Entscheidung

VGH gibt Anwohnern teilweise Recht: Heidelberg muss Sperrzeiten verlängern

Seit vielen Jahren liegen Anwohner, Gastronome und Stadtverwaltung wegen der Lärmbelastung im Clinch. Nun hat der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim ein Machtwort gesprochen. Was das bedeutet

Von 
Michaela Roßner
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In der Unteren Straße ist die Kneipendichte besonders hoch. Künftig müssen Wirte in der Altstadt die „letzte Runde“ wohl deutlich früher ausrufen. © Philipp Rothe

Heidelberg. Es muss nachts ruhiger werden in der Heidelberger Altstadt: Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat am Mittwoch der Klage von Anwohnern zumindest teilweise Recht gegeben. Wie genau das begründet wird und welche Vorgaben die Richter der Stadtverwaltung möglicherweise machen, bleibt zunächst offen. Als sicher gilt aber bereits, dass die Kneipen nicht mehr wie aktuell bis um 1 Uhr unter der Woche und bis um 4 Uhr am Wochenende geöffnet bleiben dürfen. Der Forderung der klagenden Anwohner, mindestens sechs Stunden Nachtruhe zu haben, folgten die Richter indes nicht. Das hätte bedeutet, dass der Ausschank um Mitternacht und am Wochenende um 1 Uhr beendet wird, damit bis sechs Uhr geschlafen werden kann, wenn die städtischen Kehrmaschinen deutlich hörbar durch die Gassen rollen. Eine Revision zum Bundesverwaltungsgericht lässt der VGH nicht zu.

Geklagt hatten neben Anwohnern auch die Stadt selbst. Und zwar gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 31. Juli 2019. Darin war die Stadt Heidelberg verurteilt worden, ihre Sperrzeitverordnung vom 24. Juli 2018 zu ändern. Das Verwaltungsgericht unterstrich den Anspruch der Anwohner auf geänderte Sperrzeiten und schlug Mitternacht an Wochentagen und 2.30 Uhr an Wochenenden sowie in den Nächten zu gesetzlichen Feiertagen in Baden-Württemberg vor.

Bis dahin hatte gegolten: Montag bis Donnerstag mussten die Lokale um 1 Uhr schließen, in der Nacht zum Freitag auf 3 Uhr und in den Nächten zum Samstag und zum Sonntag auf 4 Uhr. Die Idee des „studentischen Donnerstags“ mit ähnlichen Kneipenöffnungszeiten wie am Wochenende war nun übrigens endgültig vom Tisch. Zuletzt legte der Heidelberger Gemeinderat die Sperrzeiten in der Altstadt auf 1 beziehungsweise 4 Uhr fest.

„Wir nehmen den Tenor zur Kenntnis und werden zunächst die Urteilsbegründung abwarten, ehe wir über weitere Schritte entscheiden“, reagierte Heidelbergs Oberbürgermeister Eckart Würzner nun auf die VGH-Entscheidung. „In diesem Konflikt haben alle Seiten ein berechtigtes Interesse: Anwohnerinnen und Anwohner, Wirtinnen und Wirte und ihre Gäste.“ Es sei „sehr komplex und schwierig, hier einen Ausgleich zu schaffen“. Heidelberg sei schließlich nicht nur auf dem Papier die jüngste Stadt Deutschlands, „man erlebt das auch in unseren Straßen und Gassen mit ihrer offenen, urbanen Alltagskultur“. Besonders restriktive Sperrzeiten seien für so eine Stadt mit fast 40 000 Studierenden einfach nicht angebracht, fasst Würzner zusammen.

Altstadt-Anwohner Christoph Egerding-Krüger ist einer der beiden Hauptkläger und beschreibt die Entscheidung als „Teilerfolg“. „Ich hätte mir konkretere Angaben zur Ausgestaltung gewünscht, aber die werden wohl noch nachgereicht.“ Dass es deutlich zu laut ist nachts und die Sperrzeiten daher nicht bleiben können, wie sie sind, sei nun aber endlich festgestellt. Seit 2009 wehren sich die Kläger – neben zwei Hauptklägern rund 30 Unterstützer – gegen die Zustände. Runde Tische und Gespräche mit den Gastronomen hätten keine Besserung gebracht. Die Kneipenzahl habe sich seit den 1990er Jahren vergrößert und waren es früher „zwei Clubs und eine Pizzeria“, die länger aufhatten, seien nun am Wochenende alle Kneipen bis 4 Uhr geöffnet.

Rund 40 000 Euro haben die Kläger – unterstützt durch die Bürgerinitiative LindA („Leben in der Altstadt“ – bereits in die juristische Auseinandersetzung gesteckt, berichtet Egerding-Krüger. Der Rechtsstreit findet bundesweites Interesse, weil die Anwohner eine Normänderungsklage erhoben haben – es geht also um den eher seltenen Fall, dass die Judikative der Exekutive konkrete Vorgaben macht. Städte wie Freiburg oder Tübingen, die ähnliche Probleme mit ihrem Nachtleben haben, dürften die Auseinandersetzung in Heidelberg sehr aufmerksam verfolgen.

„Wir Kneipenwirte in der Kern-Altstadt zwischen Theater- und Marktplatz haben ohnehin schon eingeschränkte Öffnungszeiten“, verweist Christine Hartmann, seit zwei Jahren Chefin der „Destille“ in der Unteren Straße, darauf, dass im restlichen Stadtgebiet die landesweit geltenden Sperrzeiten 3 Uhr (unter der Woche) und 5 Uhr (in den Nächten auf Samstag und Sonntag sowie vor Feiertagen) gelten. Müssten die Altstadtlokale bald um Mitternacht schließen, „könnte man noch nicht einmal mehr in seinen Geburtstag hineinfeiern“, beschreibt sie die Situation, die aus ihrer Sicht eine „Katastrophe“ wäre.

Jüngste Stadt Deutschlands fürchtet um ihre Kneipenszene

Die klagenden Anwohner sind aus Sicht der Wirtin eine kleine Gruppe: „Wir haben mit der großen Mehrheit der Anwohner ein gutes Miteinander.“ Die Altstadt sei das Herz der Stadt, die nach der Einwohnerstatistik die jüngste Stadt Deutschlands ist. „Es wird immer davon geschrieben, dass DIE Einwohner der Altstadt gegen die Sperrzeitenregelung klagen, das stimmt aber nicht“. fügt Hartmann hinzu. Die Ausgeh-Gewohnheiten hätten sich deutlich verändert, Studierende seien heute nicht selten auch am frühen Abend noch in Seminaren oder in der Universitätsbibliothek beschäftigt und gingen erst später aus. Der öffentliche Lesesaal der Unibibliothek hat übrigens an jedem Tag der Woche und am Wochenende bis 1 Uhr geöffnet.

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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