Porträt - Mit Claudia und Werner Nuzinger verabschieden sich die beiden letzten Familienmitglieder der Tanzschule vom Parkett

Zwei Leben, ein Tanz

Von 
Michaela Roßner
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Claudia und Werner Nuzinger haben das Tanzschulgeschäft an die GmbH und ein junges Führungsquartett übergeben. © Rothe

Heidelberg. Gesucht hatte er eine Partnerin für den Profi-Tanzsport, gefunden die Frau fürs Leben: Vor rund fünf Jahrzehnten haben sich Claudia und Werner Nuzinger in einer Tanzstunde des Familienbetriebs kennengelernt. Bald danach setzte an sieben Tagen die Woche das Tanzen den Takt ihres Lebens. Nun haben sich „die letzten Nuzingers“ aus dem operativen Tanzschulgeschäft zurückgezogen. 90 Jahre hat die Familie Generationen von Heidelbergern das Tanzen beigebracht. Seit Jahresbeginn leitet ein in der Tanzschule groß gewordenes Team den Betrieb mit rund 60 Mitarbeitern.

Das Ende einer Ära, wurde wohl vorbereitet: Die neuen „Nuzinger“-Gesichter sind allesamt Eigengewächse und haben sich das Vertrauen erarbeitet. Und ein kleiner Rest von „Hand drauf“ haben sich Claudia und Werner gesichert, in dem sie noch Anteile an der GmbH besitzen. „Es war einfach an der Zeit“, begrünet die Seniorchefin den Rückzug. Ihr Mann hat jüngst den 75. Geburtstag gefeiert. Nach 55 Jahren Arbeiten als Tanzlehrer soll künftig mehr Zeit sein – für Reisen zum Beispiel.

Dass Tanzen jung hält, dafür ist das Paar der beste Beweis. „Tanzen kann man in jedem Alter lernen“, betont Werner. Er betreut auch weiter den Gesellschaftstanzkreis „Aktive Senioren“, der sich donnerstags ab 14 Uhr im Rudolf-Harbig-Haus in Kirchheim trifft. „Das macht mir einen Riesenspaß“, sagt er lächelnd. Im ZDF erzählt die Serie „Ku’damm 1956“, wie sich moderne Tänze den Weg in den Tanzunterricht bahnten. Eine Tanzschule war nie der reine Vermittler von Beintechnik und Körpergefühl – sondern vermittelte auch Umgangsformen. „Die 1950er-Jahre habe ich nicht so aktiv erlebt“, räumt Claudia Nuzinger ein. Aber auch in den 1970er-Jahren war es rebellisch. „Da mussten wir den einen oder anderen Vater wegschicken, der in Jeans zum Abschlussball seines Kindes kam.“ Heute, weiß das Paar, genießen es junge Leute wieder, ein feines Kleid oder einen schicken Anzug anzuziehen. Zum abendlichen Fernsehen hatten die Neu-Rentner kaum Zeit. Mit „Let’s Dance“ haben sie trotzdem ihre Erfahrungen gemacht: Danach kämen Paare und wollten auch innerhalb weniger Wochen eine fernsehreife Kür aufs Parkett bringen“, erinnert sich Claudia Nuzinger an das eine oder andere „Aufklärungsgespräch“. Nicht für ein paar wenige Minuten Sendezeit, sondern für viele Tanzabende und Bälle unterrichtet die reale Tanzschule.

1976 Deutscher Vizemeister bei den Lateinamerikanischen Tänzen, den zehnten Platz bei der Weltmeisterschaft in Tokio 1977: nur zwei von vielen internationalen Erfolgen des Tanzpaares. Rumba und Slowfox waren ihre Spezialität, später kam Tango Argentino hinzu. Frauen, erzählt Werner Nuzinger, liebten diesen gefühlvollen Tanz: „Da können sie sich anlehnen, der Mann führt.“ Moment mal, führt denn nicht immer der Mann beim Gesellschaftstanz? „Das ist nicht so einfach“, ergänzt seine Frau. Denn wenn Figuren getanzt werden, wisse die Partnerin schon oft vorher, was jetzt komme – das stelle die Führungsstärke von ihrem Partner schon gelegentlich auf die Probe.

Viel Menschliches gesehen

Ganze Teenager-Generationen haben sie kennengelernt („Irgendwann kamen sie als Eltern wieder“), aber auch erwachsene Tanzpaare begleitet. Für Last-Minute-Brautpaare, die noch Schliff für den Hochzeitswalzer benötigten, gibt es längst einen eigenen Kurs. „Viele Kunden pflegen hier über Jahrzehnte einen Freundes- und Bekanntenkreis.“ Nicht immer sei ausschließlich Harmonie aufs Parkett gekommen.

Menschenkenntnis und Fingerspitzengefühl müsse ein Tanzlehrer auf jeden Fall besitzen, sagen die Nuzingers. Dass sie auch selbst vielleicht mal einen schlechteren Tag hatten, sollte indes niemand mitbekommen: „On Stage“ – auf der Bühne – seien sie immer ganz Profi und gut gelaunt gewesen. Langweilig sei es ihnen auch beim x-ten Langsamen Walzer oder Partytanz nicht geworden: „Es waren ja immer andere Menschen“, sagt Claudia Nuzinger.

Info: Fotostrecke unter morgenweb.de/heidelberg

Mit Charleston fing es an

  • 1928 begann in der Freiluftschule für Gymnastik und Tanz von Helene Nuzinger und Alice Schramm die Geschichte der Tanzschule: Es gab Charleston-Unterricht.
  • 1955 eröffneten Luise und Alfred Nuzinger in der Endemannstraße 12 ihr Tanzschulheim. Tanzlehrer unterrichteten bis dahin in Gasthäusern - oder besuchten ihre Klientel in ihren Villen und Stadtwohnungen.
  • Die Söhne Werner und Dieter Nuzinger waren mit ihren Frauen Claudia und Dörte in den 1970er Jahren international erfolgreiche Tanzsportpaare. Dörte und Werner leiteten Tanzkurse in der Endemannstraße 12, das Haus wurde 2018 abgerissen.
  • 1985 entstand in der Friedrich-Ebert-Anlage 7 eine Zweigstelle, in der heute auch die Verwaltung ist.
  • 1998 wurde Ingo Schneckenberger Teilhaber und seit 2002 Geschäftsführer des Familienbetriebes. Seine Frau Corinna ist Prokuristin.
  • Seit Januar 2019 gehören drei Filialleitungen zum Führungsteam der GmbH. Schriesheim: Daria Bieniek, Tanzhaus Heidelberg: Charlotte Staat-Bruno und Friedrich-Ebert-Anlage: Johannes Scheurig.
  • Mit Claudia und Werner Nuzinger verabschieden sich die letzten beiden Familienmitglieder vom Parkett.
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Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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