Astronomie

"Wunderkind" Rix: Was Heidelberg mit der Big Bang Theory zu tun hat

Sehen wir auf Aufnahmen des James-Webb-Teleskops das Licht des ersten Tages? Astronom Hans-Walter Rix jagd diese Bilder seit mehr als 20 Jahren vom Max-Planck-Institut auf dem Königstuhl aus . Was sagen sie über unsere Herkunft?

Von 
Stephan Alfter
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Spezialgebiet frühe Galaxien: Der Heidelberger Hans-Walter Rix gehört weltweit zu den gefragtesten Astrophysikern. © Philipp Rothe

Heidelberg. An diesem Morgen hat sich Hans-Walter Rix mal wieder mit dem Rad nach oben gequält zu seinem Arbeitsplatz am Max-Planck-Institut für Astronomie auf dem Königstuhl 570 Meter hoch über Heidelberg. Wer das auch schon einmal versucht hat, der weiß, dass das für untrainierte Menschen sehr anstrengend ist. Diese giftigen Serpentinen - vorbei am Kohlhof. Rix, 1964 in Erlangen geboren, ist Direktor der Forschungseinrichtung mit dem herausragenden Ruf. Heute wohnt er mit seiner Frau - einer Amerikanerin - im Heidelberger Stadtteil Neuenheim. Schon seit dem elften Lebensjahr - damals bekommt er sein erstes Teleskop - richtet sich sein Blick gen Himmel.

Einen langen Atem - und deshalb passt das Bild mit dem Fahrrad ganz gut - brauchte er schon immer. Nun stehen die Sterne günstig für ihn und seine Forscherkollegen. Bekommen jetzt alle den Lohn für ihre Geduld und für die zähe Grundlagenarbeit? In den vergangenen Monaten hat Rix Bilder gesehen, nach denen er jahrelang gesucht hat. Es sind Bilder von philosophischer Schönheit. Nüchtern betrachtet zeigen sie, wie das Universum „kurz“ nach dem Urknall aussah. Emotional besehen sagen sie uns, wo wir herkommen. Wie konnten aus der Dunkelheit plötzlich Sterne und Galaxien entstehen? Wie sah es aus, das Licht des ersten Tages? Das ist die Frage, die sich Hans-Walter Rix schon lange stellt.

„Es werde Licht“

„Am Anfang war das Licht“, titelte folgerichtig das Magazin „Der Spiegel“ in seiner Weihnachtsausgabe im Dezember 2022. Wissenschaftskrimi, biblischer Schöpfungsmythos und Rix persönliche Lebenssuche vereinen sich dort in einem lesenswerten Beitrag zu einem Blick auf das, was vor 13,2 Milliarden Jahren in unserem Universum vor sich ging. An der Tatsache, dass wir darüber heute relativ gute Aussagen treffen können, hat der schlaksige Mann, dem man seine Jugend im oberfälzischen Regensburg noch immer ein ganz klein wenig anhört, einen nicht unerheblichen Anteil. Mit anderen Forschenden aus aller Welt verfolgt er seit mehr als zwei Jahrzehnten das Ziel, immer weiter zurückzublicken in der Geschichte unseres Kosmos, die vor rund 13,8 Milliarden Jahren mit dem Urknall einfach so begann. Das, was eine amerikanische Sitcom seit vielen Jahren etwas klamaukhaft unter dem Titel Big Bang Theory verkauft - es ist Rix’ täglich Brot.

Wimmelbild der Galaxien: Hans-Walter Rix vor dem Nachhimmel, aufgenommen mit dem Teleskop. © Philipp Rothe

Dass der Mann jetzt mit dem Zeigefinger auf Galaxien deuten kann, die auf einem Monitor in seinem Büro die Säuglingsstation des Weltalls näher beschreiben, kommt einer Sensation gleich. Das James-Webb-Teleskop, an dessen Entwicklung auch Mitarbeiter des Heidelberger Instituts in den 2000er Jahren mitgewirkt haben, liefert endlich das, was Teamplayer Rix seinen Studierenden und sich selbst so lange versprochen hat. 15 Jahre später als geplant. Die Kosten expandierten wie das Universum selbst. Als Milliardengrab verspottete man den Spiegel mit 6,5 Meter Durchmesser und 6,2 Tonnen Gewicht schon. „Da gab es eine Phase, in der jedes Jahr behauptet wurde, dass James Webb in rund sieben Jahren fertig sei“, erinnert sich Rix an eine bleierne Zeit, in der er sich - vielleicht frustriert - der kosmischen Archäologie im Kontext unserer „nahen“ Milchstraße annahm.

6,5 Meter Durchmesser, 6,2 Tonnen Gewicht: Das Foto zeigt Techniker, die die Spiegelbaugruppe des "James Webb"-Teleskops im Goddard Space Flight Center der NASA anheben. © dpa

Am 25. Dezember 2021 konnte er schließlich aber doch verfolgen, wie das Instrument, auf das er zuletzt einen großen Teil seiner Forschung aufgebaut hat, vom Weltraumbahnhof in Kourou abhob. Nun liefert James Webb aus 1,5 Millionen Kilometer Entfernung zur Erde seit vergangenem Sommer ziemlich scharfe Aufnahmen aus einer Zeit, von der es in der Bibel heißt, dass Gott kurz zuvor die drei Worte „Es werde Licht“ gesprochen habe. Damals verzog sich der Nebel des Urknalls und Strukturen wurden im Raum sichtbar. Geschaffen von der mitunter „kapitalistischen Kraft“ der Gravitation, wie Rix sie beschreibt.

„Ich war ein hyperaktives Kind“

Doch wer ist dieser Mann, der sich schon im Schüleralter als hochbegabt erweist und eine Klasse überspringt? Der in seinen 30ern mit dem Wissenschaftsjournalisten Ranga Yogeshwar Astrophysik im deutschen Fernsehen vermittelt. Und dem man hierzulande in Wissenschaftskreisen nach dem Jahrtausendwechsel das Label „Jung-Star“ um den Hals hängt. „ Nach heutigen Maßstäben war ich ein hyperaktives Kind”, hat Rix anlässlich seines 40. Geburtstags mal einem Journalisten der Zeitschrift „Bild der Wissenschaft“ erzählt. Umtriebig sei er gewesen und immer mit anderen Sachen beschäftigt. Zur Verzweiflung seines Lehrers habe er aber stets dessen letzte drei Sätze wiederholen können.

Hans-Walter Rix

  • Rix ist seit 1999 Direktor am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Der heute 59-jährige Astronom und Astrophysiker wurde in Erlangen geboren und wuchs in Regensburg auf. Im Alter von 20 Jahren ging er zum Studium in die USA.
  • Der leidenschaftliche Radfahrer ist Experte auf dem Gebiet der Struktur und Entwicklung von Galaxien. Intensiv widmete er sich in den vergangenen Jahren auch der uns umgebenden Milchstraße.
  • Rix ist mit einer Amerikanerin verheiratet. Das Paar hat keine Kinder. In der Freizeit kochen die beiden gerne mit Freunden oder sie fahren in die Berge. 

Forschung hält jung, und so hat sich Rix etwas Jungenhaftes bewahrt. Hinter der Brille bewegen sich seine Augen immer dann schneller, wenn er auf die Mathematik zu sprechen kommt. Ist es ironisch, dass seine Mutter Theologin ist und die Schöpfungsfrage insofern zwangsläufig im Raum steht? In der persönlichen Begegnung wirkt Rix, dessen Vater Sprachwissenschaftler ist, leicht kamerascheu. Die geschliffene Rede charakterisiert ihn nicht zwangsläufig. Seine Sätze sind kurz und sehr auf präzise Informationen ausgelegt, während die Formeln auf einer Tafel gegenüber seines Schreibtischs für Geisteswissenschaftler Hieroglyphen bleiben. Und dass man ihn heute zu den bedeutendsten Kosmologen der Welt zählt? Für ihn alles eher Zufall.

Ein Plakat an der Uni, das ihn auf ein Fulbright-Stipendium im Weltzentrum der Astronomie in Arizona hingewiesen hat, ist insofern schicksalhaft. Über seine Berufung zum Direktor des Max-Planck-Instituts hat er schon im Jahr 2004 gesagt: „Ich war zu jung, hatte keine Führungserfahrung und konnte auf Anhieb fünf Kollegen nennen, die ich für besser geeignet hielt.” Rix, der anfangs in München studiert, wollte im Alter von 20 Jahren eigentlich nur ein Jahr in der Wüste von Arizona bleiben, wo es - zugespitzt gesagt - vermutlich so viel Teleskopspiegel wie Badezimmerspiegel gibt. Doch jedes Jahr meldet er sich zu Weihnachten bei seiner Mutter und räumt ein, erst im kommenden Jahr wieder unterm heimischen Christbaum stehen zu können. Als es schließlich so weit ist, hat er seine heutige Ehefrau im Schlepptau und einen Studienaufenthalt in Princeton hinter sich. Er ist damals Anfang 30.

Der Galaxienhaufen SMACS 0723, aufgenommen mit dem James-Webb-Weltraumteleskop. Das Bild, genannt "Webb's First Deep Field", das als erstes dieses Teleskops veröffentlicht wurde, deckt einen Himmelsausschnitt ab, der etwa so groß ist wie ein Sandkorn - und enthüllt Tausende von Galaxien in einem winzigen Ausschnitt des riesigen Universums. © Space Telescope Science Institut

Selbstironisch und augenzwinkernd beschreibt er die Zeit an der Elite-Ausbildungsstätte in New Jersey als „Nerd Gulag“ - also eine Art Strebergefängnis. Immerhin: Zu früheren Zeiten war der Ort auch für einen gewissen Albert Einstein wissenschaftliche Heimat. Rix legt dort den Grundstein für das, was er heute ist - einer der weltweit interessantesten Erforscher unseres Universums.

Wo schon Albert Einstein war

Vor einem Bildschirm in seinem Büro stehend, zeigt er auf einen hochroten kleinen Punkt - JADES-GS-z13-0. 300 Millionen Jahre nach dem Urknall hat dieser Punkt den Berechnungen zufolge schon geleuchtet. Weiter zurückdatieren konnte man bisher noch keine andere Galaxie. Mehr als 13 Milliarden Jahre ist das Licht gereist. Um wahrgenommen zu werden, brauchte es das James-Webb-Teleskop, über dessen Erfolg Rix auch Monate nach der ersten Sichtung begeistert ist. Die Aufgabe, die sich er und Dutzende anderer Kollegen nun stellen: „Wir würden gerne erfahren, wie schnell die ersten Galaxien gewachsen sind.“

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Gleichzeitig sind die Wissenschaftler schon jetzt überrascht, wie viele Sterne bereits zu jenen ersten Galaxien zählen. Verständlich beschrieben hat Rix diese Frage in dieser Woche in einem Beitrag beim Deutschlandfunk: Man sei bei der Untersuchung der ersten Galaxien quasi auf einen 14-jährigen Teenager gestoßen, der schon zwei Meter groß ist. Daraus leite sich unter anderem die Frage ab, ob mit unserem bisherigen Verständnis vom Kosmos etwas nicht stimmt? Muss man also vielleicht nochmals genauer messen, ob der Junge wirklich erst 14 ist? Selbstkorrektur der Wissenschaft nennt sich dieser Vorgang. „Ein spannende Sache, weil keiner weiß, wie das ausgeht“, sagt Rix selbst. Er ist aber überzeugt, dass die hohe Datenrate, die das Teleskop derzeit sende, zu vielen neuen Ergebnissen in den kommenden zwei Jahren führen wird. Worauf wir aber auch nach Rix’ Meinung keine zuverlässige Antwort bekommen werden, das ist die Frage, was eigentlich vor dem Urknall war.

"Sitze da und mache Mathematik"

An vielen anderen Antworten arbeitet Rix mit Kollegen. Und noch immer spricht aus ihm der Student, wenn er fast ehrfürchtig flüstert. „Dann sitze ich da und mache Mathematik“ Dazu setzt der 59-Jährige das zufriedenste Gesicht auf, das einem zwischen dem Königstuhl und dem Mond begegnen kann.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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