Vielleicht tut Holger Schultze hier am Schluss, wenn Romeos und Julias Liebe und Blut verflossen und vergiftet sind, wenn alle Hoffnung gefahren und das finstere Final-c-Moll so erloschen ist wie der tosende Applaus, das einzig Richtige: Zusammen mit Operndirektor Thomas Böckstiegel kommt er auf die Bühne und dankt erst mal dem Publikum. Er sei stolz und beeindruckt, sagt der Intendant des Theater Heidelberg, dass so viele Menschen die Widrigkeiten von 2G + auf sich genommen hätten, das deute er als ein gutes Zeichen für die Kunst und als Ermutigung.
Klar, sonntags ist es mit Coronatests noch schwieriger, ergo: Ein Theaterbesuch ist ein echter Test für den Fan, eine Überprüfung des Stellenwertes, den das Lebensmittel Kultur bei ihm einnimmt. Ergebnis: positiv. Dass der gesamte Abend mit Vincenzo Bellinis „I Capuleti e i Montecchi“ überhaupt positiv bewertet werden muss, liegt indes an der Regisseurin Andrea Schwalbach sowie den Musizierenden unter Generalmusikdirektor Elias Grandy. Grandy fächert mit dem Orchester und Chor fast wie unter einem Mikroskop die psychologischen Feinheiten der Partitur auf, die, wir wissen es, auch einige Plumpheiten und unmotivierte Beckenknalleffekte bereithält. Und die beiden Protagonisten, beide aus dem Ensemble, machen ihre Sache weit mehr als gut. Alyona Rostovskayas Giulietta hält betörende Kantilenen bereit, sie dringt mühelos durch den Raum und singt wunderschön und beseelt (mit gelegentlichen winzigen Intonationsirritationen bei Koloraturen). Und Zlata Khershbergs Romeo ist gewissermaßen tadellos: kraftvoll, klangschön, kultiviert und mit dem Hauch einer maskulinen Note ausgestattet, die dieser Mezzo-Partie das nötige Profil einschärft.
Romeo und Julia in Heidelberg
Das Werk: Vincenzo Bellini (1801-1835) schrieb seine Lyrische Tragödie in zwei Akten „I Capuleti e i Montecchi“ bis 1830. Der Text nach Shakespeare stammt von Felice Romani.
Die Termine: Die Corona-Situation macht die folgenden Angaben unsicher. In Planung sind Aufführungen am 5., 12., 26. und 28. Dezember um jeweils 19.30 bis 22 Uhr. Es empfiehlt sich der Besuch der Webseite.
Info/Karten: 06221/58 20 000.
Der Mörder ist immer der Vater
Schwalbach folgt dem Prinzip der Reduktion. Von Anfang an trägt die schwarze Bühne (Anne Neuser) mit den schwarzen Kostümen (Pascal Seibicke) Trauer. Von Anfang an ist damit klar: Dieser Abend wird kein lustiger sein! Es herrscht 3 G. Gehasst. Geliebt. Gestorben. So also tauchen wir mit Bellinis betörender Musik ein in den Familienkrieg der beiden verfeindeten Veroneser Familien Capuleti und Montecchi, deren Sprösslinge sich, offenbar klüger als die Altvorderen, über die Grenzen irrationalen Hasses verliebt haben. Schwalbach zeigt vor allem die Unmöglichkeit der Liebe in einer heute seltenen Intensität. Wie in der Einsamkeit von Todesfeldern irren Romeo und Julia über die Bretter. Bisweilen, vor allem gegen Ende, rieseln schwarze Schnee- oder Rußflocken nieder, Glück oder Hoffnung dauern in der morbiden Atmosphäre immer nur Sekunden, eine Ewigkeit das Verderben – besonders am Ende, wenn der größte Hasser Capellio (gesungen wieder vom knorrig-dämonischen James Homann) sogar von den eigenen Leuten gesagt bekommt, dass er der eigentliche Mörder der Liebenden sei.
Handwerklich ist das gut gemacht, sowohl die Personenführung als auch die Stringenz der Handlung überzeugen. Aber Schwalbachs Blick geht nicht ins Große, bleibt im Privaten stecken. Die Intimität der Liebenden ist ihr wichtiger als die Abstraktion ins Politische oder gar Philosophische. Offenbar liest sie in der privaten Tragödie Shakespeares mehr als in der humanistischen, wo Menschenverachtung, die Wurzeln von Rassismus oder Misogynie zu finden wären.
Oder die Genderthematik, der Bellini die Vorlage gibt, indem er den Romeo mit einer Frau besetzt. Nur mit viel Fantasie kann man im erschrockenen Blick Julias am Ende von Akt I im großen Duett und einem Moment der Entblößung Romeos einen Schockmoment sehen: O! Das ist kein Mann! Mittlerweile sind wir durch unzählige Sichtweisen schon so, nun ja, verbildet, dass wir uns wundern, dass diese Vorlage nicht zum Gender-Lesben-Elfmeter benutzt wird.
Unter dem Strich ist das also ein sehr guter Abend, der zeigt, dass ein Werk, dem man folgt, funktionieren und dennoch nicht altbacken wirken kann. Dass die Opernsparte des Theater Heidelberg gute Arbeit macht, hört man auch den kleineren Partien an: Der Tebaldo von Daniel Pataky strahlt tenoralen Glanz aus (wenn auch nicht in allen Registern und Dynamiken) , und Ipca Ramanovics Lorenzo trifft den vertrauten Ton des Familienarztes mit Mitgefühl und Präzision. Irgendwie wirkt der Abend wie aus der Zeit gefallen. Eigentlich auch ein schönes Opern-Gefühl.
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