Ludwigshafen. Petticoat, Nierentisch und Nylonstrümpfe: Auch im Ludwigshafen der 1950er-Jahre sind das die Verkaufsschlager. Doch warum mussten die ersten Kunden nach dem Zweiten Weltkrieg in den Keller zum Shoppen gehen? Und wo zeigen sich die „Fifties“ noch heute im Stadtbild? Antworten auf diese und andere Fragen gibt der kostenlose Stadtrundgang „Vom Dorado der Trümmer zum Wirtschaftswunder“, den gut ein Dutzend Teilnehmer am Mittwochabend erlebten. Klaus J. Becker, stellvertretender Leiter des Stadtarchivs Ludwigshafen, kennt die Chemiestadt wie kaum ein anderer, führt anekdoten- und kenntnisreich durch die einst so florierende Innenstadt.
Treffpunkt ist der (trockene) Brunnen auf dem Berliner Platz. „Wer sich einen Eindruck vom Ludwigshafen der 1950er-Jahre verschaffen möchte, muss nach oben schauen“, sagt Becker. Denn an vielen Fassaden zeichnet sich noch heute der Geist der Wiederaufbaujahre ab. Allerdings erst ab dem ersten Stockwerk. In den 1970er-Jahren sind die Erdgeschosse brutal zerstört worden, findet er. Gab es bis dahin noch kleinere Schaufenster und verspielte Erdgeschoss-Fassaden, so wurde nun alles herausgerissen - zugunsten großer Glasfronten und leuchtender Reklamekästen.
Unterwegs zwischen Berliner und Ludwigsplatz
Der Spaziergang führt vom Berliner Platz durch die Ludwigstraße zum Ludwigsplatz und zurück vom Rathausplatz über die Bismarckstraße zum Berliner Platz. In der Nacht auf den 6. September 1943 war das Stadtzentrum nach vielen Bombardierungen während eines einzigen nächtlichen Luftangriffs zu 90 Prozent zerstört worden, doch 1955 war die Innenstadt bereits wieder ein attraktiver Einkaufsmagnet, fasst Becker die Fakten zusammen.
Die „Stunde Null“ lässt sich sehr anschaulich direkt am Berliner Platz besichtigen: In der brachliegenden Baugrube, die das gescheiterte „Metropol“-Bauprojekt nach dem Abriss der „Tortenschachtel“ 2015 hinterlassen hat, blickt man auch auf Reste des alten Bunkers. Kaum zu glauben, aber gerade in diesem trist-grauen Schutzraum florierte nach Kriegsende der Handel. Aus Mangel an anderen Räumen gründeten sich hier Geschäfte.
„Auch Möbel konnte man hier kaufen“, weiß Becker. Es habe zudem Schau-Wohnungen gegeben, wo Sesselchen und Nierentisch ganz im Stil der Zeit dekoriert waren. Becker bedauert, dass der inzwischen abgesprungene „Metropol“-Investor den größten Teil des Bunkers abgerissen hat und Reste wie die Ausgänge nach oben mit Schutt verfüllt sind. Besichtigen kann man die Bunkerräume seither nicht mehr, beklagt der Historiker. Früher sei das sehr beliebt gewesen.
Der 1952 eröffnete Ankerhof hat den alten Bunker als Fundament und Keller genutzt. „Ein mondänes Kaufhaus, das erste nach amerikanischem Vorbild in der Stadt“, beschreibt der Stadtarchivar, dass in der Blütezeit fast 20 Geschäfte hier Kunden aus der gesamten Vorderpfalz anzogen. Belegen kann er das mit einer Schwarz-Weiß-Fotografie vom „Kupfersonntag“, den man heute wohl verkaufsoffenen Sonntag nennen würde. „Da haben die Leute alle Pfennige zusammengekratzt, um sich etwas kaufen zu können.“ Das Foto zeigt dicke Menschentrauben vor der Schaufensterfront.
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In der „Tortenschachtel“ hatte die Ludwigshafener Filiale von „Kaufhof“ 20 Jahre lang ihre Adresse. Mitte der 1950er-Jahre, das belegt eine Mitarbeiterschrift, die 1956 an neue Lehrlinge verteilt wurde, war dieser „Kaufhof“ der einzige weit und breit. Weder in Mannheim noch in Heidelberg fanden Schaufensterbummler einen. Nur noch Worms konnte mit einem „Kaufhof“-Sortiment glänzen.
Fernsehgeräte als Attraktion
Apropos glänzen: Anfang der 1950er Jahre waren die ersten Fernsehgeräte die Hingucker in den frisch gewienerten Schaufenstern. 1953 zur Krönung der Queen und spätestens 1954 zur Fußball-WM wollte jeder ein solches „Möbel“ haben. „Gekauft wurde auf Pump“, erzählt Becker. Die meisten Geräte standen in Gaststätten oder Kaufhäusern. Noch in den 1960ern waren viele Geräte mit einem Anbaukasten für das Sammeln von Münzen ausgestattet, „eine Stunde Fernsehen eine Mark“.
Die Hochzeit der Stadt als Einkaufsmetropole in den 1960ern sieht Becker im engen Zusammenhang mit dem früheren Bahnhof, der als Sackbahnhof in der Nähe des Ludwigsplatzes endete und „viele Menschen in die Stadt spülte“. Im runden „Café Laul“ am Ludwigsplatz war das Verkehrsbüro untergebracht, in dem Touristen sich erst einmal einen Stadtplan kauften. Wer als Arzt oder Rechtsanwalt etwas auf sich hielt, habe hier am Ludwigsplatz seine Kanzlei oder Praxis eröffnet. Rund wie das Café sind auch viele Häuserzeilen der 1950er-Jahre-Architektur angelegt, nach dem Beispiel Berlins. In die Fassaden- und Balkongestaltung floss viel Kreativität.
Vernachlässigtes und echte Hingucker
Der Blick nach oben fällt heute häufig auf Vernachlässigtes: Ungepflegte Fassaden, bröckelnder Putz, übermalte Zeitzeugen. Doch es gibt für Becker auch echte Hingucker: Die Fassade des „Woolworth“ ist gerade saniert worden und strahlt in Hellblau und Grau. Dazu die schmale, rot-schwarz gestreifte Markise: „Hier sieht man, wie man das Erbe der 1950er-Jahre richtig schön erhalten kann“.
„Das habe ich noch nie bemerkt, dabei laufe ich so oft hier vorbei“, sagt eine Teilnehmerin des Rundgangs kurz darauf. Fasziniert schaut die Gruppe zu drei übereinander angeordneten Balkonen, die mit Mosaiken gestaltet sind. Ihre Grundfarben sind blau, braun und grün, jeder Balkon zeigt ein anderes Motiv. Es sind Tiere, die auf Futtersuche sind. Fische, Vögel und Landtiere: Der Gestalter dieser Balkone und dieser Fassade hat sich wirklich etwas ganz Besonderes einfallen lassen.
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