hintergrund arbeite, nur um anderen zu helfen, sagt Oberst: „Das hat mir die Augen für so viel Positives geöffnet.“
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Vor der Transplantation hatte der Ilvesheimer (neben vielen anderen Untersuchungen und Behandlungen) noch einmal eine große Bestrahlung bekommen, um die „bösen“ Zellen zu zerstören. Oberst erinnert sich noch gut an die Worte des Radiologen: „Er sagte zu mir: Wenn wir das jetzt machen, ist es vorbei mit ihrem System. Es gibt kein Zurück mehr. Die Transplantation muss klappen.“
Und wie waren die Wochen nach der Stammzellenspende für Oberst? „Der Horror“, sagt er ohne zu zögern. „Die Ärzte versuchen einen in Bewegung zu halten, aber man ist eigentlich leistungsunfähig.“ Zugleich hat er Immunsuppressiva bekommen, um eine mögliche Abwehrreaktion seines Körpers gegen die neuen Stammzellen zu verhindern. Er habe großes Vertrauen gehabt in das Fachpersonal. Und doch begleiten ihn die Zweifel bis heute: „Ich habe immer Angst vor der nächsten Kontrolluntersuchung. Bisher ist alles gut gegangen. Aber ich frage mich jedes Mal. Stimmt alles? Kommt wieder was?“
Es sei unglaublich wichtig, dass ihr Mann immer wieder höre, dass alles in Ordnung sei, findet Angela Oberst. Dabei spielen die Familie, enge Kolleginnen und Kollegen, aber auch die Spenderin Melanie Menges eine enorm wichtige Rolle. In den ersten zwei Jahren aber durften sich Spender und Empfänger nur anonym schreiben. „Mir war es wichtig, dass Alexander erfährt, dass es mir gut geht und dass ich an ihn denke“, sagt Melanie Menges.
Sie war auch sehr früh überzeugt, dass es gut wird - zumal die Passgenauigkeit der Stammzellen bei 100 Prozent lag. „So was ist sehr selten, meines Wissens nach fängt man schon bei unter 80 Prozent an zu spenden“, sagt die Duisburgerin, die als Chefarztsekretärin in einem Krankenhaus arbeitet. Doch die Skepsis bei Oberst ist stark: „Ich hatte immer die Angst, dass etwas passiert, wenn ich es zu früh ausspreche. Deshalb war ich immer sehr vorsichtig mit dem, was ich schrieb.“ Gut 60 Prozent überleben die ersten beiden Jahre, habe man ihm gesagt.
Zwei Jahre nach der Spende dürfen sie sich kennenlernen
Zwei Jahre nach der Spende war es dann soweit. Menges und Oberst durften sich persönlich kennenlernen. In anderen Ländern ist das gar nicht möglich. „Wir waren ab der ersten Sekunde so vertraut, als hätte Melanie schon immer zur Familie gehört“, sagt Oberst. Mittlerweile haben sie sich schon ein paar Mal gesehen. Beim ersten Treffen in Duisburg war auch das Fernsehen dabei. „Es ist nicht so, dass ich gerade jemanden treffe, den ich noch nie gesehen habe. Ich kenne Alex einfach schon“, sagte Menges damals.
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Das Interesse der Medien an seiner Person ist Oberst zuweilen unangenehm, er will es aber für etwas Gutes nutzen. „Wer Stammzellen spendet, kann Leben retten. Ich habe es am eigenen Leib erfahren dürfen“, sagt er. Potenzielle Spender müssen sich typisieren lassen, mit einer Speichelprobe. Dann ist man im Register eingetragen. Melanie Menges hatte 2012 an einer Typisierungsaktion für ein kleines Mädchen teilgenommen. Mit den Stammzellen des Mädchens stimmten ihre Zellen nicht überein, aber Jahre später sollten sie Alexander Oberst das Leben retten. Auch für ihn gab es im Winter 2021 eine Typisierungsaktion, organisiert vom Verein Blut e.V. „Dort waren viele meiner Schüler und haben sich typisieren lassen“, erzählt Oberst. Was ihn besonders rührt: Zwei von ihnen haben seitdem bereits Stammzellen gespendet und konnten so zwei anderen Menschen das Leben retten. Oberst sagt: „Wenn wir mithilfe der Medien so etwas erreichen können, ist das Thema jede Aufmerksamkeit wert.“
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