Ausstellung

Ilvesheim zeigt Haltung: „Begehbares Grundgesetz“ macht Demokratie greifbar

In Zeiten wachsender Angriffe auf Demokratie, Pressefreiheit und Asylrecht macht eine Ilvesheimer Ausstellung das Grundgesetz sichtbar – und ruft zur Verteidigung unserer Werte auf.

Von 
Susanne Merz
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An der katholischen Kirche ist Artikel 4 ausgestellt, daneben stehen die Initiatorin Birgitta Schmücker (r.) und Franky Kaiser (l.), der sie bei der technischen Umsetzung unterstützte. © Marcus Schwetasch

Ilvesheim. In Zeiten von Populismus, Desinformation und wachsendem Extremismus soll eine Ausstellung in Ilvesheim das Grundgesetz in Erinnerung rufen – buchstäblich. „Wir wollen zeigen, was eigentlich zur Debatte steht, wenn rechtsextreme Parteien demokratische Werte und damit die Rechte jedes Einzelnen angreifen“, sagt Franky Kaiser, der bei der technischen Umsetzung der Freiluft-Ausstellung mitgewirkt hat. Birgitta Schmücker, die die Ausstellung nach Ilvesheim geholt hat, ergänzt: „Die Menschen sollen sich bewusst machen, was es heißt, Grundrechte einzuschränken.“ Ziel sei es, zur Reflexion anzuregen – und die Besucherinnen und Besucher dazu zu ermutigen, eigene Schlüsse zu ziehen.

Ein Grundgesetz zum Anfassen für alle

Die Ausstellung mit dem Titel „Begehbares Grundgesetz“ wurde vom Verein „Bündnis für Demokratie und ToleranzWiesloch entwickelt. Noch bis Samstag, 24. Mai, sind in Ilvesheim zwölf großformatige Schautafeln an öffentlichen Orten verteilt – jede widmet sich einem Grundgesetzartikel, den die Initiatoren für besonders aktuell und bedeutsam halten.

Die Gemeinde Ilvesheim, der Bauhof, die Kirchen und der Ortsverein der Grünen unterstützen die Aktion. Laut Schmücker stehen die Tafeln – so weit möglich – an bewusst gewählten Orten. Artikel 1 („Die Würde des Menschen ist unantastbar“) steht auf dem Chécy-Platz vor dem Rathaus. Vor der St. Peter Kirche dahinter ist Artikel vier ausgestellt, der das Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit beinhaltet. Das Recht auf Bildung in Artikel 26 steht vor der Friedrich-Ebert-Schule. Weitere Stationen sind in der Nähe des Rathauses, des Jugendzentrums sowie im Ilvesheimer Norden.

Die Ausstellung wird durch eine interaktive Karte ergänzt (bit.ly/4jIru9W), auf der alle Artikel und Standorte eingesehen werden können. Audio-Dateien in einfacher Sprache und QR-Codes mit Übersetzungen in neun Sprachen machen das Angebot auch für ein breiteres Publikum zugänglich. „Wir haben Wert darauf gelegt, ein Angebot zu schaffen, das möglichst viele Menschen erreicht – unabhängig von Herkunft, Sprache oder Bildung“, sagt Kaiser.

An diesen Orten sind die Tafeln in Ilvesheim aufgestellt. Auf der Internetseite gibt es dazu auch einen Audio-Guide. © mm

„Wir wollen das Bewusstsein für Freiheit, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit schärfen – auch mit Blick auf die aktuellen weltpolitischen Entwicklungen“, sagt Schmücker. Ein Beispiel ist Artikel 5, der die Freiheit der Meinung, der Kunst und der Wissenschaft schützt. „Was für uns selbstverständlich scheint, wird in anderen Ländern gerade eingeschränkt – etwa in den USA“, warnt sie.

Pressefreiheit unter Druck: Ein Blick in die USA

Bereits kurz nach Beginn seiner zweiten Amtszeit im Januar 2025 unterzeichnete US-Präsident Donald Trump ein Dekret, das angeblich die Meinungsfreiheit stärken soll. Kritiker befürchten, dass es vielmehr unabhängige Medien schwächen und die Kontrolle über öffentliche Debatten ausweiten soll. In diesem Zusammenhang wurde die Nachrichtenagentur Associated Press von Pressebriefings im Weißen Haus ausgeschlossen – weil sie sich weigerte, eine vom Präsidenten erfundene Bezeichnung („Golf von Amerika“) zu verwenden.

Zudem kündigte Trump an, nicht kommerziellen Medien wie NPR und PBS keine staatlichen Mittel mehr bereitzustellen – mit der Begründung, sie seien zu regierungskritisch. Auch die Unabhängigkeit von Universitäten ist bedroht: So wurde etwa angedroht, renommierten Hochschulen wie Harvard und Columbia Forschungsgelder zu streichen – sofern sie bestimmte politische Positionen nicht vertreten. Was in den USA geschieht, findet auch hierzulande Entsprechungen – wenn auch in anderer Form.

© dpa

Doch nicht nur in den USA, auch in Deutschland ist die Pressefreiheit bedroht: Laut dem im Mai 2025 veröffentlichten Jahresbericht von Reporter ohne Grenzen fiel Deutschland vom zehnten auf den elften Platz der weltweiten Pressefreiheitsrangliste zurück. Als Ursache nennt die Studie insbesondere Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten durch rechtsextreme Gruppen: „Auch 2024 waren erneut diejenigen Journalistinnen und Journalisten gefährdet, die sich mit rechtsextremen Milieus und Parteien wie der AfD beschäftigten: Sie berichten von Feindmarkierungen, Bedrohungen, Beleidigungen und Angst vor körperlicher Gewalt“, heißt es in dem Bericht. Weltweit sei die Lage noch alarmierender – über die Hälfte der Weltbevölkerung lebt laut Bericht in Staaten mit „schwieriger“ oder „sehr ernster“ Lage der Pressefreiheit.

AfD-Erfolg zeigt Brisanz der Ausstellung

„Die Ausstellung findet vor einem politischen Hintergrund statt, der ihre Dringlichkeit unterstreicht, denn demokratiefeindliche Parteien gewinnen weiter Zustimmung“, sagt Kaiser. Bei der Bundestagswahl im Februar 2025 wurde die AfD laut Bundeswahlleiter mit 20,8 Prozent zweitstärkste Kraft. In einigen ostdeutschen Bundesländern erreichte sie sogar über 30 Prozent. In Ilvesheim erhielt die AfD 15,6 Prozent der Stimmen und verzeichnete somit ein Plus von 7,6 Prozent seit der Bundestagswahl im Jahr 2021.

Der Verfassungsschutz stufte die Partei kürzlich als rechtsextremistisch ein. Die Einstufung ist zurzeit aufgrund einer Klage der Partei ausgesetzt, sie wird bis zu einer Entscheidung wieder als Verdachtsfall geführt. Dennoch ist eine Diskussion über ein mögliches Parteiverbot entbrannt. „Das macht deutlich, wie zentral die Auseinandersetzung mit demokratischen Werten geworden ist“, findet Schmücker: „Der politische Rechtsruck bedroht nicht nur Institutionen – auch zentrale Grundrechte wie das Asylrecht stehen zunehmend zur Debatte.“

Asylrecht unter Druck

Immer mehr Stimmen fordern eine Einschränkung oder gar Abschaffung des Asylrechts in Artikel 16a, dem eine der Tafeln gewidmet ist. Im Zuge der Debatten über Migrationsabkommen, Grenzkontrollen und sogenannte „sichere Herkunftsstaaten“ wollen Schmücker und Kaiser auch den Kern dieses Schutzrechts bewusst machen. Denn das Asylrecht ist eine direkte Lehre aus den Verbrechen des Nationalsozialismus – und damit ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Verfassung.

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Viele Menschen, die vor den Nazis flohen, wurden damals von anderen Ländern abgewiesen. Ihre Flucht scheiterte oft – und endete mit deren Tod. Die Verankerung des Asylrechts im Grundgesetz war deshalb ein bewusster Schritt, solche Schutzlosigkeit künftig zu verhindern. Es schützt politisch Verfolgte vor staatlicher Willkür – ein Ergebnis der bitteren Lehren aus der NS-Zeit. Damit greift die Ausstellung nicht nur zentrale Verfassungswerte auf, sondern auch Themen, die aktuell intensiv diskutiert werden.

„Durch diese leicht zugängliche Präsentation im öffentlichen Raum soll das Grundgesetz sichtbar und erlebbar werden – als Einladung an alle, sich mit den Werten auseinanderzusetzen, die unser Zusammenleben sichern“, betont Schmücker: „Gerade in Zeiten, in denen autoritäre Tendenzen wieder salonfähig werden, ist unsere Demokratie auf eine starke Zivilgesellschaft angewiesen – und auf Menschen, die für ihre Grundrechte einstehen.“

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