Frankenthal. Wenn Menschen andere Menschen töten, dann stecken oft Hass, Habgier oder Neid dahinter. Manchmal auch verletzter Stolz oder verschmähte Liebe. Bei Rainer K. war das nicht so. Der 57-Jährige aus Neustadt hat seinen Vater Ende Dezember 2023 zunächst gewürgt und ihm dann mit einem Messer fast vollständig den Kopf abgetrennt. Weil er dem Leid seines Vaters ein Ende bereiten wollte, und weil er Angst vor der Zukunft hatte, davon sind die Frankenthaler Richter, die Rainer K. am Dienstag zu vier Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe wegen Totschlags verurteilen, überzeugt.
Seit Anfang Juli musste sich der 57-jährige Winzer aus Neustadt vor dem Landgericht in Frankenthal verantworten. Und während des Prozesses kristallisierte sich mehr und mehr heraus: Dieser Fall ist anders.
Was hat sich also nach Ansicht des Gerichts zugetragen? 2023, der Sommer ging gerade in den Herbst über, da verschlechterte sich der Zustand des 88-jährigen Vaters von Rainer K. zunehmend, er baute immer weiter ab. Körperlich und geistig, brauchte mehr Zuwendung, gegen die er sich aber sträubte. Denn er wollte doch ein unabhängiges Leben führen.
Rainer K. wandert rastlos durch das Haus seines Vaters
Dann ein Sturz, kurz vor Weihnachten. Der 88-Jährige hatte immer größere Schwierigkeiten, den Alltag zu bewältigen. Kochen und backen, Toilettengänge, mit einem Mal war all das ein Problem. Der Enkel und der Sohn des 88-Jährigen, Rainer K., kümmerten sich um ihn, vereinbarten Besichtigungstermine in Pflegeheimen und fanden eine Vollzeitpflege, eine Frau, die zumindest übergangsweise für den Senior da sein sollte. Bis dahin übernachtete der Enkel bei dem 88-Jährigen.
Weil der am 28. Dezember 2023 aber seine Katze versorgen musste, übernahm Rainer K. - in einer Zeit, in der es ihm selbst nicht gut ging. Bei der Arbeit war viel los, wochenlang hatte er nicht gut geschlafen. Er machte sich Sorgen um den Vater, der den Nachbarn erzählte, wie schwer ihm alles falle. Er fragte sich, wie der alte Mann mit der Pflegekraft auskommen würde. Seine Gedanken kreisten, und Rainer K. wanderte rastlos durch das Haus seines Vaters, so hat er es selbst beschrieben. Und das Gericht habe keinen Zweifel an seinen Schilderungen, sagt die Vorsitzende Richterin Mirtha Hütt am Dienstag.
Laut Gericht liegt ein minder schwerer Fall vor
Dann - so hat es das Gericht rekonstruiert - ging der 88-Jährige in der Nacht auf die Toilette, und es kam zu einem Gespräch mit Rainer K. Um was es sich drehte, blieb bis zuletzt unklar. Danach ging alles ganz schnell. Rainer K. würgte seinen Vater. Dieser verlor laut Gericht mit hoher Wahrscheinlichkeit das Bewusstsein. Doch er lebte noch, „Und ich dachte, du kannst jetzt nicht aufhören“, sagt Rainer K. kurz vor Ende des Prozesses. Hätte der Vater überlebt, hätte sich sein Zustand womöglich noch weiter verschlechtert.
Bereits zu Beginn des Verfahrens hatte K. alle Vorwürfe eingeräumt - in sich zusammengesunken. Nachdem er den alten Mann gewürgt hatte, trennte der 57-Jährige den Kopf seines Vaters fast vollständig ab. Danach schrieb er Nachrichten an seine Verlobte und seinen Sohn, dem er gestand, den Opa getötet zu haben. Er fuhr darauf zur Polizei in Neustadt, um sich zu stellen.
An der Tatwaffe und an der Kleidung des 88-Jährigen fanden die Ermittler DNA-Spuren von Rainer K. - und so habe die Kammer keinen Zweifel an der Schuld des Angeklagten, sagt die Vorsitzende Richterin. Es gebe keine Hinweise auf einen anderen Täter.
Vieles schien klar in diesem Fall, zunächst lautete die Anklage auf Mord. „Aber diese Tat, der Täter, die Täterpersönlichkeit weichen so stark von anderen Fällen ab, die wir normalerweise verhandeln“, sagt die Vorsitzende Richterin.
Rainer K. und sein Vater standen sich nah, das berichteten unzählige Zeugen während des Prozesses, die auch beschrieben, wie sich K. und sein Sohn um den Senior kümmerten - und dass K. ein ruhiger, bescheidener, umgänglicher Mensch sei. Den Vater zu töten sei ein spontan gefasster Entschluss gewesen, das Motiv eine Mischung aus Mitleid, Hilflosigkeit, Erschöpfung und Überforderung. „Auf den ersten Blick erscheint diese Tat besonders brutal und martialisch“, so Hütt. Aber Rainer K. habe in der Absicht gehandelt, seinen Vater schnell und gesichert von seinem Leiden zu erlösen.
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Dies konstatierte auch Staatsanwältin Esther Bechert in ihrem Plädoyer und erwog eine Verschiebung des Strafrahmens, da hier ein minder schwerer Fall vorliege, dem das Gericht schließlich folgte. Bechert forderte sechs Jahre und zwei Monate Freiheitsstrafe, die Verteidigung des Mannes, der Mannheimer Rechtsanwalt Steffen Lindberg, vier Jahre und zwei Monate. Später an diesem Tag wird er sich zufrieden zeigen, über die 180-Grad-Drehung, die dieser ungewöhnliche Prozess genommen hat.
Beide Seiten verzichten auf Rechtsmittel
Dann endet der Prozess, und auch das ist außergewöhnlich, mit guten Wünschen für den Angeklagten. Die Vorsitzende Richterin Mirtha Hütt wendet sich im Namen der Kammer an den 57-Jährigen und wünscht ihm, dass er sich von der Tat lösen, sie während der Haft aufarbeiten und sich selbst irgendwann verzeihen kann.
Unmittelbar nach dem Urteil verzichten beide Seiten auf Rechtsmittel, damit ist das Urteil rechtskräftig.
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