Heidelberg. Im Ermittlungskomplex um den Betrug mit Kurzzeitkennzeichen müssen sich vermutlich bald fünf weitere Beschuldigte verantworten: Die Mannheimer Staatsanwaltschaft hat Anklage erhoben gegen zwei Beamtinnen und eine Rechtsanwältin sowie einen Unternehmer und einen Mitgeschäftsführer. Die Vorwürfe: Bestechlichkeit und Bestechung, Falschbeurkundung im Amt sowie Verstöße gegen Datenschutzgesetze. Drei Angeklagte werden zudem wegen Steuerhinterziehung belangt. Die beiden Beamtinnen, denen nun ein Prozess droht, sollen sich indes nicht selbst bereichert haben.
Grundlage der Vergehen soll eine Vereinbarung sein, die die Zulassungsbehörde mit dem Heidelberger Unternehmer 2008 getroffen habe: Die Beamten gaben ihm die Schilder zum halben Preis ab und verzichteten gleichzeitig auf die eigentlich notwendige Bedarfsprüfung. Im Gegenzug lieferte der Unternehmer die Software und übernahm die Kontrolle des Zugangs, indem er Zulassungsdiensten, die zum Beispiel auf Gebrauchtwagenmärkten in Containern ihre Büros hatten, Lizenzen vermittelte.
Ab Ende 2012 soll die Behörde gar auf die Prüfung der Personalien der Antragsteller verzichtet haben, worauf sich Zulassungsdienste einen Bestand an Personendaten anlegten, die sie zum Teil untereinander austauschten und die mehrfach verwendet wurden. Diese Menschen wusste davon nichts, wurden aber von Bußgeldbescheiden etwa wegen Tempoüberschreitungen angeschrieben, für die sie nichts konnten. Insgesamt sollen von November 2012 bis Oktober 2014 – dieser Zeitraum ist der Anklage zugrunde gelegt – 188 628 Kurzzeitkennzeichen auf Grundlage der Vereinbarung mit dem nun angeklagten Unternehmer ausgegeben worden sein.
In den Räumen der Zulassungsstelle in Wiesloch, die zum Landratsamt des Rhein-Neckar-Kreises gehört, war für dieses lukrative Geschäft eigens eine Arbeitsgruppe in der Behörde gebildet worden, die sogar samstags arbeitete, um Tausende Kurzzeitkennzeichenanträge zu bearbeiten, die Schilder zu stempeln und schließlich nach Berlin zu verschicken, hieß es Ende September am Landgericht Heidelberg in der Verkündung des Urteils gegen vier Berliner Betreiber von Zulassungsdiensten.
Das Quartett wurde zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und drei Monaten bis zu drei Jahren verurteilt – in drei Fällen wurde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Zwei dieser Urteile sind inzwischen rechtskräftig, gegen zwei weitere wurde Revision angestrengt, bestätigt Isa Böhmer, Sprecherin der Mannheimer Staatsanwaltschaft für Wirtschaftsstrafsachen. Die Zulassungsbehörde soll – und hier kommt der Vorwurf der Korruption ins Spiel – 25 Gebührenbescheide in einer Höhe von insgesamt 961 998 Euro erlassen haben. Außerdem wirft die Anklagebehörde den Beamtinnen vor, in fast 23 000 Fällen rechtswidrig Auskünfte aus dem Zentralen Fahrerlaubnisregister erteilt zu haben. Dabei ging es offenbar um Führerscheindaten von Personen, die für die Kurzzeitkennzeichen benötigt wurden. Dafür sollen nach einer weiteren Absprache mit dem Unternehmer 50 000 Euro berechnet worden sein. Auch das wertet die Anklage als Bestechung beziehungsweise Bestechlichkeit.
Fahrzeugdaten manipuliert?
Fahrzeugangaben sollen die Mitarbeiterinnen aus Wiesloch zugunsten des Geschäftsmanns beziehungsweise seiner Kunden ebenfalls manipuliert haben: Dabei ging es um gebrauchte Fahrzeuge, die wegen ihrer Abgaseinstufung in der EU keine Erstzulassung mehr bekommen durften. Mittels manipulierter Angaben über angebliche Erstzulassungen sollen sie doch Kennzeichen bekommen haben. Das wird als Falschbeurkundung im Amt beziehungsweise Anstiftung dazu gewertet. Mehrere Behörden arbeiteten an der Aufarbeitung zusammen: neben der Staatsanwaltschaft Mannheim Kripobeamte des Präsidiums Mannheim und die Steuerfahndung.
Komplexes Verfahren
- Im Herbst 2014 wurde ein möglicher Betrug mit Kurzzeitkennzeichen bekannt, der von der Zulassungsstelle in Wiesloch (Außenstelle des Landratsamtes im Rhein-Neckar-Kreis) ausgegangen war.
- Die gelben Kennzeichen waren eigentlich für seltene Fälle der Überführung etwa von Oldtimern gedacht.
- Als einzige von 400 Zulassungsstellen bundesweit hatte die Wieslocher Behörde eine spezielle Software installiert gehabt, mittels der Zulassungsdienste online Kurzzeitkennzeichen bestellen konnten.
- Für die Anträge wurden auch Personalien von nichts ahnenden Personen aus dem Ausland verwendet.
- Über ein Unternehmen, das seinen Sitz im Rhein-Neckar-Kreis hatte, griffen private Zulassungsdienste aus dem ganzen Bundesgebiet auf diesen Service zu.
- Ein Heidelberger Unternehmer hatte der Behörde offenbar die Software zur Verfügung gestellt und sich ein Monopol gesichert.
- Die Ermittlungen gegen weitere Verdächtige dauern an.
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